Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 3.69

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3.69 Tertullians Trostrede und Aufmunterung an die Märtyrer

Tertullians Trostrede und Aufmunterung an die Märtyrer, die im Kerker zur Zeit der heidnischen Kaiser im Jahre 200 nach Christi Geburt gefangen lagen. (Diese Rede ist um dieselbe Zeit getreu übersetzt worden.)

Ihr gesegneten und auserwählten Märtyrer oder Blutzeugen Jesu Christi wollt unter dem Aufenthalt und den Tröstungen an eurem Fleisch, welche euch die Frau Mutter, die Kirche oder Gemeinde, von ihren Brüsten und die Brüder von ihrer eigenen Arbeit in den Kerker zuschicken, auch etwas von uns annehmen, das zur Erquickung eures Geistes dienen möchte. Denn es ist nicht nützlich, daß man das Fleisch ernähre und speise, und den Geist Hunger leiden lasse; und wenn dem das da, schwach ist, geholfen wird, so sollte man das viel weniger versäumen, das noch schwächer ist. Wiewohl ich aber ein solcher nicht bin, der euch anreden sollte, so werden doch die vollkommensten Kämpfer nicht allein von Meistern und ihren Obersten, sondern auch von den Ungeachteten und Einfältigen angeredet, zu Zeiten sogar auch mehr als nötig und umständlich von ihnen ermahnt. Daher es sich denn auch oft zugetragen hat, daß die Dinge, die von solchen vorgestellt wurden, wie auch ihre Ermahnungen, ihnen wohl zu Statten gekommen sind.

Darum, ihr Gesegneten, vor allen Dingen betrübt nicht den Heiligen Geist, der mit euch in den Kerker gegangen ist wenn er nicht mit euch hinein gegangen wäre, so wäret ihr auch gegenwärtig nicht darin. Darum befleißigt euch, daß ihr den Heiligen Geist daselbst bei euch behaltet, damit Er euch von dem Kerker geleite und zu dem Herrn führe. Der Kerker ist zwar wohl ein Haus des Teufels, in welchem er sein Hausgesinde hält; ihr aber seid um deswillen in den Kerker gekommen, damit ihr ihn auch in seinem Haus mit Füßen tretet, denn als ihr noch draußen mit ihm strittet, habt ihr ihn ja ganz überwunden. Darum wird er auch nicht sagen: Sie sind in meiner Gewalt, ich will sie versuchen mit schändlichem Hunger, mit Abfall oder Zwietracht unter sich selbst. Er wird vor eurem Angesicht fliehen, und in seiner Tiefe wird er sich verbergen wie eine erschrockene, lahme, träge, beschworene und ausgedämpfte Schlange. Es wird ihm auch nicht sehr wohl gehen in seinem Reich, daß er euch uneins mache und euch gegeneinander aufhetze, sondern er wird euch gerüstet und mit Eintracht gewappnet finden, indem euer Friede ihm ein Krieg ist. Wenn aber einige unter euch diesen Frieden in ihren Gemeinden nicht gehabt haben, so haben sie denselben gewöhnlich von ihren Neben-Märtyrern in dem Gefängnis erbeten. Darum sollt ihr auch diesen Frieden unter euch haben und bewahren, damit ihr auch andern denselben mitteilen mögt. Andere Dinge, die das Gemüt verhindern, sollten euch bis an den Kerker geleitet haben, wie denn auch eure Eltern, Vater und Mutter, euch bis dahin geleitet haben. Von da an seid ihr von der Welt abgesondert, wie viel mehr von den vergänglichen Dingen dieser Welt. Es soll euch auch dieses nicht in Furcht und Betrübnis setzen, daß ihr nun von der Welt abgesondert seid, denn wenn wir gedenken, daß vielmehr die Welt ein Kerker sei, so können wir verstehen, daß ihr mehr aus dem Kerker als in den Kerker gegangen seid; denn größere Finsternis hat die Welt, die der Menschen Herzen verblendet; größere Ketten legt die Welt an die Füße der Sünder, um ihre Seelen damit zu binden und festzuhalten; wüstere Unreinigkeiten bläst die Welt an die geilen Menschen aus; zum letzten hat die Welt auch mehr Gefangene, nämlich das ganze menschliche Geschlecht. Und über das erwartet sie das Urteil, nicht der Ratsherren oder Richter, sondern Gottes Urteil.

So ihr Gesegneten nun von diesem Kerker (der Welt), wie wir dafür halten, in eine Errettung oder Bewahrung gelegt seid, so hat sie zwar Finsternis, aber ihr seid derselben ein Licht; daselbst sind zwar Gebundene, aber ihr seid die Befreiten Gottes; daselbst ist zwar ein elender Geruch, ihr aber seid ein süßer Geruch. Diese Richter haben einen Richter zu erwarten, ihr aber seid diejenigen, welche diese Richter richten werden, 1Kor 6,2. Diejenigen mögen wohl betrübt werden, die nach dem Gewinn dieser Welt seufzen, aber ein rechter Christ hat auch der ganzen Welt abgesagt, als er noch außer dem Kerker war, und da er nun in dem Kerker ist, so sagt er auch dem Kerker selbst ab. Es ist nichts daran gelegen, wo ihr in der Welt seid, die ihr der Welt abgesagt habt. Und wenn ihr etwas Freude dieses Lebens verloren habt, so ist es eine Erwerbung und guter Kaufhandel, etwas zu verlieren und zu verlassen, damit ihr ein Größeres gewinnt. Ich geschweige denn, wie groß die Belohnung und Verherrlichung sein wird, wozu Gott die Märtyrer beruft, Offb 3,21.

Doch wir wollen hiermit das Leben der Welt und das Leben des Kerkers miteinander vergleichen. Der Geist empfängt mehr in dem Kerker, als das Fleisch verloren hat. Ja, auch die gerechten oder notwendigen Dinge verliert das Fleisch nicht durch Vorsorge der Gemeinde und Liebe der Brüder. Aber überdas erlangt der Geist die Dinge, die dem Glauben auf alle Weise nützlich sind, denn daselbst (im Kerker) seht ihr keine fremden Götter, daselbst ärgert ihr euch nicht an ihren Bildern, daselbst werdet ihr nicht durch das große Gedränge der Menschen verhindert, welches an den hohen Festtagen der Heiden geschieht; ihr werdet nicht von schändlichem Gestank umgeben, ihr werdet nicht von dem Geschrei der grausamen Schauspiele und von dem grimmigen und trotzigen Tumult in Furcht gesetzt, wenn die heidnischen Menschen (oder die, welche die Trauerspiele spielen) solche eitle Dinge vorstellen. Eure Augen ärgern sich nicht an den öffentlichen Hurenhäusern, ihr seid frei von Ärgernis, von Anfechtung, von bösen Gedanken, ja, nun auch von der Verfolgung.

Dieses alles trägt der Kerker einem Christen bei, was die einsamen und wüsten Plätze den Propheten beigetragen haben. Der Herr hat sich selbst mit Fleiß vom Volk entzogen, damit Er desto freier beten und der Welt sich entziehen möchte; auch hat Er in der Wüste seine Herrlichkeit seinen Jüngern gezeigt. Darum wollen wir den Namen Kerker hinweg nehmen und denselben eine Absonderung nennen; denn obschon das Fleisch eingeschlossen und darin gehalten wird, so sind doch dem Geist alle Dinge offen. Stellt euch vor, im Geist umherzuwandern oder im Geist zu spazieren, nicht aber in den schattigen Baumgärten oder in den langen Spazierhäusern, sondern wandelt auf dem Weg, der euch zu Gott leitet, Phil 3,20; Kol 3,2; Hebr 13,14. So oft ihr im Geist umher wandeln werdet, so oft werdet ihr nicht im Kerker sein. Die Beine befinden sich nicht in den Fußeisen, wenn die Hand in den Himmel erhoben ist; das Gemüt trägt den ganzen Menschen umher, und wo es hin will, dahin bringt es ihn; darum sollte unser Herz daselbst sein, wo wir den Schatz haben wollen, Mt 6,21.

Aber angenommen, dem sei so, ihr Gesegneten, daß auch der Kerker den Christen mühsam ist, so müssen wir doch bedenken, daß wir zur Ritterschaft des lebendigen Gottes berufen sind, Eph 6, und das hauptsächlich, da wir auf die Sakramentworte der Taufe geantwortet haben. Ja auch kein Kriegsmann kommt mit Freude und Ergötzlichkeit in den Krieg. Er geht nicht aus seinem Bett in den Streit, sondern aus seinem Zelt, gewaffnet und umgürtet, wo dann alle Arbeit ein Witwenstand, Ungemach und Mühseligkeit ist; auch im Frieden ist man nicht ohne Arbeit. Sie lehren mit Ungemach den Krieg ertragen, sie gehen dahin mit ihrem Gewehr, laufen über das Feld, machen Gräben, sägen Holz zu allerlei Waffenrüstungen oder Brustwerken. Alles geschieht mit Schweiß und Arbeit, damit nicht beide, die Leiber und die Gemüter, zugleich mögen erschrecken; von dem Schatten des Abends, bis zum Sonnenaufgang, von der Sonnenhitze bis wieder zur Kälte, von dem Ausziehen des Rockes bis zu dem Anziehen des Harnisches, von dem Stillschweigen bis zum Geschrei, von der Ruhe zum Lärmen.

Darum, ihr Gesegneten, alles was den Kriegsleuten schwer fällt, das nehmt euch vor zur Ausübung und Kraft des Gemütes und Leibes. Ihr geht nun an ein gutes Fechtkämpfen, in welchem der lebendige Gott die Gaben austeilt, der Heilige Geist aber ist der Platzmeister oder Bewahrer, die Krönung ist ein ewiges Kleinod, die Bürgerschaft ein engelgleiches Wesen im Himmel, eine Herrlichkeit, die allezeit und ohne Ende währt; darum ist Christus Jesus der, der euch die Gaben austeilt, der euch mit dem Geist gesalbt und zu diesen Ehrenstufen gebracht hat; derselbe wollte auch euch vor dem Tage des Streites von einer geringern Arbeit hinwegnehmen, damit man härter mit euch umgehen möge, und die Kräfte in euch gestärkt werden; denn die Fechtkämpfer werden auch zu einer härteren Schulzucht und Übung abgesondert, damit sie sich bemühen und üben mögen, in der Stärke zuzunehmen. Denn zu dem Ende werden sie abgezogen von der Geilheit, von angenehmer Speise und lieblichem Trank; man zwingt, peinigt und bemüht sie; je mehr sie sich nun üben und bemühen, desto mehr Hoffnung haben sie vom Sieg. Diese nun, sagt der Apostel, 1Kor 9,25, tun es, um eine vergängliche Krone zu erlangen; aber wir sollen eine ewige empfangen. Darum sollen wir den Kerker für einen Platz des Streites und der Übung aufnehmen, damit wir dadurch in allem Unglück und Schaden wohl geübt und desto gewisser erscheinen mögen und vor den Richterstuhl Christi hervorgebracht werden.

Wir wissen auch die Worte des Herrn Christo, da Er sagte: Der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach. Darum sollen wir uns nicht fürchten noch verzagen, weil der Herr es zugesteht oder bekennt, daß das Fleisch schwach ist; aber darum hat Er es zuvor gesagt, daß der Geist willig und bereit sei, daß Er uns damit lehre, welchem ein jeglicher unterworfen sein sollte, sodass das Fleisch dem Geist dienen soll, das Schwächste dem Stärksten, damit es auch von ihm die Stärke empfange. Der Geist soll sein Gespräch von der allgemeinen ewigen Seligkeit haben, und nicht von dem Ungemach des Kerkers; aber gedenke gegenwärtig an den Streit, und was noch Härteres zu erwarten ist, vielleicht wird sich das Fleisch entsetzen und sich fürchten vor dem großen scharfen Schwert, oder vor einem hohen Galgen, oder vor einem zerreißenden Tier, oder vor der größten Pein des Feuers und vor allen peinlichen Marterwerkzeugen des Scharfrichters. Dann wird der Geist und das Fleisch sich dagegen setzen.

Darum wohlan, obschon diese Dinge grausam sind, so sind sie doch von vielen mit einem friedsamen Gemüt aufgenommen worden; ja, man hat sie auch freiwillig begehrt und gewünscht, um damit einen Namen und Ehre zu erhalten, und das nicht allein Männer, sondern auch Weiber, damit ihr Gesegneten auch wissen mögt, wie ihr euch nach dem Maße eures Geschlechtes zu verhalten habt.

Es würde zu lang fallen, wenn ich alle anführen wollte, die sich mit dem Schwert umgebracht haben und in ihrem Gemüt dazu sind bewegt worden. Unter den Weibern ist bekannt Lucretia, die mit Gewalt geschwächt worden ist, und sich mit einem Messer in Gegenwart ihrer Freunde erstochen hat, damit sie ihrer Keuschheit ein Lob zubereiten und hinterlassen möchte. Mutius hat seine rechte Hand im Feuer verbrannt, damit er dadurch einen Namen erlangen möchte. Viel anderes wunderliches Ungemach und Pein, welche um zeitliche Ehre, Lob und einen Namen zu erjagen, ausgestanden worden sind, übergehen wir um der Kürze willen, und sagen weiter: Wenn eine zeitliche Ehre so vieler Pein und Marter wert ist, welche durch die Kraft des Gemütes erduldet wird, daß sie auch Schwert, Feuer, Galgen, Tiere und Marter um der Belohnung eines menschlichen Lobes willen verachtet, so mag ich wohl sagen, daß dieses unser Leiden sehr gering sei, um dafür die himmlische Herrlichkeit und göttliche Belohnung zu empfangen. Gilt das Glas so viel, wie viel köstlicher ist dann das Edelgestein. Wer wollte denn nicht lieber um des wahren Gutes willen so viel leiden, weil andere so viel um des falschen Gutes willen leiden. Nun lasse ich den Handel der zeitlichen Ehre auf sich beruhen; es ist doch alles gleich, der Streit des Zornes oder Unwillens und des Martertums.

Diese auswendige Übung, ihr Gesegneten, hat der Herr nicht ohne Ursache in die Welt kommen lassen, sondern um unsertwillen, um uns damit zu ermahnen, daß wir an dem zukünftigen Tage zu Schanden und beschämt werden sollen, wenn wir uns um der Wahrheit willen zu leiden fürchten zur Seligkeit, welches andere um nichtiger Dinge willen getan haben zum Verderben.

Und zum Beschluss lasst uns auch das Ende oder Augenmerk der Schöpfung des Menschen betrachten, wozu wir gelangen müssen, damit uns solches dazu gereichen möge, daß wir uns schicken, um die Dinge standhaft zu ertragen, die auch wohl den Unwilligen begegnen, nämlich des Todes Strafe zu leiden. Man findet niemanden, der um eines Menschen willen nicht noch leiden wollte, was ist es dann, daß wir zweifeln oder verzagen sollten in dem Handel Gottes zu leiden, der uns solches mit der größten Liebe, Freude und mit ewiger Herrlichkeit vergelten will. Seid dessen eingedenk, ihr Gesegneten.