Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.590

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2.590  Des Martin von der Straasen dritter Brief an sein Weib.

Ich, Martin von der Straasen, dein herzgründlich geliebter Mann und Bruder in dem Herrn, wiewohl zu beidem unwürdig, wünsche dir, mein sehr geliebtes und wertes Weib und Schwester in dem Herrn, Beliken von der Straasen, viel Gnade und Barmherzigkeit von Gott, unserm himmlischen Vater. Die Liebe seines Sohnes müsse sich bei dir vermehren, und Gott müsse dich überdies, wie den Jeremia, mit seinem Heiligen Geiste erfüllen, damit du dadurch jedem listigen Anlaufe des Teufels widerstehen und nach dem Siege mit allen Kindern Gottes die Krone der Herrlichkeit auf dem lustigen Berge empfangen mögest, wo (wie Esra schreibt) Lilien und Rosen blühen. Meine herzgründlich Geliebte, ich bitte den Herrn, daß Er dich tüchtig und würdig machen wolle, das neue Lied vor dem Throne seiner Herrlichkeit zu spielen, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen.

In herzlicher und zugeneigter Liebe geschrieben an dich, Beliken von der Straasen. Ach, meine Geliebte, meine Auserwählte und Allerliebste, welche mir durch Gottes Vorsehung vor seiner Gemeinde von meinem Vater gegeben worden ist, welche ich auch mit Freudentränen bei der Hand genommen habe, wie ich denn auch dem Herrn danke, daß Er dich mir gegeben hat, denn ich hätte nicht gemeint, daß ich deiner würdig gewesen wäre. Darum habe ich auch Ursache, dich um desto mehr zu lieben; doch Gott sei mein Zeuge, daß ich dich liebe, wie meine Seele, ja, mehr als das Herz in meinem Leibe, wozu ich auch nach der Schrift verbunden bin, denn wenn ich, wie Johannes schreibt, schuldig bin, meinen Bruder zu lieben, um wie viel mehr muss ich dann dich lieben, weil du, nach dem Worte Gottes und Paulus Bekenntnis, Fleisch von meinem Fleische und Bein von meinem Beine bist; auch sagt der Apostel: Niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er ernährt es und pflegt es. Summa, wer sein Weib lieb hat, der hat sich selbst auch lieb.

Ferner Beliken, meine Werte, nach diesem meinem geziemenden und christlichen Gruße, lasse ich deine Liebe wissen, daß ich (dem Herrn sei Lob) mich noch ziemlich wohl befinde; beides, dem Fleische und dem Geiste nach (Gott sei gepriesen); mein Gemüt hat noch den Vorsatz, den Herrn nach meinem schwachen Vermögen zu fürchten mein Leben lang. Ferner, meine Geliebteste, habe ich das Vertrauen zu dir, daß du ebenfalls an Seele und Leib gesund und bereit bist, zu des Herrn Preise zu leben und zu sterben. Dieser hochwürdige, gute Gott, der den Bogen der Starken zerbrochen hat und, nach des Propheten Worte, durch seine milde Güte Wein und Milch umsonst gibt, müsse dich und uns alle stärken und in dieser Löwengrube kräftig machen, wo wir von allen Seiten so scharf angefochten und geängstigt werden, wie Israel, welches von Holofernes belagert wurde, ja, die falschen Ältesten machen uns so bange, daß wir mit Susanna nirgends eine Ausflucht finden, sondern überall den Tod vor Augen sehen, denn unsere Verfolger sind Wölfe am Abend, die bis an den Morgen nichts überbleiben lassen. Darum mögen wir wohl mit David sagen: Herr, sie zerschlagen dein Volk und Plagen dein Erbe; Witwen und Fremdlinge erwürgen sie, und töten die Waisen, denn sie rüsten sich wider die Seelen der Gerechten und verdammen unschuldiges Blut.

Aber darum, ach, meine herzgründlich Geliebte, laß uns nicht verzagen, obgleich wir jetzt in dem Ofen des Elendes geprüft werden, denn der Prophet sagt: Wohl dem, den Du, Herr, züchtigst und durch dein Gesetz lehrst, daß er Geduld habe, wenn es übel hergeht, bis dem Gottlosen die Grube bereitet wird; denn der Herr wird sein Volk nicht verstoßen, noch sein Erbteil verlassen; der Herr kehrt sich zu dem Rufen der Verlassenen und verschmäht auch ihr Gebet nicht; er schaut von seiner heiligen Höhe, und der Herr sieht vom Himmel auf die Erde, damit Er das Seufzen der Gefangenen erhöre, denn Sarah sagt: Das weiß ich; aber fürwahr, wer Gott dient, der wird nach der Anfechtung getröstet, und aus der Trübsal erlöst, und nach der Züchtigung findet er Gnade, denn Du, o Herr, hast nicht Lust an unserm Verderben; nach dem Ungewitter lässt Du die Sonne wieder scheinen, und nach dem Heulen und Weinen überschüttest Du uns reichlich mit Freuden. Deinem Namen sei ewig Lob, o Gott Israel, denn bei Dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht.

So laß uns denn, meine Liebe, ach, meine Geliebteste, den Kelch des Herrn in Geduld trinken, denn wir wissen doch (nach dem Zeugnisse Jesajas), daß die Wahrheit auf der Straße gefallen ist, und daß, wer von seinen bösen Wegen abweicht, jedermanns Raub sein müsse; denn Esra sagt: Es wird den Plätzen ein Platz sein, und in den umliegenden Städten eine große Empörung unter denen, die Gott fürchten, denn die Gottlosen werden wie Unsinnige sein, und werden niemanden verschonen; berauben und zerstreuen werden sie alle, die Gott fürchten; ihre Güter werden sie ihnen nehmen und sie aus ihren Häusern stoßen; dann wird die Bewährung der Auserwählten offenbar werden, sagt der Herr, gleichwie das Gold, welches durch das Feuer bewährt wird.

Darum, ach, meine auserwählte Liebe, mein Schäflein, laß uns doch den Rücken den Schlägern ein wenig darbieten, und auf den Herzog unseres Glaubens, den König aller Könige und Herrn aller Herren sehen, welcher um unsertwillen so misshandelt und übel zugerichtet worden ist, daß Er auch selbst sagte: Haben sie dieses am grünen Holze getan, was wird am dürren werden? Darum, ach, meine Geliebte, meine Allerliebste, laß uns mit Paulus bedenken, daß unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, dereinst eine über die Maßen gewichtige Herrlichkeit schafft. Salomo sagt: Die Gerechten werden ewig leben; der Herr ist ihr Lohn, und der Allerhöchste sorgt für sie; darum werden sie ein herrliches Reich und eine schöne Krone von der Hand des Herrn empfangen, denn Er wird sie mit seiner Hand beschirmen und mit seiner Rechten schützen. Darum, ach, mein liebes Schäflein, laß uns doch den Herrn fleißig bitten, damit wir würdig sein mögen, in seiner Zukunft mit Ihm zu leben, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Ferner, meine herzgründlich Auserwählte und Geliebte, wisse, daß ich dir nicht mehr viel zu schreiben weiß, sondern ich empfehle dich in die Hand des Herrn und sage gute Nacht, wenn ich etwa nicht mehr an dich schreiben möchte, denn unsere Feinde sind jetzt über uns so sehr erzürnt, daß sie mit Zähnen über uns knirschen, wie sie es mit Stephanus in dem Richthause machten. Darum gebe ich dir nun noch diesen Brief, gleichwie die Israeliten, die gebunden lagen, ihren Kindern die letzte Milch gaben. Ferner danke ich dir, ach, meine Liebe, für alle deine reine Liebe und herzliche Freundschaft; auch danke ich dir sehr für die Oberärmel, die du mir gemacht hast; sie sind mir nützlicher, als der Rock, den du mir gesandt hast. Sirach hat wohl mit Recht gesagt, daß ein Freund dem andern in der Not helfe, aber noch bei weitem mehr helfen sich Mann und Weib.

Schließlich nehme ich noch einmal Abschied und sage gute Nacht. Ach, gute Nacht, Beliken, meine Geliebteste. Grüße mir, die bei dir sind; Adrian lässt euch auch sehr grüßen.

Geschrieben von mir, deinem lieben Manne und Bruder in dem Herrn, Martin von der Straasen; bitte für mich.