Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.560

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2.560  Des Jan Wouterß sechster Brief an seine einzige Tochter insbesondere.

Der ewige, allmächtige gute Gott, welcher durch sein Wort Himmel, Erde, Meer, und was darin ist, erschaffen hat, sei mit dir. Ich bin, weil ich ihn in meiner Einfalt, um meiner Seele Heil willen, gesucht habe, von seinen Feinden gefangen worden, was ich ihnen vergeben will; aber obgleich ich darum gefangen worden bin und auch darum gelitten habe, so hat es mich doch niemals gereut, daß ich in meiner Einfalt meine Seligkeit gesucht habe, denn zur Seligkeit bin ich erschaffen durch Christum Jesum zu guten Werken, damit ich darin wandle, und dereinst zum ewigen Leben auferstehe. Darum, mein einziges Töchterlein, merke auf die Unterweisung deines geliebten Vaters, denn was ich mit dir rede, geschieht nach der Schrift; du wollest die Bosheit der Welt, die Gelehrten, die Obrigkeit und ihre Anhänger ansehen, wie sie das unschuldige Blut vergießen; dieselben haben den Namen, daß sie Geistliche und Christen seien; deshalb bitte ich dich, mein geliebtes Töchterlein, folge ihnen nicht, denn sie wandeln nicht auf dem rechten Wege, davon gebe ich Zeugnis. Lies die heilige Schrift, und wenn du dein Alter erreicht haben wirst, so betrachte und prüfe es wohl, und bitte den Herrn um Verstand, dann wirst du das Böse von dem Guten wohl unterscheiden können, die Lügen von der Wahrheit, den Weg der Verdammnis von dem engen Wege, der zum ewigen Leben führt. Und wenn du dann Pracht und Stolzieren, Tanzen, Lügen, Betrügen, Fluchen, Schwören, Zanken, Schlagen und mehrere andere böse Stücke siehst, als trunken trinken, vor Holz, Stein, Gold, Silber oder Brot knien, so denke alsdann, daß dieses nicht der rechte Weg sei; das sind keines Christen Werke, wie die heilige Schrift lehrt. Solche Werke kommen nicht von dem Geiste Gottes, sondern von dem Geiste des Satans her. Die Schrift bezeugt, daß diejenigen Christo angehören, die den Geist Christi haben, oder davon getrieben werden. Darum folge den Leuten nicht, damit du als ein rechter Christ erfunden werden mögest; folge ihnen nicht, wenn sie dich auch liebreich anlocken und dir schöne Dinge verheißen; achte solches nicht; weiche von dem breiten Wege, auf welchem sie sich befinden, damit du nicht ihrer ewigen Plage teilhaftig werdest; betrachte hiervon das Exempel in der Schrift, wie es in der ersten Welt zugegangen ist, denn alle, die von Gott abwichen, der Predigt des Noah nicht glaubten und seine Worte nicht achteten, sind ertrunken; ferner die zu Sodom und Gomorrha, die den Gerechten täglich quälten, und mit Lot nicht ausgehen wollten, sind verbrannt worden; ebenso wird es auch allen denen ergehen, die dem gerechten Noah (das ist Christo Jesu) nicht glauben, denn er hat es in dieser Welt gepredigt, wenn er zunächst sagt: Tut Buße; das Himmelreich ist nahe herbeigekommen, wie denn auch Noah zuvor gewarnt und gepredigt hatte, ehe das Wasser kam.

Ebenso hat auch Christus und seine Apostel Buße und Besserung verkündigen lassen, wie auch noch täglich durch mich Unwürdigen, deinen geliebten Vater, und mehrere andere Knechte Christi. Aber was nutzt es ihnen; es bessern sich nicht viele; sie halten sich zu dem größten Haufen; uns aber achtet man nicht viel, denn wir sind ein schlechtes, kleines und ungelehrtes Völklein. Aber Christus hat des Volkes Verstockung wohl voraussehen können; darum sagt er im Evangelium: Wie es war in den Tagen oder Zeiten des Noah, sie aßen, sie tranken, sie freiten und ließen sich freien, bis daß Noah in die Arche ging; ebenso wird es auch in der Zukunft des Menschen Sohnes sein; das ist Jesu Christi; dann wird der Tag des Herrn wie ein glühender Ofen sein; das Rufen und das Klagen wird den bösen, ungläubigen Menschen alsdann nichts helfen, denn es wird keine Zeit sein, Gnade zu erlangen; aber jetzt ist es eine angenehme Zeit und der Tag des Heils; jetzt ist die Gnadenzeit und das Freijahr des Herrn, so lange bis der erschreckliche Tag des Herrn kommt. Dann wird er zu denen, die dem Evangelium nicht haben glauben wollen, sondern dem größten Haufen nachgefolgt sind, sagen: Geht von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln; aber zu denen, die ihm in diesem Leben bis ans Ende nachgefolgt sind, wird er sagen: Kommt her, ihr Gesegneten, und ererbt das Reich meines Vaters, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.

Darum, mein geliebtestes Töchterlein, nimm es zu Herzen, achte es nicht gering, es ist dir viel daran gelegen, durchforsche (wenn du Verstand von dem Herrn empfangen haben wirst) die heilige Schrift mit Fleiß, so wirst du wohl finden, daß man Christo Jesu nachfolgen und lebenslang gehorsam sein müsse; du wirst auch deutlich finden das kleine Häuflein, das Christo nachfolgt. Es ist aber das ihr Kennzeichen: Sie führen ein bußfertiges Leben; sie meiden das Arge und haben ihre Lust daran, wenn sie Gutes tun; es hungert und dürstet sie nach der Gerechtigkeit; sie stellen sich nicht dieser Welt gleich; sie kreuzigen täglich ihr sündhaftes Fleisch mehr und mehr, damit sie der Sünde absterben, die in ihren Gliedern streitet; sie suchen und jagen dem nach, was ehrbar ist und wohl lautet; sie tun niemandem Unrecht, sie bitten für ihre Feinde; sie widerstehen nicht ihren Feinden; ihre Worte sind ja, was ja ist, und nein, was nein ist; ihre Worte sind ihr Siegel; es ist ihnen leid, daß sie nicht immer heiliger leben; darum seufzen und weinen sie oft. Dieses aber sei dir nicht allein ein Zeichen, woran du erkennen kannst, wer Christo nachfolgt, sondern auch das ist ihr Zeichen, wenn sie das Kreuz Christi tragen, denn er sagt: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich täglich, und folge also ihm mit dem Kreuze, denn er hat gesagt: Haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen. Aber nun möchte jemand sagen und die Leute überreden, er habe solches zu seinen Aposteln gesagt; aber der Apostel Paulus bekennt ihnen eben dasselbe, wenn er sagt, daß alle, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, Verfolgung leiden müssen. Der Prophet sagt auch: Wer vom Bösen weicht, muss jedermanns Raub sein, denn, was lauter und klar ist, kann nicht zum Vorschein kommen. Hieraus kannst du, meine liebe Tochter, erkennen, welche Christo folgen, um durch ihn selig zu werden; hüte dich vor den Sünden, daß du sie nicht vollbringst, und halte dich zu diesen Kreuzesträgern, damit du zu Christo kommen mögest, der für uns und um unsertwillen das Kreuz getragen hat, denn wir müssen seinen Fußstapfen nachfolgen und unserm Herrn gleich sein; der Jünger muss wie sein Meister sein, und wie wir mit ihm leiden, so werden wir uns auch ewig mit ihm freuen. Aber, mein einziges Töchterlein, das ich von Herzen liebe, ich bitte dich, sei nicht furchtsam vor diesem gegenwärtigen Leiden, und lasse darum nicht nach, deine Seligkeit zu suchen, das wäre allzu töricht gehandelt; denn, nachdem ich dieses gelitten habe, sage ich mit dem Apostel, daß das Leiden, um Jesu Christi willen, leicht und zeitlich ist, und uns eine unermessliche Herrlichkeit bringt; denn, gleichwie des Leidens Christi viel über uns kommt, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christum, welcher uns allezeit den Sieg erhalten hilft, daß wir den Glauben bewahren, in einem reinen Gewissen, denn es ist selig, sagt der Apostel, wenn man um des Wohltuns willen Schläge leidet. Darum freue dich, weil dein lieber Vater, um Wohltuns willen, Bedrohungen, Verachtung und Schläge erlitten und ertragen hat, ich sage, um des Wohltuns willen, weil ich mit der Welt nicht auf dem breiten Wege zur ewigen Pein laufen wollte, welcher alle diejenigen werden teilhaftig werden, die nicht umkehren und Christo auf dem schmalen Wege nachfolgen. Das Wort Christi richtet allezeit, darum verdenke mir es niemand.

Ferner habe ich auch gelitten, weil ich meinen Nächsten lieb hatte, wie mich selbst, und ihn nicht offenbaren wollte. Darum gib dich zufrieden und bedenke allezeit, daß dein geliebter Vater nicht als ein Dieb oder Mörder, sondern als ein Christ gelitten habe, dessen ich mich nicht schämen darf; auch darfst du dich dessen nicht schämen, sondern laß sich diejenigen schämen, die Böses tun; des Guten darf man sich nicht schämen, wenn uns auch die Menschen verachten, die doch wie Heu vergehen, und wie ein Rauch verschwinden; was fragen wir nach sterblichen Menschen, wenn wir nur dem unsterblichen Gott gefallen? Dann ist es gut, denn er wird uns rühmen; der Menschen Ruhm ist vergänglich. Darum achten wir es nicht, und sehen nicht auf das, was sichtbar, sondern auf das, was unsichtbar ist; dem jagen wir nach, darnach laufen wir, und erwählen lieber, wie Mose, Ungemach zu leiden mit den Kindern Gottes, als in weltlichen Lüsten zu leben, denn wir sehen auf die Belohnung Christi. So will ich denn nun voran, und dich, sowie deine liebe Mutter, in kurzer Zeit erwarten. Darum bitte ich dich sehr freundlich, meine geliebteste einzige Tochter, nimm meine Worte in diesem Briefe zu Herzen, und suche deine Seligkeit von ganzem Herzen in der Nachfolge Christi; er wird dir so gut helfen, als er mir hilft und mehreren andern geholfen hat, die zu meiner Zeit und auch vor mir gewesen sind. Christus ist der Weg zum ewigen Leben; darum halte seine Gebote, denn das ist das ewige Leben.

Ferner bitte ich dich, mein geliebtes Töchterlein, daß du vor allen Dingen deine werte und liebe Mutter lieben und ihr gehorsam sein wollest. Wenn deine geliebte Mutter ein hohes Alter erreicht, so halte sie stets in großen Ehren, und tue immer das Beste an deiner Mutter; es ist ein Befehl des Herrn, welcher Verheißung hat, denn, wenn du deine geliebteste Mutter nicht liebst, wie wirst du dann unsern lieben Herrn lieben können, den du nicht siehst? Aber, meine einzige, liebe Tochter, ich habe die Hoffnung und das Vertrauen zu dir, daß du das Beste tun werdest; es ist mir auch sehr lieb gewesen, in meinen Banden zu hören, daß du dich so gut in das Unvermeidliche fügst und so wohl zufrieden bist. Danke dem Herrn, daß er deine geliebte Mutter gespart hat, damit du desto besser fortkommen möchtest. Aber gleichwie der Heiligen, der Propheten, Christi, der Apostel, und mehrerer anderer Heiligen Zeit erfüllt gewesen ist, so ist meine Zeit nun auch erfüllt, nach der Vorsehung Gottes, damit ich künftig in Christo ruhen möge. So gehe ich denn nun den Weg der Propheten und Apostel, und glaube dem, was die heilige Schrift sagt, daß Christus Jesus allein unser Heiland sei, und suche allein durch sein Blut, durch sein Verdienst und durch sein Leiden selig zu werden. Man sagt von uns viel böse Dinge, deren wir doch nicht schuldig sind; aber wir müssen es alles um Christi willen leiden, und sein Reich mit Gewalt einnehmen, denn, die ihm Gewalt antun, reißen es an sich. Daß wir alles ertragen, das ist unsere Kraft und unsere Gewalt, denn mit des Herrn Hilfe können wir durch Geduld, Sanftmut und Langmut alles überwinden. Derselbe wolle dir, meine geliebte Tochter, und deiner geliebten Mutter, denselben leidsamen, guten Geist gönnen, damit ihr in allem Drangsale, das ihr zusammen habt, und um des Namens des Herrn willen noch haben werdet, überwinden mögt, zu seinem Preise und eurer Seelen Seligkeit, Amen.

Hiermit gute Nacht auf dieser argen Welt; seid doch alle wohlgemut. Geschrieben und vollendet den 4. März im Jahre 1572, von mir, deinem geliebten Vater, der um des Gehorsams Christi willen zu Dortrecht gefangen ist, und das zum Preise Gottes, Amen.

O barmherziger, himmlischer Vater, der du mich Unwürdigen insbesondere erwählt und geliebt hast, der ich Erde und Asche bin; ich befehle dir mein geliebtestes Weib, und mein geliebtestes einziges Töchterlein.

Von mir, Jan Wouterß Kuyk, geschrieben in Banden, zu Dortrecht.