Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.600

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2.600  Ein Brief von Syntgen von Rousselare.

Gnade und Friede. Geschrieben zu Antwerpen auf dem Steine. Ich unwürdige Syntgen bin um des Zeugnisses des Herrn willen gefangen und erwarte jeden Tag mein Urteil; der Herr wolle uns geben, daß wir unser Opfer tun mögen zu seinem Lobe und Preise und zu unserer Seelen Seligkeit, Amen.

Die große Gnade und Barmherzigkeit Gottes des Vaters, und die große Liebe des Sohnes, wie auch die Kraft des Heiligen Geistes, wolle dich, meine sehr geliebte Schwester in dem Herrn, und uns bis ans Ende stärken, damit wir würdig erfunden werden mögen, am Tage des Herrn die schönen Verheißungen aus Gnaden zu empfangen, wenn der Herr sagen wird: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch von Anbeginn der Welt zubereitet ist. Ach, welche große Freude wird uns dann zubereitet, wenn wir den Anfang des christlichen Wesens bis ans Ende festhalten! Hierzu wolle uns der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs stärken, dessen Gewalt groß ist, wie der Prophet bezeugt, daß Er mit einem Dreilinge die ganze Erde umspanne, und daß sich in seinem Namen alle Knie beugen müssen, die im Himmel und auf Erden sind, und daß Ihn alle Zungen loben müssen; sein Name ist Herr der Heerschaaren, Herr Zebaoth, der Mächtige in Israel, um dessen Namen willen wir hier gefangen liegen; Ihm sei allein Lob und Preis, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen. Denn Er hat Himmel und Erde aus nichts erschaffen und gemacht; denselben blutigen, nackenden, gekreuzigten Christum wünsche ich dir, meine sehr geliebte Schwester in dem Herrn, zum freundlichen und christlichen Gruße; derselbe wolle euch bewahren und in jeder Drangsal, die euch und uns um seines Namens willen zustoßen mag, trösten. Nach diesem lieben und christlichen Gruße lasse ich dich wissen, mein liebes Schaf und Schwester in dem Herrn, daß mein Gemüt noch bestellt ist (dem Herrn sei Lob und Preis für seine Gnade!) wie es bestellt war, als ich meine Knie unwürdig vor dem Herrn gebeugt hatte, womit ich bewies, daß ich begehrte, Ihm in allem gehorsam zu sein, sowohl im Leiden als in Freude, wie uns denn der Apostel auch ermahnt, daß es uns nicht allein gegeben sei, an Christum zu glauben, sondern auch um seinetwillen zu leiden. Ach, meine liebe Schwester in dem Herrn, der Knecht ist nicht über seinem Herrn, noch der Jünger über seinem Meister; auch hat uns Christus gesagt: Die Welt wird sich freuen, und ihr werdet traurig und betrübt sein, aber eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden; und abermals: Ihr werdet heulen und weinen, und die Welt wird sich freuen; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden, und unser Glauben ist der Sieg über die Welt, womit wir, durch des Herrn Gnade, Fürsten und Obrigkeiten überwinden müssen. Ach, meine liebe Schwester in dem Herrn, es ist wohl wahr, wir sind wie die Schlachtschafe geachtet, die zum Tode bereitet sind; aber in allem diesen überwinden wir weit um desjenigen willen, der uns lieb gehabt, wie der Apostel sagt: Wer mag uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal, oder Angst, oder Verfolgung, oder Gefahr, oder Schwert?

Ach, mein liebes Schäflein! Der König ist so getreu, dem wir dienen; Er wird uns nicht verlassen, sondern uns beistehen in allen Gefahren, sie betreffen Wasser, Schwert oder Feuer; denn Er spricht durch den Propheten Jesaja: Wenn auch eine Mutter ihr eigenes Kind verließe, so will ich dich doch nicht verlassen, sondern will dich wie meinen Augapfel bewahren. Ach, meine liebe Schwester, das ist ein schöner Trost in unserer gegenwärtigen Trübsal und unserer Not, welche zeitlich und leicht ist, wie der Apostel sagt, und uns eine über die Maßen große Herrlichkeit bringt, die wir nicht auf das Zeitliche, sondern auf das Ewige sehen, denn es hat kein Auge gesehen, noch ein Ohr gehört, ist auch in keines Menschen Herz gekommen, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben. Ach, meine liebe Schwester in dem Herrn, laß uns viel lieber erwählen, mit den Kindern Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzlichkeit der Sünden zu haben. Laß uns die Schmach Christi für größeren Reichtum achten, und mit dem Propheten David lieber in das Allerheiligste des Herrn gehen, als den Pfad der Gottlosen betreten; denn obgleich er hier schön anzuschauen ist, so muss er doch vergehen, indem der weise Mann sagt, daß der Gottlosen Hoffnung wie eine verdorrte Distelblume sei; wir aber, liebe Schwester in dem Herrn, haben eine gewisse Hoffnung, und wiewohl wir hier in den Augen der Unweisen zu sterben scheinen, so wissen wir doch, daß wir ewig leben werden; denn es steht geschrieben: Die hier mit Tränen säen, werden mit ewiger Freude und Wonne ernten, und ihre Garben in die Scheuern Gottes bringen.

Ach, meine liebe Schwester in dem Herrn, wenn das Sterbliche das Unsterbliche anziehen wird, wie herrlich werden wir alsdann mit himmlischer Freude gekrönt werden! Es wird dann unsere Freude nicht von uns genommen werden. Ach, mein liebes Schaf und Schwester in dem Herrn, laß uns auf unsern König trauen, denn seine Verheißungen werden nicht fehlen; Er wird uns nicht verweisen, wie diese fleischen Herren tun, was doch alles vergeht, sondern Er wird uns aus Gnaden das ewige Leben geben. Ach, meine liebe Schwester in dem Herrn, mein Verlangen geht dahin, daß ich bei allen meinen lieben Brüdern und Schwestern, die ihr Leben freimütig zum Tode übergeben haben, unter dem Altar ruhen möge; ich hoffe, daß wir bald dahin kommen werden. Wir sind wohlgemut, durch des Herrn Gnade, mit Josua und Kaleb das Land der Verheißungen einzunehmen, und sind auch unserer Feinde viel, so hoffen wir doch, sie wie Brot zu verschlingen; wir haben bereits fast alle unsere Feinde überwunden, aber den wichtigsten und letzten Feind sehen wir noch vor Augen, welches oder Tod ist; doch haben wir einen starken Trost, welcher der Gott Jakobs ist, der uns in der größten Not stärkt; und obgleich die Wellen gewaltig ankommen, so hoffen wir doch mit unserm Gott (wie David sagt) über die Mauer zu springen und mit Paulus zu sagen: Ich vermag alles durch Christum, der mich mächtig macht; wir hoffen also durchzudringen, wie Christus sagt: Ringt danach, daß ihr durch die enge Pforte eingeht, denn der Weg ist schmal der zum ewigen Leben führt; ferner sagt Christus: Das Himmelreich leidet Gewalt, und die ihm Gewalt antun, reißen es zu sich.

Ach, meine liebe Schwester in dem Herrn, wenn Fleisch und Blut an den Pfählen und Pfosten hängen bleibt, dann erst ist der Streit am wichtigsten, denn der Satan wusste seine Worte gut zu setzen, als er den gottesfürchtigen Hiob versuchte. Wenn es an Fleisch und Blut geht, dann wird der rechte Glaube geprüft wie Gold im Ofen, dann müssen wir gesetzmäßig kämpfen, damit wir die Krone des ewigen Lebens aus Gnaden empfangen, denn es steht geschrieben: Weil du das Wort meiner Geduld behalten hast, so will ich dich auch vor der Stunde der Versuchung behalten, und ich will seinen Namen aus dem Buche des Lebens nicht austilgen. Wer überwindet, soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich will ihn zum Pfeiler machen in dem Tempel meines Gottes, und ich will sie zur Quelle des lebendigen Wassers leiten.

Ach, meine liebe Schwester in dem Herrn, welche herrlichen Verheißungen sind uns gegeben, wenn wir nur standhaft bleiben bis ans Ende! Hierzu wolle uns und dir der Herr seine Gnade geben, damit wir das neue Lied in Zion mit den 144000 singen helfen mögen, welche mit Weibern sich nicht befleckt haben, sondern Jungfrauen sind, denn sie haben mit den Töchtern Babels nicht Hurerei getrieben.

Hiermit will ich dich, meine liebe Schwester in dem Herrn, dem Herrn und dem Worte seiner Gnade anbefehlen, welches dich und uns zum ewigen Leben bewahren kann. Also nehme ich denn von dir meinen Urlaub und Abschied auf dieser Erde, bis wir wieder zusammenkommen, wo kein Scheiden mehr sein wird, wo die Straßen von lauterem Golde, die Pforten aber von Perlen und köstlichen Steinen sind. Gute Nacht, gute Nacht, meine liebe Schwester in dem Herrn!

Geschrieben von mir, Syntgen von Rousselare, des Hieronymus Weib, deiner schwachen Schwester in dem Herrn. Halte mir mein einfaches Schreiben zu gut, denn es geschieht aus rechter Liebe; ich habe die Gabe nicht.

Grüße mir dein Volk, wo du wohnst, und alle lieben Freunde, bekannte und unbekannte, mit dem Frieden des Herrn, insbesondere deinen Bruder und deine Schwester, und Passchier, meinen guten Bekannten. Es lassen auch meine Mitgefangenen deine Liebe herzlich grüßen mit dem Frieden des Herrn; bitte doch den Herrn herzlich für uns, wir wollen es auch herzlich gern für dich, nach unserm schwachen Vermögen, tun, und laß uns allezeit ernstlich anhalten, damit uns niemand unsere Krone nehme, und wir mit den klugen Jungfrauen zur Freudenruhe eingehen mögen, Amen.