Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.622

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2.622  Abschrift eines Briefes von Janneken Munstdorps eigener Hand, geschrieben an ihren Vater und ihre Mutter, zu Antwerpen auf dem Steine, den 19. September 1573.

Einen rechten Verstand und ein zerschlagenes Gemüt in euer Herz, um Gott zu fürchten, wünsche ich euch, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, zum freundlichen Gruß.

Nebst einem herzlichen und geziemenden Gruße, verlasse ich euch nun, mein sehr werter und herzgründlich geliebter Vater, wie auch liebe und werte Mutter, ohne meine lieben Brüder und Schwestern zu vergessen, die ich, um des Herrn willen, nun alle verlassen muss; ich darf nicht hoffen, euer Angesicht auf dieser Welt wiederzusehen, weil ich hier sitze, gefangen und gebunden, und das um des Herrn willen, und jeden Tag gewärtig bin, daß mir das Todesurteil gefällt werde.

Ferner, mein lieber Vater, da mir der Herr, durch seine große Gnade, noch Zeit gegeben hat, euch ein wenig zu schreiben, so treibt es mich, euch von meines Leibes Gesundheit Nachricht zu geben. Darum schreibe ich euch, daß es mit mir, dem Fleische nach, noch ziemlich wohl stehe, und dem Geiste nach ist mein Gemüt noch Willens, bei dem lebendigen, allmächtigen und ewigen Gott zu bleiben, und um keiner Marter willen, die sie mir auch antun werden, von Ihm abzufallen, denn es steht geschrieben: Wer mich vor den Menschen bekennt, den will ich auch vor meinem Vater bekennen, der im Himmel ist. Ich weiß, daß derselbe Gott mich aus dieser Trübsal erlösen wird, wenn ich Ihm nur getreu bleibe, und neben Ihm keinen andern Gott suche; darum hoffe ich auch, daß Er das gute Werk, das Er in mir angefangen hat, mir wird ausführen helfen, damit sein Name durch mich gepriesen werde.

Deshalb, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, wünsche ich von Herzen, daß es mit euch, dem Geiste nach, auch so wäre, wie es gegenwärtig mit mir bestellt ist, solches würde mir eine große Freude sein, wenn ihr nur einmal den Herrn fürchten würdet. Ach möchtet ihr noch in der letzten Stunde in des Herrn Weinberg arbeiten, denn obgleich ihr frei und nicht in Haft seid, so seid ihr doch keine Stunde versichert, wie lange ihr leben werdet.

Darum, meine Geliebten, ist euch das Wachen auch anbefohlen, denn an dem letzten Tage werdet ihr keine Entschuldigung machen können, daß ihr nicht gewusst hättet, welches der enge Weg ist, der, wie Esra sagt, zum ewigen Leben führt, wo auf der einen Seite Wasser und auf der andern Seite Feuer ist, welchen Weg zwar viele wissen, aber nur wenige wandeln.

Darum, lieber Vater und liebe Mutter, ist uns Wasser und Feuer vorgestellt; wir mögen erwählen, was wir wollen, das Leben oder den Tod. So haben wir denn, lieber Vater, hier im Leben durch dieses Sterben die Seligkeit gesucht, um ewig zu leben, dieses Vergängliche zu vertauschen, um das Unvergängliche zu erlangen, denn das Leiden dieser Welt ist doch nicht mit der Herrlichkeit zu vergleichen, die an uns offenbar werden soll. Werden wir hier auch von allen Menschen unterdrückt, und vor aller Welt als ein Spott und Schauspiel geachtet, so werden sie dennoch am jüngsten Tage bekennen müssen, daß sie unschuldiges Blut vergossen haben; dann werden sie sehen, in wen sie gestochen haben; sind wir hier auch arm geachtet, so werden wir doch noch viel Güter ererben, wenn wir Gott fürchten und die Sünde meiden.

Darum, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, müsst ihr auch bisweilen hören, daß ich um einer schändlichen Sekte oder ketzerischen Lehre willen gefangen sitze, wie ich vermute, daß man sagt und gesagt hat; man sagt uns aber viel nach, was doch die Wahrheit nicht ist. Ihr wisst es ja wohl, daß es nicht wegen irgendeiner bösen Tat geschieht, sondern es geschieht um unserer Seelen Seligkeit willen; werden wir auch verachtet, so geschieht es doch um der rechten Wahrheit willen; es wird auch in Ewigkeit keine andere gefunden werden, ich habe ja doch auch nichts anderes darin gesucht.

Wenn ich nicht gerne selig wäre, so hätte ich auch gerne das gemächliche Leben gesucht, wie andere, aber wer Gott fürchten will, der muss Druck, Leiden, Bande und Gefängnisse erwarten; wir mögen doch nirgends einen sichern Ort haben, denn uns ist es nicht allein gegeben, an Gott zu glauben, sondern auch um seines Namens willen zu leiden. So betrübt euch denn nicht darüber, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, wenn ich hier um Christi willen des Todes sterben muss, und die Menschen allerlei Übles von mir sagen, denn haben sie den Herrn Beelzebub genannt, wie viel mehr diejenigen, die an Ihn glauben? Darum verwundert euch nicht; unterlasst auch nicht, meinem kleinen Kinde wohlzutun, welches ich in großer Betrübnis während meiner Bande getragen und geboren habe, und welches ich wie meine Seele liebe, sodass ich nicht ohne Tränen davon schreiben kann, wenn ich an meinen lieben Mann denke, von welchem ich es empfangen habe, und welches ich nun hier lassen muss; aber der Herr weiß, warum Er es so gefügt hat, daß ich noch ein Waislein hier zurücklassen muss. Ich befehle es euch und dem, der es erschaffen und gemacht hat, und hoffe, daß Er ihm nichts Böses widerfahren lassen wird, obgleich es hier seines Vaters und seiner Mutter beraubt worden ist; der Herr weiß wohl, wie ich es getragen habe, und warum es geschehen ist. Darum tragt väterliche Sorge für dasselbe, mein lieber Vater, und du, liebe Mutter, solange ihr lebt; erweist die Liebe, die ihr zu mir tragt, meinem lieben Kinde. Wer den Baum liebt, der soll auch die Zweige lieben.

Ach, ach, wenn es der Herr hinweg nehmen möchte, welche große Freude würde mir das sein, weil ich sterben muss. Ach, wäre es des Herrn Wille gewesen, daß ich es noch hätte aufziehen mögen, wie würde ich es in Ehren gehalten haben um meines lieben Mannes willen, und hätte ich auch Mangel leiden müssen, so würde ich es doch nicht von mir gelassen haben; doch des Herrn Wille müsse geschehen. Vielleicht bin ich nicht tüchtig dazu, daß ich dem Herrn ein Opfer tue; Er hat vielleicht etwas in mir gefunden, daß Er mich noch hier sitzen lässt; ich dachte nicht, daß ich hier so lange sitzen würde, denn, lieber Vater, ich habe mich sehr vor einer langen Gefangenschaft gefürchtet, jetzt aber ist es mir doch begegnet, was mich sehr betrübt hat, indem ich weiß, daß es hier sehr viel kostet, und weil ich meiner Schwester hier so beschwerlich falle, denn sie hat hier viele Mühe und Unkosten, wiewohl ich weiß, daß sie es herzlich gern tut. Aber, mein lieber Vater, ich weiß wohl, daß ihr Vermögen nicht groß ist, und deswegen weiß ich es ihr nicht genug zu danken; ich habe es auch niemals an ihr verdient, was sie mir erwiesen und angeboten hat, denn sie hat die Liebe in der Not bewiesen; man hat bisweilen viele Freunde, jedoch nur so lange, bis man sie nötig hat; in der Not soll man die Freunde kennen. Ach wäre ich im Anfang hinweggenommen worden, dann hättet ihr nicht nötig gehabt, um meinetwillen Kosten zu haben. Aber, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, ich hoffe, daß ihr mich in der Not nicht verlassen werdet; ich hoffe, ihr werdet meiner Schwester die Kost bezahlen helfen und was noch übrig bleibt, wie ich in dem Briefe geschrieben, das sollt ihr für mein Kind aufbewahren. Mein Vater, du kannst wohl denken, daß wir nicht viel zu verzehren hatten, denn wir hatten nicht viel, als wir einander heirateten; ebenso waren wir auch noch nicht lange getraut, darum dachte ich, das was da wäre, wiewohl es nicht viel ist, solltest du für mein Kind behalten; und weil ihr schreibt, daß meine Schwester für mich Sorge tragen würde, so dachte ich, ihr werdet mir darin helfen. Meine Schwester hat ihr Bestes getan, mir zu helfen, ich weiß auch wohl, daß es ihr schwer fällt; sie haben auch viel daran gesetzt, daß ich nicht ins Loch gehen musste, was ich gern hatte tun wollen, weil es so lange währt, und es hier so viel kostet, wiewohl man im Loche auch nicht ohne Kosten sitzt; auch kann man dort nichts sehen; sie wollen mich in keiner Not verlassen, und lieber Geldopfer bringen, als mich ins Loch gehen lassen. Weiter, lieber Vater, wisse, daß ich mit Hans von der Dam Briefe gesandt habe, ich habe aber noch keine Antwort erhalten; wenn ich ausgekämpft haben werde, so forsche nach, ob es noch etwas ist, es würde meinem Kinde wohltun. Ich habe auch meinem Kinde ein Testament geschrieben, wobei es sich meiner und seines Vaters erinnern kann; wenn es zu seinem Verstand gekommen sein wird, und du noch am Leben bist, so laß es ihm vorlesen, damit es wissen möge, warum sein Vater und seine Mutter gestorben sind.

Weiter, lieber Vater, weiß ich dir nichts Besonderes zu schreiben; sollte ich dir aber nicht wieder schreiben, sondern meine Reise bald antreten müssen, ja, wenn es schnell vor sich gehen würde, so schreibe mir bald ein Brieflein, wie es mit euch und mit meinem Kinde steht, und wenn ihr etwas von Hans vernehmt, so lasst doch meinen Bruder Passchier einen Brief schreiben und denselben seinem Vater senden.

Für dieses Mal nichts weiter. Hiermit noch einmal gute Nacht, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, und alle meine Brüder und Schwestern. Vergesst meines lieben Kindes nicht um meinetwillen, und gedenkt dabei meiner allezeit. Grüße meine Schwester sehr herzlich, und sage ihr in meinem Namen für alle Gunst, die sie mir erwiesen hat, herzlichen Dank; der Herr wird es nicht unbelohnt lassen. Gehabt euch wohl, küsst mein Kind statt meiner und besucht es bisweilen. Grüßt Pleuntjen und Lieven herzlich, und sagt ihnen, daß ich sie bitte, an dem Kinde das Beste zu tun und es um meinetwillen zu lieben, denn es kommt von einem lieben Pfände her, welches ich über alles, was auf Erden ist, liebe; ich hoffe nun bald meinem Manne zu folgen, wenn es des Herrn Wille ist. Ach, hätte ich mit ihm sterben und das Reich Gottes mit ihm ererben mögen. Gehabt euch wohl; hiermit, mein lieber Vater und meine liebe Mutter, bleibt Gott befohlen.

Von mir, eurer lieben Tochter, Janneken Munstdorp, gefangen um des Zeugnisses Jesu Christi willen zu Antwerpen.