Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.545

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2.545  Der dritte Brief, geschrieben in Deventer, im Gefängnisse, durch Ydse Gaukes.

Die Gnade Gottes, unsers himmlischen Vater, der Himmel und Erde erschaffen und gemacht hat, und die Liebe seines werten Sohnes unsers Herrn, Erlösers und Seligmachers, welcher Jesus Christus ist, durch welchen er uns von der ewigen Feindschaft und höllischen Pein erlöst hat, wie auch die Kraft des Heiligen Geistes, der in allen seinen Auserwählten wirkt, wünschen wir unsern bekannten wie auch unbekannten Brüdern und Schwestern, und allen Liebhabern der Wahrheit zu einem sehr herzlichen und freundlichen Gruße, Amen.

Ferner, mein auserwählter Bruder und meine auserwählte Schwester, als Mitgenossen unseres allerheiligsten Glaubens, durch Gottes Gnade und Barmherzigkeit, und Reben an dem Weinstocke des Herrn, gedenken wir Gefangene, die wir um des Zeugnisses der Wahrheit willen gefangen liegen, noch ein wenig an euch zu schreiben, damit ihr auch an uns denkt, wenn es anders der Herr zulässt, daß ihr dieses Wenige aus der Löwengrube in die Hände bekommt. Wir denken und hoffen, daß uns unser Herr bald erlösen werde, sodass wir keine Zeit mehr haben werden zu schreiben; hätten wir meine Schwester nicht, so müssten wir uns sehr genau behelfen, und müssten Hunger leiden; jetzt aber haben wir genug; der Herr wolle es denen belohnen und hundertfältig erstatten, die an uns Barmherzigkeit erweisen.

Mein geliebter und sehr werter Bruder und meine geliebte Schwester durch den Gehorsam des Evangeliums, ihr sollt wissen, daß wir im Fleische noch ziemlich gesund und unverändert im Glauben sind, und daß wir auch gewiss sind, daß es die rechte Wahrheit ist, und keine andere gefunden werden wird, weder in Zeit, noch in Ewigkeit, denn davon sind wir überzeugt, daß der Herr in allen seinen Verheißungen treu ist, wie er denn auch sagt, daß er die Seinen nicht verlassen, sondern sie wie seinen Augapfel bewahren, auch sie nicht über Vermögen versucht werden lassen, sondern neben der Versuchung ein Auskommen verschaffen will, worauf wir auch ein festes Vertrauen haben. Darum, mein lieber und auserwählter Bruder und meine geliebte Schwester, bittet doch den Herrn herzlich für uns, daß er uns Kraft und Stärke geben wolle, wenn die Stunde des Leidens vor der Türe ist, denn unsere Verfolger drohen uns sehr, daß sie uns auf allerlei Weise peinigen und lebendig langsam braten wollen.

Darum, meine lieben Brüder und Schwestern in dem Herrn, helft doch den Herrn für uns bitten, denn von uns selbst haben wir doch nichts als Schwachheit, und sind mit einem zerbrechlichen Fleische umgeben; wenn wir aber des Herrn Wort überlegen und die Verheißungen, welche er denen gegeben, die bis ans Ende tapfer streiten und dabei bleiben, so finden wir hinreichenden Trost, denn wer standhaft bleibt, wird die Verheißungen empfangen, indem er niemals jemanden verlassen hat, der auf ihn sein Vertrauen gesetzt hat, und die des Streites eingedenk sind, den unser Hauptmann Jesus Christus für uns geführt hat, damit sie ihm so gutwillig nachfolgen. Darum erwarten wir unsere Erlösung mit Freuden, und wenn sie uns auch sehr drohen, so können sie uns doch nicht mehr tun, als ihnen der Herr zulässt, und was ihnen der Herr zulässt, dem wollen wir uns übergeben, denn unser Fleisch hat wohl tausendmal mehr verdient, als womit wir den Herrn so oft erzürnt haben. Ferner, meine lieben Brüder und Schwestern, sind wir von Tag zu Tag gewärtig unser Opfer zu tun, wie wir denn auch meinten, daß es geschehen würde, als unsere Mitgefangenen ihr Opfer taten. Nun denn, meine sehr geliebten Brüder und Schwestern, die ihr euch unter den Gehorsam des Evangeliums begeben habt, und mit Noah in die Arche getreten seid, und mit Lot aus Sodom, und mit Mose aus Ägypten durch das Rote Meer gegangen seid, und lieber mit den Kindern Gottes Ungemach leiden, als die zeitliche Ergötzlichkeit der Sünden mit Pharao haben wolltet, nun denn (sage ich), meine lieben Freunde, seid fromm mit dem gerechten Noah, der auf des Herrn Verheißungen ein festes Vertrauen hatte, und den Tag mit Geduld erwartete, der ihm von dem Herrn verheißen war, nämlich 120 Jahre. Seht, meine lieben Brüder und Schwestern, die ihr nun noch in Hütten sitzt, und mit Noah die Verheißung empfangen habt, daß ein Tag kommen wird, der über alles Fleisch gehen wird; werdet ihr aufrichtig vor dem Herrn erfunden, dann werdet ihr mit Noah ewig erhalten werden. Seid dem Herrn gehorsam mit Lot, und habt einen festen Glauben an das, was euch Gott gebeut, denn er will, daß man seine Gebote halte, wie wir denn auch ein Exempel an Lots Weibe haben, welche in eine Salzsäule verwandelt worden ist, und ferner an den Kindern Israel, welchen, als sie seine Gesetze und Gebote hielten, niemand Schaden zufügen konnte. Hiervon haben wir auch ein Exempel an den Kindern Israel, denselben war das Land der Verheißung zugesagt; aber sie haben es nicht verlangt, weil sie nicht auf den Herrn vertrauten, denn von sechsmal hunderttausend sind nicht mehr als zwei in das Land der Verheißung gekommen; aber ihre Nachkömmlinge hat Josua durch den Jordan geführt, welchen der Herr auch mit Kraft beigestanden, sodass sie, nach seinem Befehle, mit der Bundeslade um Jericho gegangen sind, worauf die Mauern einfielen.

Seht, meine lieben Brüder und Schwestern, wenn wir auf des Herrn Vorschrift fortwandeln und den Herrn Tag und Nacht anrufen, so wird er für uns streiten, ja, unsere Feinde werden uns nicht verhindern können, sondern müssen zu Schanden werden; aber wenn auch die Gerechten den Herrn wieder verlassen, so müssen sie ihren Feinden den Rücken kehren, wie man im Josua von Achan, und auch von Saul, dem ersten Könige in Israel, liest, welcher, als er von dem Herrn den Befehl empfing, daß er wider die Amalekiter in den Streit ziehen und niemanden verschonen sollte, hingezogen ist und den Befehl des Herrn nicht gehalten hat; darum ist auch der Geist des Herrn von ihm gewichen. Deshalb hat der Herr den David an seine Stelle gesetzt, welchen Saul aus diesem Grunde auch verfolgt hat, wie denn die Gerechten von den Ungerechten allezeit leiden müssen, wie Jakob von Esau, Abel von Kain, weil sein Opfer angenehm war vor dem Herrn, das seines Bruders aber nicht; darum wurde er vom Kain ermordet, welches Geschlecht noch jetzt in dieser Welt ist.

Seht, meine sehr geliebten, auserwählten und werten Brüder und Schwestern, welchen die Wahrheit offenbart ist, die doch so vielen Tausenden verborgen ist, und die ihr Gnade von Gott empfangen habt; lasst uns dem Herrn gehorsam sein, wie unser Vater Abraham getan hat, der ein Vater aller Gläubigen ist, und Jephta, der seine eigene Tochter nicht verschont hat, sondern sie dem Herrn freiwillig aufgeopfert hat. Darum, meine lieben Brüder und Schwestern, lasst uns der Furcht des Herrn uns befleißigen und seine Gebote halten, dann wird er uns gnädig sein. So seid denn nun, meine sehr geliebten Brüder und Schwestern, getreu bis ans Ende, erschreckt und fürchtet euch nicht, denn, obgleich dieses Geschlecht jetzt große Macht hat, das Volk Gottes umzubringen und zu töten, so können sie doch nicht mehr tun, als ihnen der Herr zulässt. Darum lasst uns gute Wache über unsere Seele halten, und allezeit wachsam sein, den der Herr selbst sagt: Wacht und betet, denn der Herr wird kommen, wie ein Dieb in der Nacht. Ach, meine lieben Brüder und Schwestern; lasst uns alsdann mit den fünf klugen Jungfrauen allezeit Öl in unsern Lampen haben, und allezeit bereit stehen und auf die Zukunft unsers Bräutigams warten, damit wir mit Gideon tüchtig erfunden werden möchten; denn sie waren nicht alle angenehm, sondern es sind ihrer nur dreihundert tüchtig erfunden worden, gleichwie auch Christus selbst sagt: Viele sind berufen, aber wenige auserwählt.

Darum, meine lieben Brüder und Schwestern in dem Herrn, lasst uns doch den Herrn ernstlich und mit brünstigem Herzen bitten, daß wir zu dem kleinen Häuflein erkannt und gerechnet werden mögen, und ein Stein an des Herrn Tempel und eine Rebe an des Herrn Weinstocke sein mögen, damit wir unserm Hirten und Bischöfe tapfer bis ans Ende nachfolgen, dann wird es uns wohlgehen, und wir werden in aller Gerechtigkeit und Heiligkeit wandeln, und allezeit an den Tag des Herrn gedenken und von dem Wege des Herrn nicht weichen; dann wird er sich unserer erbarmen und uns gnädig sein; denn er wird die Schafe von den Böcken scheiden, und wird zu denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, ihr Gesegneten, ererbt das Reich, das euch bereitet ist; und zu denen zu seiner linken Seite: Geht, ihr Verfluchten, von mir in das ewige Feuer. Ach, wie jämmerlich wird es dann um diejenigen stehen, welche hier die Menschen mehr gefürchtet haben als den Herrn, ja die jetzt sagen: Der Herr ist gnädig und barmherzig, was zwar die Wahrheit ist; er ist aber auch gerecht, und will, daß man seine Gebote halte. Darum, o liebe Menschen, denkt an den Tag, von welchem Petrus sagt, daß ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre seien; welch eine jämmerliche Klage wird man dann darüber machen? Seht, meine lieben Brüder und Schwestern, mein Schreibzeug ist nicht ausreichend; deshalb muss ich schließen; darum wollen wir Gefangene hiermit unsern Abschied von euch nehmen, nämlich wir vier; unsere Namen sind euch wohl bekannt; sendet dieses Schreiben auch unserer Schwester Lyntgens Bruder Jan de P. Wir Gefangenen lassen euch mit des Herrn Worte herzlich grüßen; wir sind noch wohlgemut und hoffen auch, dem Herrn ein freiwilliges Opfer zu tun; Gott der Herr wolle uns mit seinem Geiste stärken. Und ihr, liebe Brüder, Bauke, Simon und Pieter, die ihr meine Brüder nach dem Fleische seid, tragt doch Sorge für eure Seelen; lasst es nicht darauf ankommen, daß ihr noch jung seid, denn ihr wisst weder Stunde noch Zeit; auch ist euch so viel offenbart, daß ihr wohl wisst, was die Wahrheit ist. Hiermit will ich euch meinen letzten Abschied zusenden, ich denke nicht, daß ich euch mehr sehen werde; trachtet aber darnach, daß wir einander mit Freuden wiedersehen mögen.

Nun, mein lieber Bruder Bauke, samt deinem Weibe; deine Mutter, deine Schwester und ich, dein Bruder, lassen dich herzlich grüßen, so wie alle Bekannten; hier sende ich euch unsern letzten Gruß: Der Herr wolle uns tüchtig machen, daß wir einander dermaleinst mit Freuden wiedersehen mögen. Claes lässt euch herzlich grüßen; auch lassen wir alle diejenigen grüßen, die unserer im Schreiben eingedenk gewesen sind, wie wir uns denn sehr erfreuen, daß ihr noch solche Lust zu der Wahrheit habt. Hiermit nehmen wir von unsern lieben Brüdern und Glaubensgenossen unsern letzten Abschied; der Herr wolle euch alle bewahren, in Gerechtigkeit und Heiligkeit, Amen.

Geschrieben in unserm dunklen Gefängnisse, mit schlechtem Schreibzeuge; darum nehmt es zum Besten auf. Gegeben den 95. Tag unserer Gefangenschaft im Jahre 1571, den 14. Juni, in Deventer.