Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 3.8

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3.8  Hans Landis, 1614.

Daß der blutige Zwang oder die Herrschaft über die Gemüter der Menschen noch immer im Schwung ist, ist eine betrübte Sache, insbesondere ist es zu beklagen, daß diejenigen, die sich rühmen, Nachfolger des wehrlosen Lammes (mehr als andere) zu sein, nicht mehr von der Lammesart, sondern im Gegenteil eine Wolfsart in sich haben. Man kann es in der Tat nicht damit entschuldigen, daß sie mit dieser Handlungsweise bezweckten, die Kirche rein zu halten, sondern es scheint vielmehr ein hitziger Sinn zu sein, wenn man das Unkraut (oder das, was man für Unkraut hält) auszujäten sucht, indem doch die Diener des Herrn (da sie der Eifer anspornte, das Unkraut auszurupfen) sich solches nicht unterstanden, sondern um Erlaubnis fragten, und es unterließen, weil es ihnen verboten war. Wenn nun jene auch fragen, oder ihres Herrn Gesetzbuch untersuchen wollten, so würden sie finden, daß der Hirte nicht lehrt, seine Herde zerreißen, sondern daß er sie als Schafe unter die Wölfe sendet, auch daß Er nicht will, daß man das Verirrte ersticken, sondern ihm auf den rechten Weg helfen soll; ferner, daß Er auch nicht den Tod des Sünders begehrt, sondern daß er sich bekehre und lebe. Dergleichen und noch viele andere Lehren haben wir, die alle zum Heil und nicht zum Verderben des Menschen dienen. Aber es scheint wohl, daß denselben noch eine Decke vor dem Herzen hängt, daß sie dieses nicht verstehen können, oder daß der wütende Eifer ihr Herz noch mit solcher Grausamkeit erfüllt hat, daß sie es nicht leiden können, daß jemand den Himmelsweg auf eine andere Weise bewandle, als eben wie sie sich denselben vorgenommen haben, und daß sie deshalb einen jeden zwingen wollen, ihn ebenso zu bewandeln. Dieses hat man noch im vergangenen Jahre 1614 zu Zürich, in der Schweiz, an einem frommen Zeugen der Wahrheit Gottes, genannt Hans Landis, gesehen, welcher ein Lehrer und Diener des Evangeliums Christi war und am Rhein wohnte, welchen er aufwärts bereiste, um einige gottesfürchtige, recht hungrige und durstige Seelen nach der Gerechtigkeit mit dem Wort des Herrn zu speisen und zu erquicken. Als solches der Rat zu Zürich, welcher durch die Art der neidischen Schriftgelehrten und Pharisäer aufgehetzt war, erfahren, hat er solches nicht leiden können, sondern ihm dasselbe sofort verbieten lassen, als ob sie gemeint hätten, hiermit das evangelische Wort in seinem Fortschreiten zu hemmen, jedoch Hans, welcher mit Petrus wusste, daß man den Geboten Gottes mehr als den Menschengeboten gehorchen müsse, hatte solche Liebe zu der Wahrheit und den jungen Säuglingen der Brüste Zions getragen, daß er um menschlicher Bedrohungen willen keineswegs hat nachlassen wollen, dieselbe mit der rechten Speise der Seele zu speisen. Er ist aber deshalb von den Feinden derselben gefänglich eingezogen, und in eisernen Banden von Zürich nach Solothurn den Papisten zugesandt worden, in der Meinung, daß er weiter auf die See oder auf die Galeeren geschickt werden würde, wiewohl er durch Hilfe gutherziger Leute dort wieder auf freien Fuß gesetzt worden ist. Als er aber nachher wieder gefangen und nach Zürich geführt worden ist, haben sie ihn seiner Lehre wegen scharf untersucht, und als er keineswegs von seinem gottseligen Vorhaben, noch auch von seinem Glauben abstehen wollte, an ihm bezeugt, daß ihr vor vierundachtzig Jahren (Anno 1530) erlassener Befehl noch nicht in Vergessenheit geraten oder dessen blutige Tendenz durch die Länge der Zeit sich verwischt habe, denn nach dessen Inhalt haben sie ihn vom Leben zum Tode verurteilt, worauf derselbe im Monat September des vorgemeldeten Jahres 1614 als ein rechter Nachfolger Christi um der Wahrheit willen getötet und enthauptet worden ist. Sie haben solches jedoch nicht bekennen wollen, sondern haben vorgegeben und die gemeinen Leute, um sie zu verführen, überredet, daß er nicht um der Religion willen, sondern wegen seiner Halsstarrigkeit und seines Ungehorsams gegen die Obrigkeit gestraft und getötet worden sei.

Darin haben sie ihre alte pharisäische Art recht an den Tag gelegt, welche, als sie das unschuldige Lamm, unser aller Heiland und Seligmacher, zum Tode verurteilten, nicht vorgaben, daß es wegen seiner tugendsamen Lehre geschehen wäre, womit er die Menschen zu Gott bekehre, sondern daß er um seiner Gotteslästerung willen sterben müsste. Und dieses ist die Art aller Tyrannen, den Unschuldigen, neben dem Leiden und dem Tode, noch mit falschen Beschuldigungen zu beschweren, aber wenn der jüngste Tag des Gerichts kommen wird, dann werden alle diejenigen, die jetzt so unbedachtsam urteilen, auch ihr Urteil zu erwarten haben und empfangen, und vor Angst klagen: Diese sind es, welche wir etwa für einen Spott hatten, und für ein höhnisches Beispiel, wie sind sie nun erhöht; dann werden sie über ihr gottloses Wesen allzu späte Reue haben, und es mit Zähneklappern ewig bereuen; dagegen aber wird dieser fromme Märtyrer und Zeuge Gottes mit allen Gerechten, die noch unter dem Altar liegen und warten, bis die Zahl ihrer Mitbrüder, die auch ihre Kleider im Blut des Lammes rein machen, erfüllt sein wird, eine herrliche Belohnung empfangen; und sie werden alsdann sämtlich in weißen Kleidern, mit großer Freimütigkeit, als tapfere Helden und Bekenner Christi mit den klugen Jungfrauen vom Bräutigam zu seiner Hochzeit eingelassen werden, wo sie ewige Freude genießen, und das Reich des Vaters, das ihnen von Anfang bereitet ist, ererben werden, Amen.