Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.659

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2.659  Der erste Brief von Raphel von dem Felde, geschrieben an seine Hausfrau.

Gnade und Friede von Gott unserem himmlischen Vater und unserem Herrn Jesu Christo sei mit dir, meine werte und in Gott geliebte Hausfrau; der oberste Tröster, der heilige Geist, wolle bei dir sein, dich trösten und dein Herz erleichtern in all deinem Druck und Trübsal, von welchem ich wohl weiß, daß Er über die Maßen groß ist. Darum will ich deiner Liebe ein wenig schreiben zu deinem Trost, denn ich hoffe, es soll dir ein großer Trost sein, wenn du es lesen wirst, wie denn auch mein Herz über die Maßen getröstet und erfreut ward, als ich deinen Brief am Mittwoch um fünf oder sechs Uhr empfing, als ich des Morgens ungefähr von acht bis zehn Uhr gepeinigt worden war; auch danke ich dem Herrn dafür, daß Er meinen Mund bewahrt hat, sodass dadurch niemand beleidigt worden ist, denn solange, als ich auf der Bank gelegen, habe ich meinen Mund nicht aufgetan zu jemandes Beschwerung, sondern ich rief, seufzte und bat zu Gott; die Herren sagten: Höre uns, wir wollen die Pein abkürzen, ja, es ist uns leid, daß wir es tun müssen. Als ich aber nun kein Gehör geben wollte, und sie meine Beine gebunden und geknebelt hatten, mir auch die Arme auf den Rücken gebunden waren, sodass dieselben unter meinen Lenden lagen, wobei noch überdies ein Strick mit Knöpfen an meinem Haupt befestigt wurde, während ich auf einem Kieselstein lag, da fing man an, mit einer eisernen Kette zu winden, so daß es mir vorkam, als ob sie mein Haupt durch Winden zersplitterten und in Stücken brachen und daß meine Beine, mein Fleisch, meine Adern und Nerven auseinander gerissen würden; ich dachte: O Herr! Ist das Peinigen? Ach, Herr, ich werde es nicht ertragen können. Ach, Herr, hilf nur doch jetzt, denn es ist große Not. Da fasste ich den Entschluss, still zu schweigen und befahl Gott die Sache; in demselben Augenblick waren alle meine Glieder wie abgestorben; die Herren aber riefen immer: Sage, sage, so wollen wir dir die Pein lindern. Als ich nun noch nichts sagen wollte, redeten sie lateinisch zu Meister Hans; da ging Meister Hans hin und befestigte zwei Stricke an meinen großen Zehen; darauf spannte er mich aus, was mich über die Maßen schmerzte. Als ich noch nichts sagen wollte, spannten sie die Stricke auf meinen Schenkeln und Schienbeinen noch fester an, und die Knöpfe taten mir so wehe, daß mich dünkte, ich müsste sterben; gleichwohl aber riefen sie immer: Rede, rede, so wollen wir deine Pein mildern. Da dachte ich: O Herr, wie werde ich dies ertragen können, muss es noch lange währen? Da kam mir in den Sinn, daß die ewige Pein noch größer sein würde, welche doch ewig währen wird; ich schöpfte wieder Mut, und rief zu Gott: Hilf mir in dieser Not, damit ich meinen Nächsten in dieses Elend nicht bringen möge; da gab mir der Herr solchen Mut, daß mich dünkte, ich wollte lieber auf der Bank sterben, und schwieg still. Als sie nun noch nichts zur Beschwerung meines Nächsten von mir vernehmen konnten, nahm Meister Hans Wasser (mein Angesicht war fortwährend mit einem Tuch bedeckt), hielt mit einer seiner Hände meine Nase zu, und fing an, Wasser über meinen Bauch, über mein Herz und so auch in meinen Mund zu gießen, als ob jemand trinken sollte, der großen Durst hat; mich dünkte, daß die Kanne, womit er goss, ungefähr drei Pinten hielt. Als ich nun keinen Atem mehr hatte, und Atem schöpfen wollte, schluckte ich das Wasser nieder, wodurch mir so übel zu Sinne ward, daß ich es nicht sagen oder schreiben könnte; aber der Herr müsse ewig gelobt sein, der meinen Mund bewahrt hat. Als sie nun noch nichts von mir erpressten, banden sie den Strick auf, womit meine Schenkel zusammengebunden waren, legten ihn auf eine frische Stelle, und spannten denselben noch viel fester an als zuvor, wobei ich dachte, das würde mich töten, und wobei ich sehr zitterte und bebte; da goss er mir abermals Wasser in den Mund, ich meine, er habe vier solcher Kannen voll ausgegossen, wovon mir der Leib so angefüllt wurde, daß mein Bauch so dick ward, daß es wieder zum Halse herauskam, was zweimal geschah. Hiernach wurde ich so ohnmächtig, daß ich die Besinnung verlor, wie mich dünkte; als ich aber wieder zu mir selbst kam, fand ich mich allein mit Meister Hans und Daniel de Keyser. Da war Meister Hans so geschäftig, mich überall loszubinden, daß mich dünkte, sie wären meinetwegen in Sorge; der Herr nahm jedes Mal den Schmerz von mir, wenn es so weit kam, daß ich glaubte, es sei unmöglich, ihn zu ertragen, indem ich in meinen Gliedern jede Empfindung verlor; dafür müsse dem Herrn ewig Lob, Preis, Dank und Glorie gegeben werden, denn, als es vorbei war, dachte ich, daß ich mit des Herrn Hilfe einen guten Streit gestritten habe.

Ich hätte dir wohl viel mehr davon schreiben sollen; aber ich unterlasse es bis auf eine andere Zeit; darum, meine liebe Hausfrau, laß uns Gott für seine Gnade danken; ich dachte den Montag nicht, daß mir eine solche glückliche Woche bevorstände. Was meine Verletzungen durch das Foltern betrifft, so hoffe ich, daß es sich wohl machen wird, aber es will seine Zeit haben; sei nicht betrübt um meines Lebens willen, sondern preise Gott in dieser Sache, denn mein Gemüt steht unveränderlich und unbeweglich, wie ich hoffe; und sollten sie mich auch noch zweimal peinigen, so hoffe ich doch alles zu leiden, was sie mir antun. Aber es mag wohl peinigen heißen, denn es ist große Pein; ebenso bin ich auch, um der Wahrheit willen bereit, nicht allein mich peinigen, sondern auch jederzeit mein Fleisch lebendig an einem Pfahl verbrennen zu lassen. Ferner muss ich dir etwas von meiner Freude und Wonne schreiben, die ich gegenwärtig in dem Herrn habe, wie der Herr mein Herz stärkt, tröstet und erfreut, wenn ich an die Schrift denke, daß ich, ein solcher unwürdiger Mensch, des Leidens Christi teilhaftig sein mag; ich kann nun mit dem Apostel sagen, daß ich die Malzeichen Christi an meinen Gliedern trage.

Weiter, meine Geliebteste, lasse ich deine Liebe wissen, daß ich deinen Brief empfangen habe, wodurch mein Herz sehr getröstet und erquickt worden ist, sodass ich vor Freude mich des Weinens nicht enthalten konnte, was ein gewisses Kennzeichen der göttlichen Reue war, die zur Seligkeit wirkt; ich habe auch aus deinem Brief ersehen, daß du sehr betrübt seist, so viel mehr, als du schreiben oder sagen kannst; aber, meine Geliebteste, ich bitte dich durch die Barmherzigkeit Gottes, du wollest die Betrübnis um mich ein wenig bei Seite setzen, und bedenken, wie und auf welche Weise wir einander von der Hand des Allerhöchsten angenommen haben; ist es nicht unter der Bedingung geschehen, daß der Herr allezeit der Liebste bleiben soll, und daß wir einander verlassen müssen, wenn es sein heiliger Wille ist? Nun aber weiß deine Liebe wohl, daß dieses ja des Herrn Wille sei und nichts anderes, denn wäre es des Herrn Wille nicht gewesen, ich wäre so gut entkommen wie du. Deshalb, meine Geliebte, laß uns uns selbst hierin mäßigen, und uns nach dem richten, was vorliegt, wie ich denn zu deiner Liebe die Hoffnung habe, daß du tun werdest; laß das Mägdlein, wenn es dich gut dünkt, lieber von dir gehen, und behalte dein Kindlein bei dir und lehre es unterdessen selbst etwas; lasse es fleißig bei dir etwas arbeiten. Aber vor allen Dingen bitte ich dich, du wollest dich wohl in Acht nehmen, denn der geistliche Commissarius hat mich sehr nach dir gefragt; sie haben mich auch verschiedene Male nach meinem Bruder gefragt; ich antwortete nichts darauf, aber sie wussten es schon alles, wie sie sagten.

Daniel de Keyser kam in meine Kammer und fragte mich auch sehr nach meinem Bruder; sie fragten mich auch sehr nach meinem Kind, und ob es nicht getauft wäre, was ich ihnen sagte; darum bewahre es wohl, sie möchten es sonst nehmen und es könnten daraus große Unannehmlichkeiten entstehen; was diese Sache betrifft, so müsste ich viel Zeit haben, um dir alles zu schreiben; aber so schreibe ich nur hier und da etwas davon, denn mein Kopf tut mir zu weh, um viel zu schreiben, wiewohl ich hoffe, daß es besser werden wird. Ich fühle mich heute durch ein Gespräch sehr abgespannt, welches ich mit zwei Jesuiten wegen unseres Glaubens, in Gegenwart des Schreibers vom Blutgericht und Meister Jakob Hesseling, wie auch des geistlichen Commissarius und eines Ratsherren, gehabt habe; aber dem Herrn müsse ewig Lob und Dank gesagt sein; sie mußten mit Schande ihrer Wege gehen.

Ich hoffe zu seiner Zeit von allem ausführlicher zu schreiben. Sage meinem lieben Bruder, daß er auch etwas schreibe, und grüße ihn herzlich von mir, so wie auch seine Hausfrau und meine Schwester mit des Herrn Frieden, und sage ihnen, daß sie mir etwas schreiben, denn ich bin über sie sehr beschwert und bekümmert. Nehmet euch wohl in Acht, denn Niemand weiß, was Bande seien, als wer sie probiert; das mag ich wohl sagen, wofür ich dem Herrn mit fröhlichem Herzen Lob und Dank sage. Ich hoffe, daß ich das Schlimmste überstanden habe; mein Herz ist auch sehr wohl zufrieden im Leiden oder Ungemach und im Sterben. Aber wenn ich an den Abschied von meiner Geliebten und von meinem lieben Sohne denke, so kann ich mein Herz nicht gut zufrieden stellen; das aber tröstet mich sehr, daß mein Kind seine Mutter behalten mag. Sei nicht allzusehr besorgt, meine Liebste; der Allerhöchste sorgt für dich und auch für dein Kind; unser lieber Herr hat uns viele Gnade erwiesen, daß Er uns so lange beisammen gelassen hat; sei doch nicht zu sehr besorgt, bitte ich dich, meine Liebste, sondern wirf doch deine Sorge ganz und gar auf den Herrn; Er wird dich wohl versorgen und dir einen andern an meiner Stelle verleihen, wenn es dir selig ist.

Hiermit will ich dich, meine liebste Hausfrau und Schwester in dem Herrn, dem allmächtigen Gott und dem reichen Worte seiner Gnade anbefehlen. Gute Nacht, meine Liebste.

Ach, welche fromme und getreue Haushälterin bist du mir gewesen! Ach, meine Liebste! ich danke dir von Grund meines Herzens für deine große Treue und gutwilligen Dienste, die du mir in allem Gehorsam erwiesen hast. Ich bitte auch euch alle, lieben Freunde, ihr wollet mir helfen, ernstlich zu dem Herrn bitten, denn es ist jetzt Zeit; jetzt ist der Streit am schwersten, daß erfahre ich wohl, und ich glaube, daß es unser Bruder Hieronymus auch wohl erfahren wird; der Herr wolle ihm gnädig sein! Ich tröste ihn bisweilen, so gut wie ich kann.

Grüße mir doch Byntjen mit des Herrn Frieben, und benachrichtige mich, wie es ihr ergangen ist; grüße mir Jan und Klaerken und K., und sage ihm, daß er mir etwas schreibe. Grüße mir auch alle, die Gott fürchten, und halte dich allezeit zu den Frommen, dann wirst du noch frommer werden. Gute Nacht, gute Nacht.

Geschrieben im Finstern, den 24. Mai im Jahre 1576. Gute Nacht, mein Weib; gute Nacht, mein Kind.

Donnerstags, den 24. Mai, wurde ich noch einmal vor die Herren gebracht, wo ich zwei Jesuiten antraf; ich war noch sehr schwach vom Peinigen; sie fragten mich zuerst, warum ich mich so lange hätte verführen lassen, und fragten mich auch nach meinem Glauben. Da sagte ich: Bin ich denn hierher gekommen, um euch zu lehren? Das sei ferne von mir. Bekennet mir euern Glauben, denn ich bin gekommen, um unterrichtet zu werden. Da fing er an seinen Glauben zu bekennen, in der Weise, wie die Kinder lernen. Wohlan, sagte er dabei, das ist mein Glaube. Da sagte ich: Beweiset das mit Gottes Wort, so will ich es auch glauben. Da fing er an aus Joh 3, daß die Kinder getauft werden müßten; desgleichen aus Mark 16 und Mt 28. Er fing sich jedoch selbst, so daß er nicht wußte, wie er entwischen sollte; von da kam er auf die Beschneidung, und darin wußte er auch keinen Ausweg. Zuletzt mußten sie bekennen, daß die Beschneidung auf die Taufe nicht paßte, was mich sehr verwunderte. Als sie nun sahen, was sie taten, und daß alles zu ihrem Nachteile ausschlug, fingen sie an alle Latein zu reden; da saß ich wie ein Narr. Eamus, laß uns gehen (sagten sie); da wollten sie gehen, denn es schlug elf Uhr, und wir waren ein wenig nach acht Uhr zusammengekommen. Als sie nun gehen wollten, sagte ich: Ich bitte euch, meine Herren, daß ihr doch mir euern Glauben aufschreiben wollet, damit ich ihn desto besser verstehen möge; aber sie wollten es nicht tun, sondern sagten: Wenn du unsern Worten nicht glaubst, so wirst du auch unserm Schreiben nicht glauben.

O! dachte ich, möchte ich solches erlangen, ich wollte euch wohl erwischen; ich wollte euch bald bewiesen haben, daß euer Glaube nicht in der Schrift steht.

Den 25. Mai ist des Bischofs Aufseher über die Büßenden mit noch Zweien und dem Bruder Pieter de Backer zu mir gekommen; sie setzten mir sehr listig zu und führten mich auf einen hohen Berg; hätte ich nur ein wenig aus dem Wege weichen wollen, es wäre alles gut gewesen. Meister Jakob Heyseling sagte, er wollte mir helfen, die Sache stände in seiner Gewalt, ich sollte mich zum Scheine ein wenig bequemen. Lieber Raphel, wie jammert es mich! es geht mir ins Herz. Ich erwiderte hierauf: Ach, meine Herren! ihr sagt, daß ich ein wenig von mir abgehen sollte; das will ich gerne tun, ja ich will ganz von mir abgehen, wenn ihr mir mit Gottes Wort ein Besseres beweisen könnt; aber anders nicht, sonst wäre mein Glaube nicht auf das Wort Gottes gegründet, sondern bestände auf Menschenwort; ich weiß auch wohl, was der Prophet sagt: Verflucht ist der Mensch, der sich auf Menschen verläßt. Ach, meine Herren! das wäre keine Bekehrung; ihr müsset es mir mit der heiligen Schrift beweisen, sonst tun wir es nicht. Nach vielen Worten schieden wir noch einmal von einander, und ich dankte ihnen für ihre Mühe. Kurze Zeit darauf kamen der Schreiber des Blutgerichts, der geistliche Commissarius und der Bruder Pieter de Backer, und setzten mir abermals mit Bitten zu. Ich sagte, es wäre mir leid, daß sie mich bäten. Sie erwiderten: Wir wollen es dir ja so klar beweisen; und kamen auf ein anderes Geheimnis, von der Menschwerdung Christi. Als ich nun anfing zu antworten, legte er sein Testament weg. Da sagte ich: Ich will euch, glaubt mir, auf alles antworten, einem nach dem andern. Als sie aber hörten, wie ich ihnen antwortete, machten sie sich davon und sagten: Gott befohlen. Ich grüßte sie ebenfalls, wobei Bruder Pieter sagte: Ich will morgen oder in einigen Tagen wiederkommen. Ich erwiderte: Wie es dir gefällt. Ach, sagte er, wie betrübt muß deine Mutter sein! Aber ich schwieg still. Den Nachmittag aber sandten sie mir ein Büchlein, das sich den Schild wider die Wiedertäufer nennt; dasselbe sollte ich lesen, und innerhalb zweier oder dreier Tage sollte mich der Aufseher über die Büßenden wieder besuchen.

Hieraus habt ihr, lieben Brüder und Schwestern, hören können, ob ich Anfechtung leide oder nicht, wiewohl ich es nur in aller Kürze beschrieben habe, sonst würde es viel zu weitläufig sein, alles aufzuschreiben; dem Herrn aber sei für seine große Gnade gedankt, der mich so treulich stärkt und meinen Mund zu seinem Preise regiert, und wiewohl der auswendige Mensch vergeht, so ist dies doch nur ein geringer Schade; der inwendige Mensch wird von Tag zu Tag erneuert, dem Herrn müsse ewiges Lob und Dank dafür gesagt sein, denn ich kann nun mit Pieter von Wervicke wohl sagen:

Ich war noch niemals so vergnügt,
Als nun zu diesen zeiten,
Mein Leiden wird sehr schnell besiegt,
Sein Wort setzt mich in Freuden.
Wenn ich denk’ an das ew’ge Gut,
O dann erlang’ ich solchen Mut!

Ich kann es nicht erzählen (die Freude auszudrücken), ja mich dünkt, wenn alle meine Haare Zungen wären, so könnte ich es nicht aussprechen. Und daß sie mich zum Verhören quälen, halte ich für eine Erquickung, denn ich komme jedes Mal aus meinem stinkenden Loche in die klare Luft, und das erquickt mein Herz.

Hiermit will ich euch dem Herrn und dem reichen Worte seiner Gnade anbefehlen, seid allezeit fleißig, die Einigkeit im Geiste durch das Band des Friedens zu halten, und reinigt eure Seelen vor dem Herrn, vielleicht möchte es Gott gefallen, euch in dieselbe Lage kommen zu lassen; wenn man nicht zuvor ein frommer Christi ist, man wird es hier kaum werden können; das erfahre ich wohl. Ach lieben Brüder und Schwestern, ich bitte euch um der Liebe Gottes und unsers Herrn Jesu Christi willen, daß ihr meiner herzlich geliebten Hausfrau und meinem lieben Kinde Liebe erweisen wollet in aller Freundlichkeit, in aller Liebe, in der Einigkeit, in der Barmherzigkeit, in der Geduld; vertraget einander in der Liebe, darum bitte ich euch von Grund meines Herzens, und bedenket, in welcher traurigen Lage sie jetzt sei; ach leider, ihr seid um meinetwillen betrübt, wofür ich euch danke, denn es ist eine göttliche Traurigkeit; sie aber hat die größte Ursache, betrübt zu sein. Ach, sie hat sehr viel verloren, und auch mein Sohn; aber hierüber muß ich mich zufrieden geben, denn es ist des Herrn Wille, wer will es ändern? Ach, wenn ich an sie, ihre Traurigkeit, und an mein Kind denke, so kann ich mich nicht bezwingen, aber ich hoffe, der Herr werde mir auch hierin helfen; ich bitte euch um der Liebe Gottes willen. Ach Brüder und mein lieber Bruder, schreibt doch einmal von ihren Verhältnissen, wie es mit ihrer Trübsal und ihrer Traurigkeit, und auch, wie es mit meinem lieben Sohne bestellt sei.

Ach, mein lieber Sohn, ich bin dir allzufrüh entnommen. Ach, lieben Brüder, tut doch alles um meinet- und um des Herrn willen; ihr werdet meinem Herzen große Erleichterung verschaffen. Ach, mich dünkt, ich hätte lange nichts gehört, und von meinem Sohne weiß ich nicht, daß ich überhaupt etwas gehört habe, wie auch von unserer Tanneken. Ach armes Schaf! Gute Nacht, mein lieber Bruder, gute Nacht, meine lieben Schwestern, gute Nacht allen euren kleinen Kindern.

Gute Nacht, gute Nacht, Gott gebe Gnade, daß wir uns dereinst erfreuen mögen. Geschrieben von mir, Raphel, eurem schwachen Bruder in dem Herrn, mit vielen Thränen, unter Seufzen und Weinen; nicht um meinetwillen, als ob mein Gemüt nicht wohl stände, das sei ferne; es stand in elf Jahren nicht besser, dem Herrn sei gedankt, sondern es ist meine schwache Natur. Habe ich etwa zu wenig oder zu viel geschrieben, so haltet es mir zu gut, denn meine Sinne haben viel gelitten, und der Kopf ist mir durch die vielen Drangsale ganz eingenommen.

Geschrieben den 25. Mai 1576.