Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 3.60

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3.60  Der fünfte Auszug, von demselben aus Obersültzen, den 5. Januar 1672.

Es ist in hiesiger Gegend ein Mann über Heidelberg angekommen, welcher ein Diener im Norden war, der zwölf, meistens sehr junge Kinder hatte, und der, wie ich höre, nicht mehr als vier Reichstaler und ein sehr schlechtes Pferd mitgebracht hat. Einige andere haben noch etwas, viele aber haben gar nichts an Geld mitgebracht, wie denn, nach genauer Untersuchung, unter 282 Personen 1046 Reichstaler an Geld vorgefunden sind; im Amt Alzei unter 215 Personen 608 Reichstaler; im Dörmsteiner Amt aber hat man 144 Personen gefunden, doch habe ich nicht vernommen, worin ihr Vermögen bestehe; dem Anschein nach aber halte ich dieselben für die Dürftigsten. Summa, wir finden, daß unter ihnen achtzig volle Familien, ferner Witwen, ledige Personen, Männer und Weiber seien, die ihre Ehegatten haben verlassen müssen, weil sie der reformierten Religion zugetan waren und sich zum Auszug nicht verstehen konnten, an der Zahl 641 Personen, für welche nur sehr wenig Vorrat, wie gemeldet worden, vorhanden ist; deshalb könnt ihr euch wohl vorstellen, daß eine bedeutende Hilfe nötig sei. Außerdem haben wir auch vernommen, daß sich noch an hundert Personen im Elsaß aufhalten, die wir gegen das Frühjahr auch erwarten. Gehabt euch wohl. — So weit gehen die Auszüge der Briefe.

Nachher ist es geschehen, daß die Brüderschaften, die in den vereinigten Niederländischen Landschaften wohnen, im März des Jahres 1672 einige von ihnen nach der Pfalz gesandt haben, die überall zu den verfolgten Brüdern reisten; diese hörten und sahen nicht nur, daß das oben Erzählte wahr sei, sondern auch, daß einige von den Letztgemeldeten aus dem Elsaß angekommen waren, welche auch, wie die andern, keinen Vorrat mitgebracht hatten, weshalb sie nebst den andern durch gemeinschaftliche Hilfe der vermögenden Gemeinden oder Brüderschaften aus den vereinigten Landschaften unterstützt und getröstet wurden.

Daneben haben sie von einigen der vierzig Gefangenen selbst gehört, daß sie alle auf Veranlassung dieses oben gemeldeten Herrn freigelassen, nach Basel gebracht und dort ihren Brüdern übergeben worden seien, mit welchen sie sämtlich weggezogen wären. Als man die Vornehmsten unter ihnen fragte, warum sie nicht eher weggezogen wären und solche Plätze gesucht hätten, wo sie mit mehr Freiheit nach ihrem Gewissen hätten leben können, da doch die Obrigkeit ihren Abzug ihnen nicht verboten hätte, gaben sie verschiedene Gründe an, von denen die folgenden nicht die geringsten waren.

1. Sagten sie, sie hätten gesehen, daß die Gemeinden sich sehr vermehrt und zugenommen hätten, sodass sie, obgleich sie unter dem Kreuz standen, dennoch wie eine Rose unter den Dornen geblüht habe, und daß man sich täglich eines größeren Zuwachses zu versehen gehabt hätte, weil viele Menschen hervorgetreten wären, die das Licht aus der Finsternis hätten hervorleuchten sehen, die dasselbe lieb gewonnen und ihm nachgespürt haben. Die Diener, die dieses in ihrem Gemüt überlegt haben, hätten sich beschwert gefunden, aus dem Land zu ziehen, in der Befürchtung, es möchte dadurch diese blühende Ernte versäumt werden, und dadurch viele von diesem guten Vorsatz wieder ablassen; darum wollten sie lieber etwas leiden als wegziehen, damit sie noch einige Seelen aus dem Verderben ziehen und zu Christo bringen möchten.

2. Der zweite Grund war, daß sie so leicht nicht hätten aufbrechen und den Weg nach andern Ländern nehmen können, weil unter ihnen viele zerteilte Haushaltungen gewesen wären, von denen zwar der Mann oder die Frau in der Gemeinde gewesen sei, der andere Ehegatte aber wäre noch in die öffentliche Kirche gegangen, welches dann, wenn sie in solchem Fall ihren unterdrückten Ehegatten nicht hätten folgen, alles verlassen und aus dem Land ziehen wollen, große Angelegenheit und Trübsal verursacht hätte, und daß auch selbst mehrere Diener von diesem Unglück nicht frei gewesen wären. Es waren auch in der Pfalz zwei Diener, welche Hausfrauen hatten, die nicht in der Gemeinde waren, und welche sie auch (weil sie insgeheim von einem guten Freund gewarnt wurden) bei der Nacht haben verlassen und die Flucht nehmen müssen, ohne bis dahin zu wissen, ob ihre Hausfrauen ihnen folgen, oder ob sie ihr Gut lieber haben würden, als ihre Männer, und folglich dort im Land bleiben und ihre Männer verlassen würden. Solche Zufälle hätten um desto mehr Betrübnis und Schwierigkeiten verursacht, weil die Obrigkeit solchen zurückbleibenden Personen, es seien Weiber oder Männer, Erlaubnis gegeben hätten, wieder zu heiraten und andere Ehegatten zu suchen. Diese und andere Gründe hätten es veranlasst, daß sie ohne Not nicht aus ihrem irdischen Vaterland gewichen wären, sondern lieber so lange gewartet hätten, bis sie gesehen hätten, daß sie es dort nicht länger (mit gutem Gewissen) ausführen könnten.

Wahrlich es ist zu beklagen, daß noch zu dieser Zeit, nachdem das Licht des Evangeliums der Protestanten so lange geschienen hat, dennoch solche unter ihnen gefunden werden, die es billigen, daß diejenigen verfolgt werden, die in allen Stücken gute, fromme Untertanen sind, und nur in einigen den christlichen Gottesdienst betreffenden Stücken von ihnen abweichen! Ach, wie wenig wird in solchem Betragen die Lehre unseres Heilandes beobachtet, daß wir nämlich einem andern tun sollen, wie wir wollen, daß uns geschehe. Gleichwohl beklagen sich solche über die Verfolgung, die in Frankreich, Ungarn und an anderen Orten ihren Glaubensgenossen widerfahren ist. Aber, was dünkt euch? sollte man diesen nicht mit Recht auf solche Weise antworten, wie der Apostel Paulus den Juden, Röm 11,21, geantwortet hat? Ja, gewiss mit großem Recht.

Wir schließen diese Erzählung mit der ernstlichen Bitte, daß Gott die Herzen derer, die in Würde stehen, dergestalt regieren wolle, daß wir unter ihrem Gebiet und unter ihrer Regierung ein stilles und ruhiges Leben führen mögen, in aller Gottesfurcht und Ehrbarkeit; und wenn der große Gott es für gut befinden möchte, hin und wieder Verfolgung über seine Gläubigen kommen zu lassen, daß Er alsdann mit seinem väterlichen Trost und seiner Vorsorge bei ihnen bleiben und aus Gnaden verleihen wolle, daß ihr Leiden mit Geduld, ihr Glaube mit Standhaftigkeit und ihre Tugenden mit Treue vereinigt sein mögen, und das alles zur Ehre seines preiswürdigsten Namens, zum Heil ihrer Seelen, durch Christum unsern Herrn und Heiland, Amen.

Wir halten es für angemessen, bei Gelegenheit der oben gemeldeten Erzählung der Verfolgungen, welche über die Brüder in der Schweiz stattgefunden, auch das Nachfolgende mit anzuhängen, nämlich, daß ein alter und seinem Wandel nach frommer Bruder, Haßlibacher genannt (weil er von Haßlibach gebürtig war), um seines Glaubens willen, in Verhaft genommen und nach Bern gebracht worden sei. Dort ist er im Gefängnis hart angegriffen und grausam gepeinigt worden; als er aber dessen ungeachtet standhaft bei seinem Glauben verharrte, sind bald darauf an einem Freitag einige Prediger in das Gefängnis zu ihm gekommen, die mit ihm disputierten, gegen welche er sich in der Verteidigung seines einfachen Glaubensbekenntnisses so tapfer gezeigt hat, daß sie ihm nichts abgewinnen konnten. Darauf sind die Prediger den folgenden Tag, nämlich den Samstag, abermals zu ihm gekommen, haben ihn härter angeredet und ihm scharf gedroht, daß man ihm den Kopf vor die Füße legen würde, wenn er nicht von seinem Glauben abstehen wollte. Hierauf hat der gute alte Mann tapfer geantwortet, daß er keineswegs von seinem Glauben abstehen, sondern bei demselben standhaft bleiben wollte, weil er vollkommen versichert wäre, daß sein Glaube bei Gott so angenehm wäre, daß Er ihn in Not und Tod nicht verlassen würde.

Darauf hat es sich zugetragen, wie glaubwürdig erzählt wird, daß er in der folgenden Nacht, zwischen dem Samstag und Sonntag, durch eine göttliche Erscheinung tröstlich gestärkt und ermahnt worden ist, bei seinem angenommenen Glauben standhaft zu bleiben, und daß er (wenn man ihm auch hart drohen, ja, selbst sagen würde, daß man ihn mit dem Schwert töten wollte) dennoch nicht erschrecken sollte, denn der Herr würde ihm zur Seite stehen und nicht zugeben, daß er davon Schmerzen fühlen würde.

Als nun des Montags die Prediger abermals zu ihm kamen, um mit ihm wie früher zu disputieren und ihn von seinem Glauben abzubringen trachteten, wobei sie noch hinzusetzten, daß, wenn er nicht abstehen würde, er den folgenden Tag mit dem Tod gestraft werden sollte, antwortete Haßlibacher freimütig: Ich will mir viel lieber das Haupt abschlagen lassen, als von meinem Glauben abweichen.

Darauf (als die Prediger ihn verließen, und er des Abends in einen tiefen Schlaf fiel, der bis zur Mitternacht währte) hatte er einen Traum; in demselben wurde ihm das Bild seiner Enthauptung vorgeführt, jedoch sollten dabei drei besondere Zeichen gegeben werden, woran seine Unschuld vor den Menschen erkannt werden würde; hierüber erwachte er, worauf ihm in der Tat angekündigt wurde, daß er mit dem Schwert hingerichtet werden sollte.

Weil hier dreier Zeichen gedacht worden ist, die gleichwohl nicht angeführt werden, sondern in dem letzten Lied des Gesangbuches der Taufsgesinnten zu finden sind, so wollen wir, um diese Geschichte zu ergänzen, dieses Lied vom 21. Vers an bis ans Ende mit beifügen.

Er sprach, auch Gott wird sehen lan,
Drei Zeichen, das tut wohl verstah’n;
Die wird man sehen bald,
Wenn ihr mir schlaget ab mein Haupt,
Springt’s in mein’n Hut und lachet laut.

Das andre Zeichen wird gescheh’n,
das wird man an der Sonne seh’n,
Auf’s dritt’ habt fleißig Acht;
Die Sonn’ wird werden wie rotes Blut,
Der Staldel-Brunn auch schwitzen Blut.

Der Richter zu den Herren sagt:
Auf die drei Zeichen habet Acht,
und sehet wohl darauf;
wenn nun dies alles soll gescheh’n,
So g’schieht es eurer Seele wehe.

Und da das Mahl nun hat ein End’,
Man wollt’ ihm binden seine Händ’.
Der Haßlibacher sprach:
Ich bitt’ euch, Meister Lorenz, schon,
Ihr wollt’ mich ungebunden lohn’.

Ich bin gutwillig und bereit,
Mein Tod mich heftig wohl erfreut,
Daß ich von hinnen soll,
Aber Gott woll’ erbarmen sich,
Die zum Tod verurteilen mich.

Da er nun auf die Richtstatt kam,
Sein’n Hut von seinem Haupt abnahm.
Und legt’ ihn vor die Leut’:
Euch bitt’ ich, Meister Lorenz, gut,
Laßt mir hier liegen meinen Hut.

Hiermit fiel er auf seine Knie,
Ein Vater Unser oder zwei
Er da gebetet hat:
Mein’ Sach’ ist jetzt gesetzt zu Gott,
Tut jetzt nur eurem Urteil statt.

Darnach man ihm sein Haupt abschlug,
Da sprang es wieder in sein’n Hut.
Die Zeichen hat man geseh’n:
Die Sonne wurd’ wie rotes Blut,
Der Staldel-Brunn tat schwitzen Blut.

Da sprach ein alter Herre gut:
Des Täufers Mund lacht in dem Hut;
Da sagt ein grauer Herr:
Hätt’t ihr den Täufer leben lan,
Es wär’ euch ewig wohl ergah’n.

Die Herren sprachen insgemein:
Kein’n Täufer wir mehr richten werd’.
Da sprach ein alter Herr:
Wär’ es nach meinem Willen gah’n
Den Täufer hätt’ man leben lan.

Der Henker, der sprach mit Unmut,
Heut’ hab’ ich gericht’t unschuldig Blut.
Da sprach ein alter Herr:
Des Täufers Mund hat gelacht im Hut,
Das bedeutet Gottes Straf’ und Rut’.

Der uns dies Liedlein hat gemacht,
Der war um’s Leben in G’fangenschaft,
Den Sündern tat er’s zu lieb.
Ein Herr ihm Feder uud Tinte bracht’,
Er schenkt’ uns das zu guter Nacht.

Es ist uns am Ende dieser hochdeutschen Auflage ein Auszug in die Hände gekommen, welchen Hans Lörsch aus dem Turmbuch zu Bern abgeschrieben hat und der von Christian Kropff aufgehoben worden ist; derselbe lautet wie folgt:

Zu Bern wurden folgende Personen um des Glaubens willen hingerichtet: Im Jahre 1528: Hans Seckler; ein Schreiner; ein Hutmacher zu Arauw. Im Jahre 1529: Conrad Eicher von Staffisburg; zwei Gläubige aus der Herrschaft Bix; ein Ketzer aus dem Aemmentale; Ulrich Schneider von Lützenpflühe; ein junger Geselle von Wallis; Hägerley aus der Herrschaft Alburg. Im Jahre 1536, den 2. Mai: Moritz Loseneger. Im Jahre 1537: Bernhard Wälty von Rüderswill, den 7. Tag im Heumonat; Hans Schweitzer von Rügsouw; Jürg Hoffser von Obergallbach, aus der Herrschaft Siegnauw, den 28. August; Ulrich Bichsel; Barbeli Willher von Haßli; Barbeli zur Studen von Summiswald; Catharina Friedli Imhoff; Vrena Issuli von Schübach, aus der Herrschaft Siegnauw; Ulrich von Rügsouw. Im Jahre 1538: Cunas Seidenkohen von Constanz, den 28. März; Peter Stucki zu Wimmis, den 19. April; Ulrich Huben von Rötenbach, aus der Herrschaft Siegnauw; Hans Willer, im August; Elsbeth Küpfer von Summiswald; zwei Frauen, am 28. Mai, eine von Summiswald, die andere von Höstetten; Peter Wessenmiller von Wimmes, den 17. Tag im Herbstmonat; Steffen Rügseger, den 8. Tag im Wintermonat, welcher zu Einygen hingerichtet wurde; einer aus der Herrschaft Siegnauw; einer von Summiswald; Rudolph Isully, aus dem Tannentale. Im Jahre 1539: Lorenz Aeberly von Grünauw, den 3. Tag im Brachmonate; Hans Schumacher, aus dem Aergöüw von Wünistern. Im Jahre 1542: Einer von Oberbip, den 1. Mai; Peter Ancken, aus dem Siebentale. Im Jahre 1543: Christian Oberlen, den 17. Tag im Herbstmonate; Hans Ancken, aus Außeldingen; Wälty Gärber an der Streithalter, aus der Herrschaft Siegnauw. Im Jahre 1571, den 20. Tag im Wintermonate: Hans Haßlibacher, aus der Herrschaft Summiswald, der zu Haßlibach hingerichtet wurde.