Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.317

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2.317  Ein Testament von Soetgen von der Houte, welches sie ihren Kindern David, Betgen und Tanneken zum Andenken und als das beste Gut hinterlassen, welches sie mit ihrem Tode zu Gent in Flandern befestigt hat. Im Namen des Herrn.

Gnade, Friede und Barmherzigkeit von Gott, dem Vater und dem Herrn Jesu Christo, wünsche ich euch, meinen lieben Kindern, zum angenehmen Gruße, David, Betgen und Tanneken, geschrieben in Banden von eurer Mutter, auch zu einem Andenken der Wahrheit; ich hoffe ihr sowohl mit Worten, als mit dem Tode durch des Höchsten Hilfe Zeugnis zu geben, euch zu einem Beispiele. Die Weisheit des Heiligen Geistes wolle euch darin unterrichten und stärken, damit ihr in des Herrn Wegen auferzogen werden mögt, Amen.

Ferner, meine lieben Kindlein, weil es dem Herrn so gefällt, mich aus dieser Welt zu nehmen, so will ich euch ein Andenken zurücklassen, nicht von Silber oder Gold, denn solche Juwelen sind vergänglich; aber ich wollte gern ein Juwel in euer Herz schreiben, wenn es möglich wäre, welches das Wort der Wahrheit ist. Darin will ich euch ein wenig Unterricht erteilen mit dem Worte des Herrn, nach der geringen Gabe, die ich nach meiner Einfalt vom Herrn empfangen habe.

Zuerst ermahne ich euch, meine Geliebtesten, daß ihr euch allezeit von denen unterrichten lassen wollt, die den Herrn fürchten, dann werdet ihr Gott gefallen, und er wird euer Vater sein und euch nicht als Waisen lassen, solange ihr der guten Ermahnung und Unterwerfung gehorcht und den Herrn fürchtet. Denn David sagt: »Wer ist, der den Herrn fürchtet? Er wird ihn unterweisen den besten Weg;« und ferner sagt er: »Siehe, des Herrn Auge sieht auf die, die ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen, damit er ihre Seele vom Tode errette. Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten.« Fürchtet den Herrn, ihr, seine Heiligen, denn die ihn fürchten, haben keinen Mangel; die Furcht des Herrn ist der Anfang aller Weisheit.

Darum, liebe Kindlein, lernt doch den Herrn fürchten, dann werdet ihr Weisheit empfangen. Der weise Mann sagt: Ein weiser Sohn lässt sich unterweisen; wer die Züchtigung und Unterweisung liebt, der wird verständig werden; ein weiser Sohn fürchtet und scheut das Arge. Ein weiser Sohn erfreut den Vater, aber ein törichter Sohn beschämt seine Mutter; wer mit den Weisen umgeht, der wird weise, aber wer der Narren Gesell ist, der wird ihnen gleich. Wer die Züchtigung und Unterweisung fahren lässt, der verwirft seine eigene Seele; aber wer die Bestrafung hören will, der wird klug.

Ach, meine Geliebtesten! Wollet nicht weichen von der Züchtigung. Der weise Mann sagt: »Züchtige deinen Sohn, weil noch Hoffnung zu ihm ist.«

Darum, meine Geliebtesten, betrübt euch nicht, wenn ihr gezüchtigt werdet, und redet nicht unfreundlich wider diejenigen, die euch strafen. Eine gelinde Antwort stillt den Zorn, aber ein hartes Wort richtet Grimm an; wenn man euch unfreundlich anredet, so lernt freundlich antworten, dann werden euch alle Menschen lieben, denn Sanftmut und Demut ist Gott und den Menschen angenehm.

Ferner, meine lieben Kindlein, ermahne ich euch, daß ihr euch vor den Lügen hütet, denn die Lügner haben keinen Teil im Reiche Gottes; auch steht geschrieben: Lügenhafte Lippen sind vor Gott ein Gräuel und wessen Mund lügt, dessen Seele soll sterben. Darum, meine vielgeliebten Kindlein, hütet euch doch davor, denn wer mit Lüge umgeht, wird von niemandem geliebt.

Meine lieben Kindlein, bewahrt dieses in euren Herzen, meine lieben Schäflein, bewahret eure Zunge, daß sie nichts Übles rede; begehet auch keinen Betrug mit euren Lippen, verleumdet auch nicht hinterwärts, denn dadurch kommt Streit und Uneinigkeit; Paulus aber lehrt uns, mit allen Menschen, wenn es möglich ist, Frieden zu halten.

Meine Geliebtesten, behaltet dieses von eurer Mutter, daß ihr euren Eltern und denen gehorsam seid, deren Brot ihr esst, auch allen, die euch in der Tugend unterrichten; seid allezeit fleißig euer Werk zu tun, wo ihr seid, denn Paulus sagt: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.

Ferner steht geschrieben: Schafft mit euren Händen etwas Gutes, damit ihr etwas dem Dürftigen zu geben habt. Darum kehrt oder wendet euer Angesicht nicht von dem Armen; wer seine Ohren vor dem Geschrei der Armen verstopft, der wird rufen und nicht erhört werden; Tobias aber lehrt seinen Sohn: Sohn, hast du viel, so gib reichlich, hast du wenig, so gib doch das wenige mit treuem Herzen; ein Almosen von seiner Arbeit ist Gott angenehm. Der weise Mann sagt: Almosen treibt Sünde aus. Ferner liest man von Cornelius und Tobias, daß der Engel sagte: Dein Gebet und Almosen sind ins Andenken vor den Herrn gekommen, den du mit Tränen batest, und verließest deine Mahlzeiten, um die Toten zu begraben.

Darum seid ernstlich im Gebete und liebt den Armen, denn Christus ist um unseretwillen auch arm gewesen. Darum seid auch barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist, denn solche sind selig und werden Barmherzigkeit erlangen; lernt auch von Herzen sanftmütig und demütig sein, denn solche sind selig und werden das Erdreich besitzen; selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.

Darum, meine lieben Kindlein, lasst keine unreinen Gedanken in eurem Herzen bleiben, sondern seid mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern beschäftigt, dann werden die bösen Gedanken keinen Raum haben; lasst auch kein faules Geschwätz aus eurem Munde gehen, denn von all dergleichen muss man Rechenschaft geben.

Ferner, meine Geliebtesten, wo ihr auch seid, haltet euch zu den Geringen und achtet euch selbst nicht für weise, sondern lasst euch allezeit von denen unterrichten, die über euch sind, und wenn andere reden, so schweigt allezeit. Demütigt euch unter alle Menschen, denn wer sich selbst erhöht, soll erniedrigt werden; wer sich selbst erniedrigt, soll erhöht werden. So hat auch Christus, der der Größte ist, sich selbst zum Geringsten gemacht, uns zum Vorbilde, desgleichen steht auch geschrieben: Je größer du bist, desto mehr demütige dich, dann wirst du Gott angenehm, denn die große Herrlichkeit Gottes wird von den Demütigen geehrt.

Meine Kindlein, seid auch in allen Geschäften gerecht, denn auf dem Wege der Gerechtigkeit ist das Leben, und auf dem gebahnten Pfade ist kein Tod. Es ist den Gerechten eine Freude, zu tun, was recht ist, aber eine Furcht den Übeltätern; ferner, erwählt euch, mit eurer Hände Arbeit euch zu ernähren und euer Brot in Frieden zu essen; trachtet nicht nach dem Handel, bekümmert euch auch nicht um großen Gewinn; es ist besser wenig mit der Furcht Gottes, als große Schätze mit Unfrieden; ein trockener Bissen Brot in Ruhe ist besser, als viel geschlachtete Tiere in Unruhe.

Meine lieben Kindlein, liebt auch weder üppige Speisen, noch den Wein; wer köstliche Mahlzeiten begehrt, wird nicht reich; sondern seid mit der Arbeit eurer Hände zufrieden.

Übervorteilt auch niemanden, sondern seid zufrieden mit dem, was billig ist, wie ihr an mir gesehen habt, solange ihr eure Notdurft erwerben könnt; seid niemandem beschwerlich, es ist besser zu geben, als zu nehmen. Paulus sagt auch: Wenn ihr Nahrung und Decke habt, so lasst euch begnügen.

Deshalb, meine lieben Kindlein, nehmt hieran ein Beispiel, und wandelt allezeit auf des Herrn Wegen in Mäßigkeit und Dankbarkeit, wie ihr mich oft von Daniel, von Sadrach, Mesach und Abednego lesen gehört habt; diese waren von dem Könige von Babel erwählt, daß sie von demselben Weine und von derselben Speise, die der König an seiner Tafel aß, auferzogen werden sollten, daß sie schön sein möchten, um dem Könige zu dienen; aber sie begehrten nichts als Gemüse und Wasser; sie wollten mit Mäßigkeit und Dankbarkeit ihres Vaters Gebote und Gesetze unterhalten in der Furcht Gottes; sie waren auch schöner und fetter als diejenigen, die von des König üppigen Speisen aßen. Sie wandelten so treulich in des Herrn Wegen und gefielen in ihrem Bitten und Flehen dem Herrn so gut, daß Gott durch sie große Dinge getan, und sie aus der Löwengrube und aus dem feurigen Ofen errettet hat. So hat auch Joseph, als er in Ägypten verkauft wurde, weder üppige Speise, noch Wein begehrt, als ihn die ägyptischen Weiber zu verführen suchten, sondern er fürchtete Gott, und der bewahrte ihn; er war mit seiner Mäßigkeit und mit seinem Gebete bei Gott angenehm, sodass er zum Obersten in ganz Ägypten gesetzt wurde.

Meine lieben Kindlein, nehmt hieran ein Beispiel von eurer Jugend an, dann werdet ihr Gott gefallen, und er wird euch vor aller Verführung bewahren.

Ach meine Schäflein! Ihr seid noch in eurer Jugend, in eurer Kindheit; ihr habt noch euren Teil in eures Vaters Reiche; seht zu, daß ihr es wohl verwahrt, daß ihr nicht wie Esau handelt, der das Erbteil seiner ersten Geburt für eine Schüssel Mus hingab, und den Segen seines Vaters nicht achtete; er gab es hin für eine vergängliche Speise; aber Jakob hat das bessere Teil erwählt, und war Gott und seinem Vater gehorsam und wandelte in des Herrn Wegen mit aller Gerechtigkeit.

Meine Geliebtesten, trachtet nach Unterricht, damit ihr unterwiesen werden mögt, welches der rechte Weg sei, denn nun steht euch bevor, das Leben oder den Tod, Gutes oder Böses zu erwählen; was ihr nun erwählen werdet, das wird euch gegeben werden; nämlich, habt ihr eure Lust an dem Bösen, sodass ihr die Ergötzlichkeit der Welt erwählt, wovon alle Ungerechtigkeit herkommt, nämlich Lügen und Betrügen, Spielen, Tauschen, Schwören, Fluchen, Afterreden, Hass, Neid, Saufen, Fressen, Geschwätz, Tanzen , so erwählt ihr den Tod, denn obgleich solches vor der Welt nicht als Sünde geachtet ist, sondern für eine Ergötzlichkeit, so ist es gleichwohl ein Gräuel vor des Herrn Augen.

Darum, sag ich, meine lieben Kindlein, seht zu; habt ihr eure Lust an allen solchen Werken, so verkauft ihr eure erste Geburt oder eures Vaters Erbteil für eine Schüssel Mus, nämlich für ein wenig zeitliche Wollüste, und diese führen euch zur Verdammnis; merkt darauf, ob nicht der große Haufen diesen Weg zu gehen erwählt; darum hat Esdras wohl recht gesagt, daß man viel mehr Erde fände, irdene Gefäße zu machen, als Gold, um güldene Gefäße zu machen; und wie der großen Wellen im Meere mehr sind als der Tropfen so werden derer mehr sein, die verdammt werden sollen; viele sind berufen, aber wenige auserwählt, weil sie ihres Rufes nicht wahrnehmen; denn Christus sagt: »Meine Schafe hören meine Stimme, und sie folgen mir nach;« diese aber folgen dem großen Haufen der Gottlosen und der falschen Propheten.

Darum sagt Jesaja: »Die Hölle hat ihren Rachen weit aufgetan, um die Hoffärtigen und alle diejenigen zu verschlingen, die die Ungerechtigkeit tun, samt allen, die sich nicht bessern wollen.«

Deshalb seht, meine Geliebtesten, wenn ihr euch zur Tugend unterrichten lasst, so werdet ihr der Stimme des Herrn gehorchen, wie von Abels Zeiten an bis hierher viele getan haben, welche gelitten haben, verschmäht, verachtet, verfolgt und getötet worden sind, weil sie der bösen Welt und ihrer falschen Propheten nicht folgen wollten.

Seht, meine Geliebtesten, erwählt lieber, mit den Kindern Gottes Ungemach zu leiden, damit ihr mit ihnen belohnt werden mögt, denn diese sind es, welchen alle schöne Verheißungen zukommen; aber sie müssen viel leiden, denn das Himmelreich leidet Gewalt, und die ihm Gewalt antun, reißen es zu sich; auch steht geschrieben: »Durch viel Trübsal müsset ihr ins Reich der Himmel eingehen.« Denn David sagt: »Wir werden als Schlachtschafe zum Tode geführt;« und Paulus sagt: »Wir, die wir leben, werden alle Tage zum Tode übergeben;« ferner steht geschrieben: »Ihr werdet weinen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, aber eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden; ihr werdet ein wenig Trübsal haben, aber seid getrost, und seid getreu bis zum Tode, dann will ich euch die Krone des Lebens geben. In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden; Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.« Ferner steht noch: »Die Hochzeit des Lammes ist gekommen, sein Weib hat sich bereitet, und es ward ihr gegeben, sich mit reiner und schöner Seide anzutun; die Seide aber ist die Gerechtigkeit der Heiligen. Selig sind, die zum Abendmahl des Lammes berufen sind.« »Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reiche.«

Seht, Geliebte, dieses ist der beste Teil, und der Lohn aller derer, die den Herrn fürchten, in seinen Wegen wandeln und seine Gebote bewahren. Diese sind es, zu welchen der Herr sagt: »Fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob, ihr armer Haufen, fürchtet euch nicht; ich will euch nicht als Waisen lassen, sondern ich will euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein, und ich will euch bewahren gleichwie meinen Augapfel; und wenn ihr meine Gebote bewahrt, so will ich euch wieder holen, wenn ihr auch hinweggeführt wäret, bis an das Ende des Himmels, und will euch an den Ort bringen, den ich erwählt habe.«

Ach, wer sollte einen solchen Herrn und Vater nicht lieben, der uns erwählt hat, gleichwie er Israel dort erwählt und uns seine Gebote und Gesetze, nämlich sein Evangelium, gegeben hat, welches uns lehrt, seinen Willen und sein Wohlgefallen zu tun, und solche hat er zu Erben aller Reichtümer des Himmels gemacht.

Ach, meine lieben Kindlein, dieses habe ich mit Tränen geschrieben, und ermahne euch aus Liebe, mit einem eifrigen Herzen, und bitte für euch, daß ihr, wenn es möglich wäre, von derselben Zahl erfunden werden mögt, denn als euer Vater mir genommen wurde, so habe ich meiner selbst nicht geschont, weder Tag noch Nacht, um euch aufzuziehen, und mein Gebet und meine Sorge war allezeit für eure Seligkeit bedacht, und noch jetzt, wo ich in Banden bin, ist dieses allezeit meine größte Sorge gewesen, weil ich euch nach meiner Umsicht nicht besser bewahren konnte, denn als mir gesagt wurde, daß man euch nach Oudenaerde und von da nach Brügge geführt habe, so ist mir solches so schwer gefallen, daß ich keine größere Betrübnis gehabt habe; als ich aber dachte, daß meine Sorgen und Anordnungen nichts helfen möchten, und daß man um Christi willen von allem, was man in der Welt lieb hat, scheiden müsste, so habe ich solches alles dem Willen des Herrn anheimgestellt, hoffe und bitte auch allezeit, daß er euch in seiner Barmherzigkeit bewahren wolle, gleichwie er Joseph, Mose und Daniel unter den gottlosen Menschen bewahrt hat, und so wird es euch auch wohl gelingen; werdet ihr euch mit Ernst nach der Wahrheit richten, so wird der Engel des Herrn mit euch sein, gleichwie er mit Tobias gewesen ist, welchen er geführt hat, bis er ihn in seines Vaters Haus gebracht, wo er sich mit seinem Vater und seinen Freunden erfreute und Gott für seine große Güte dankte.

Deshalb, wenn ihr der guten Unterweisung folgen werdet, so wird sie euch durch alle Gefahren führen, und zu eures Vaters Hause bringen, wo solche Freude bereitet ist, die kein Ohr gehört, auch kein Auge gesehen hat, noch in keines Menschen Herz gekommen ist, welche Freude für die Auserwählten zubereitet ist; aber den Auserwählten hat es Gott durch seinen heiligen Geist offenbart.

Dazu wolle euch das Wort des Vaters bringen, durch die Barmherzigkeit des Sohnes, und die Weisheit des Heiligen Geistes müsse euch stärken, daß ihr es angreifen möget, Amen.

David, mein liebes Kind, ich will dich hiermit dem Herrn anbefehlen; du bist der älteste, lerne Weisheit, damit du deinen Schwestern ein gutes Exempel gebest, und hüte dich vor aller bösen Gesellschaft; spiele auch nicht mit den bösen Knaben auf der Straße, sondern lerne wohl lesen und schreiben, damit du Verstand erlangst; und habt einander lieb, ohne Streit und Zank; es sei vielmehr der eine gegen den andern freundlich; der Verständigste soll den Geringern tragen und mit Freundlichkeit ermahnen; der Gesunde soll mit dem Kranken Mitleiden haben und ihm aus Liebe helfen worin er kann; der Reiche soll dem Armen aus brüderlicher Liebe Beistand leisten; die Jüngsten sollen den Ältesten gehorsam sein im Guten; ermahne einer den andern zum Fleiße in der Arbeit, damit ihr wert sein mögt; ermahnt einander zu guten Werken, zur Sittsamkeit, Ehrbarkeit und Stille; trage allezeit der eine für den andern Sorge, denn jetzt ist die Zeit, wo die Liebe erkalten wird, ja, wäre es möglich, es würden die Auserwählten verführt werden; darum seht zu und lernt fleißig die Schrift durchsuchen, damit ihr nicht verführt werdet; haltet euch allezeit an die erste und zweite Tafel, sie wird euch Unterricht genug geben, und glaubt es nicht gleich, wenn man Böses voneinander redet, sondern untersucht es, und macht kein großes Geschrei, wenn man euch belügt, sondern tragt es um Christi willen.

Liebt eure Feinde, und bittet für die, welche Böses von euch sagen und die euch Leiden zufügen; auch leidet lieber Unrecht, ehe ihr andern Unrecht tun solltet; ertragt lieber Verdruss, ehe ihr andern Verdruss bereitet solltet; leidet lieber Verschmutzung, ehe ihr einen andern schmähen solltet; lasset euch lieber belügen, ehe ihr einen andern belügen solltet; lasset euch lieber das Eurige nehmen, ehe ihr einem andern das Seine nehmen solltet; werdet lieber geschlagen, ehe ihr einen andern schlagen solltet, und so ferner.

Seht, meine Liebsten, dieses alles wird durch die brüderliche Liebe bewirkt, und ist in der zweiten Tafel begriffen; darum müsst ihr allezeit zusehen, daß ihr niemals euren eigenen Gewinn allein sucht, sondern tragt allezeit Sorge für diejenigen, mit welchen ihr Gemeinschaft in der Hantierung habt, es sei jung oder alt.

Ferner, meine lieben Kinder, Betgen und Tanneken, meine lieben Schäflein, ich ermahne euch in allem diesem, daß ihr den Geboten des Herrn gehorsam sein sollt, daß ihr ferner auch eurem Vetter und eurer Base, auch euern Eltern und allen, die euch zur Tugend anweisen, gehorsam sein wollt; demjenigen, dessen Brot ihr esst, müsst ihr Untertan sein in allem, was nicht gegen Gott ist; seid auch fleißig und ermahnt euch untereinander allezeit zur Verrichtung eurer Arbeit, dann wird man euch wert halten, wo ihr auch wohnt, und seid nicht zänkisch, schwatzhaft oder leichtfertig, auch nicht frech oder mürrisch im Reden, sondern freundlich, ehrbar und still, wie es den jungen Mägdlein gebührt. Bittet den Herrn um Weisheit, welche euch mitgeteilt wird; lernt gut lesen und schreiben; lasst solches eure Ergötzlichkeit sein, dann werdet ihr weise werden; erlustigt und beschäftigt euch mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern; ihren Freuden trachtet allein nach; lernt von eurer Jugend an dem Herrn gefallen, wie die heiligen Frauen und Jungfrauen getan haben, gleichwie Judith.

Auch war Esther eine Jungfrau, die Gott fürchtete, geziert mit Demut, lieblich, ehrbar, freundlich und eines niedrigen Herzens; darum hat sie dem König Ahasverus vor allen andern Jungfrauen wohl gefallen; aber sie war nicht hoffärtig in ihrem Stande, und wiewohl sie in königlichen Kleidern glänzte, so hat sie sich doch mit Fasten und Bitten zu dem Herrn für ihre Brüder erniedrigt, damit sie aus ihrer Feinde Hände erlöst würden, und hat sich selbst nicht höher geachtet als einer der Geringsten ihrer Brüder.

Seht, meine Geliebten, wenn ihr euren Verstand erreicht habt, so seht doch zu, daß ihr euch mit guten Werken ziert, nämlich mit Werken des Geistes, das ist mit allerlei Gütigkeit, Freundlichkeit, Sanftmut, Demut, Gehorsam, Geduld, Gerechtigkeit, Tüchtigkeit, Ehrbarkeit, Reinigkeit, Friedfertigkeit, Standhaftigkeit, Barmherzigkeit, Weisheit, Ernst zu guten Werken, Glauben, Hoffnung und Liebe; Gott über alles lieben, was in der Welt ist, und eurem Nächsten tun, was ihr wollt, daß man euch tun soll, daran hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Seht, meine lieben Kindlein, dieses ist der Schmuck der Heiligen.

Ach, meine Geliebtesten, bestrebt euch doch um dasselbe Hochzeitskleid, damit ihr mit der Zahl der Kinder Gottes zur Hochzeit des Lammes eingehen mögt, wo sie in ihres Vaters Reich wie die Sonne scheinen werden.

Dazu wolle euch die starke Hand des Herrn bringen; sie wolle euch geleiten, gleichwie sie Israel aus Ägypten begleitet hat, und euch in das neue Jerusalem bringen, damit wir am Tage der Auferstehung einander mit Freuden sehen mögen.

Hiermit will ich euch dem Herrn befehlen; der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs wolle euch bis ans Ende des Lebens bewahren, Amen.

Meine lieben Kindlein, dieses lasse ich euch zum Andenken oder Testament; wenn ihr damit wuchert, so werdet ihr damit einen größern Schatz sammeln, als wenn ich euch viele Reichtümer hinterlassen hätte, welche doch vergänglich sind, denn die Güter dieser Welt kann man durch Brand, Krieg oder Unglück verlieren.

Darum ist derjenige nicht weise, der sein Herz an etwas hängt, das vergänglich ist, denn wir haben auch keine Stunde Sicherheit; wir müssen alles zurücklassen, darum seid nicht betrübt, obschon das, was wir hatten, zerstreut und verloren ist, wie der Prophet sagt: Wir müssen jedermanns Raub sein. Darum sollt ihr noch dem Herrn danken, daß er euch uns gelassen hat, bis ich euch so weit auferzogen habe, und wenn ihr in aller Gerechtigkeit wandelt, so wird euch der Herr genug verleihen. Nehmt ein Exempel an Tobias, und David sagt: »Der Gerechte soll keinen Mangel haben, noch sein Samen nach Brot gehen.«

Darum seid auch nicht begierig nach jemandes Gut oder Kleinodien, und missgönnt es auch niemandem, daß er mehr hat als ihr; seht auch niemanden um seiner Gabe willen an, sondern folgt dem kleinen Häuflein nach, welche in der Liebe und der Wahrheit wandeln, denn die Liebe ist das Band der Vollkommenheit, und das Gebot der Liebe übertrifft alle andern Gebote. Darum sucht allezeit denen nachzufolgen, die am meisten in der Liebe wandeln, denn an den Früchten erkennt man den Baum, obschon dieselben vor allen Menschen verborgen sind, denn so ist Christus auch gewesen; auch ist der Knecht nicht besser als sein Herr.

Hiermit will ich euch gute Nacht sagen, gute Nacht, meine lieben Kindlein, gute Nacht, meine lieben Freunde insgesamt.

Meine Geliebtesten, obschon unsere Widersacher zu euch sagen, euer Vater und ich seien im Glauben nicht einig gewesen, so glaubt es doch nicht, denn er hat von der Taufe und der Menschwerdung Christi die Wahrheit bekannt, so weit sich sein Begriff erstreckte; er hat auch tapfer für die Gerechtigkeit gestanden und sein Leben dafür gelassen, und hat also, euch zu einem Exempel, denselben Weg angewiesen, den die Propheten, die Apostel und Christus selbst gewandelt sind; er musste mit viel Trübsal und Leiden vorher streiten, und um Christi willen seine Kinder zurücklassen; darum tut desgleichen, denn es ist kein anderer Weg, lest fleißig in dem Testamente, Amen.