Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.561

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2.561  Des Jan Wouterß siebter Brief an seinen Vater und seine Mutter.

Der ewige, barmherzige Gott, voll allen Trostes, gebe dir, meinem geliebtesten und werten Vater, und meiner geliebtesten, ehrwürdigen Mutter, seine Gnade durch Christum, und befestige eure Liebe beiderseits durch seinen Heiligen Geist, damit ihr beide diese kurze Zeit zum Preise Gottes, der Welt zum Lichte, zum Vorbilde eurer Kinder und zu eurer Seelen Seligkeit zubringen mögt, Amen.

Nach diesem meinem herzlichen Wunsche bitte und ermahne ich eure Liebe beiderseits, daß ihr fernerhin eure Glieder zu Waffen der Gerechtigkeit begeben wollt, und nicht, wie vormals, in dem alten Menschen, sondern tötet den alten Adam, das ist, zieht den alten Menschen aus, nebst seinen bösen Werken, und zieht den neuen an, in vollkommener Gerechtigkeit und Heiligkeit, gleichwie die heilige Schrift lehrt, die uns zum ewigen Leben dient; denn sein Gebot ist das ewige Leben; bedenkt auch, wie ernstlich ihr in den Geboten der Menschen gewandelt seid, wodurch sie Gottes Gebot vernichtet haben, und Gott umsonst dienen, weil sie Menschengebote lehren und halten, die keine Verheißungen in der heiligen Schrift haben, sondern sie sollen ausgerottet werden, weil sie unser himmlischer Vater nicht gepflanzt hat; ja, solches wird von Paulus verflucht. O daß ihr doch auch nun sehr fleißig, ja, viel fleißiger in der unverfälschten Wahrheit Gottes erfunden werden möchtet, welche euch beiden durch Gottes Gnade in euren alten Tagen durch Christum offenbart worden ist.

Ach das ist mir eine große Freude, daß der Herr euch beide noch so lange aufgespart hat, und daß ich den Tag gesehen habe, wo meinem geliebten Vater und meiner geliebten Mutter, meinem einigen Bruder (von meinen lieben Schwestern hoffe ich das Beste) die blinden Augen erleuchtet worden sind, daß sie nun das Licht von der Finsternis, das ist das Böse von dem Guten, unterscheiden können, und guten Mut haben, das Böse zu lassen und das Gute zu tun.

Ich hoffe, wenn ihr miteinander hierin fortgeht und bis ans Ende aushaltet, daß wir uns miteinander in der Auferstehung des Lebens erfreuen werden.

Ach, überlegt es doch, welche große Freude und Wonne wir genießen werden, wenn die Gerechten werden auferweckt werden, und wenn der liebe Vater und die Mutter samt ihren Kindern die Stimme unsers Bräutigams hören werden, wenn er sagt: Kommt her, ihr Gesegneten, und ererbt das Reich meines Vaters; aber geliebtester Vater und Mutter, Bruder und Schwestern, ihr müsst zuvor bedenken, was Christus vorher gesagt hat, daß der Weg schmal und die Pforte eng sei, die zum ewigen Leben führt; ferner bezeugt auch der Prophet Esra, welcher von einer Stadt redet voll alles Guten, zu welcher ein Weg führt, eines Menschen Fußstapfen breit; an der einen Seite ist Wasser, an der andern Seite aber Feuer; wie wird man nun diese Stadt zum Erbe empfangen, wenn man nicht zuvor diese Enge durchwandere? Darum hat Christus, der oberste Prophet (welcher die Bosheit der Welt wohl hat vorhersehen können) gesagt: Ihr müsst von allen Menschen gehasst werden um meines Namens willen, und das darum, weil sie weder mich noch meinen Vater erkannt haben; ferner sagt er: Weil ich euch von der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt, denn sie hat das Ihre lieb; auch sagt er weiter: Haben sie mein Wort gehalten, so werden sie das eure auch halten; haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen; haben sie den Hausvater Beelzebub genannt, wie viel mehr werden sie euch so nennen? Denn der Knecht ist doch nicht besser, als sein Herr; darum, wer Christo nachfolgen und dahin kommen will, wo er ist, der muss sich selbst verleugnen, sein Kreuz täglich auf sich nehmen und ihm im Ungemache nachfolgen; dann sagt er ferner: In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Ihr werdet (sagt er ferner in demselben Kapitel) heulen und weinen, aber die Welt wird sich freuen; doch soll eure Traurigkeit in Freude verwandelt werden, welche Freude niemand wird von euch hinwegnehmen können.

Hieraus ist sattsam zu entnehmen, daß der Pfad für das Fleisch, welches hier bleiben muss, sehr enge sei; dasselbe muss man daran wagen, oder man ist nicht würdig, Christi Jünger zu sein.

Aber ich habe das Vertrauen, daß wir alle mit Jakob die schöne Rahel (nämlich das Himmelreich) erlangen werden; doch kann es so nicht zugehen; wir müssen zuerst Lea mit ihren flehenden Augen zu unserer Prüfung haben; denn ist das Haupt geprüft worden, das doch keine Sünde getan hatte, wie sollten die Glieder nicht auch geprüft werden? Dann merkt er erst genau auf, ob man ihn auch von Herzen fürchtet, liebt und ihm vertraut, ob man sein Leben nicht lieber hat als seine Seligkeit. Von dieser nötigen Prüfung, die an vielen Heiligen Gottes vorgenommen ist, hat man viele Exempel in der Schrift, wie an Abel, Jakob, Mose, David, Hiob, den drei Jünglingen in dem Ofen, Daniel, Susanna, den sieben Brüdern und ihrer Mutter, vielen Propheten, Aposteln und vielen Heiligen nach ihnen und auch zu meiner Zeit.

Nun ist die Reihe an mir, der Herr müsse gelobt sein, denn ich erkenne mich unwürdig, mich zu dieser Zahl zu setzen; aber der gute, barmherzige Gott achtet mich dazu würdig, um die Zahl der Märtyrer erfüllen zu helfen, die in Christo ruhen und darauf warten, daß ihre Zahl durch solche erfüllt werde, die auch, wie sie, um des Zeugnisses Christi willen getötet werden sollten, das in ihnen war, und auch in mir ist durch Christum; welchen Christum man allezeit, von Anfang der Welt her, ausgebannt, verachtet und ihm widersprochen hat. Darum leide ich auch eine kurze Zeit, achte es aber nicht; sie wissen nichts Böses auf mich zu sagen, der Herr sei gelobt. So leide ich denn, mit Christo, als ein Christ um des Wohltuns willen, damit mein Glaube viel köstlicher erfunden werde als das vergängliche Gold. Darum prüft Gott seine Auserwählten, aber zur Zeit der Not hilft er uns treulich; solches bin ich in meiner Not gewahr geworden, wie wunderbar Gott in seinen Auserwählten wirkt; ja, ich bin sehr erfreut, daß er meinen Mund von Anfang an bis ans Ende bewahrt hat; solches hat mein Leiden erleichtert, als mein unreines Fleisch (welches einer bösen Art ist) im Leiden war, und zwei Stunden lang aufgehängt und gegeißelt wurde; nun es aber vorüber ist, habe ich Freude in meinem Herzen. Das erste Mal bin ich den letzten Samstag im Februar gefoltert worden, das andere Mal geschah es den Mittwoch darauf; aber, geliebteste Eltern, fürchtet euch nicht hierüber, sondern freut euch mit mir, daß wir einen solchen starken Gott haben, der uns so treulich hilft, denn er führt unsern Streit; er wird uns nicht zu Schanden werden lassen. Betrachtet nur die alten Zeiten, ob jemals jemand zu Schanden geworden sei, der sich auf ihn verlassen hat, denn er erhört (sagt David) das Rufen der Elenden, und ihr Herz ist gewiss, daß seine Ohren auf ihr Gebet merken. Darum habt einen festen Glauben an das Wort Gottes und vertraut auf Ihn, dann wird er seine Verheißungen wohl erfüllen, denn das sollt ihr wissen, daß, obgleich der auswendige Mensch vergeht, doch der inwendige Mensch von, Tag zu Tag erneuert wird.

Überdies ist unsere zeitliche Trübsal kurz und leicht; davon kann ich jetzt schreiben, und wirkt in uns eine über die Maßen gewichtige Herrlichkeit, die wir nicht sehen auf das, was sichtbar, sondern auf das, was unsichtbar ist.

Das Sichtbare erdulden wir, und die unsichtbare, ewige Freude erwarten wir mit Geduld, in einem festen Vertrauen und in einer lebendigen Hoffnung, welche uns nicht zu Schanden werden lassen wird.

Dann werden sie gekrönt werden, die bis an den Tod der Wahrheit getreu geblieben sind, die den Namen Christi vor der Welt bekannt und den sterblichen Rock abgelegt haben; diese werden von dem Jünglinge Christo Jesu geehrt werden, wie Esra bezeugt. So bin ich nun getrost in dem Herrn; seid auch ihr guten Muts, denn als das Leiden vorüber war, war es mir eben, als ob ich gefallen wäre, sodass ich sagen kann: Was ist das Leiden, wenn es vorüber ist? Es ist doch nicht mit der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll, zu vergleichen. Ach, wie fröhlich werden wir sein, wenn wir sehen werden, daß die Kinder Gottes solche herrlichen Könige sind, die wie die Sonne glänzen. Dann werden die Regenten der Welt sehen, in wen sie gestochen, wen sie verspottet, verachtet und gepeinigt haben; dann werden sie es beklagen, aber es wird zu spät sein. Darum bitte ich euch, seid doch zufrieden und dankt dem Herrn, daß ihr einen solchen Sohn auferzogen habt, der zu einem solchen heiligen Stande berufen ist.

Es ist kein Wunder, daß solches an mir geschieht; seht Johannes an, den an Heiligkeit kein von Weibern Geborener übertroffen hat; derselbe führte ein so strenges Leben, und doch wurde er gefangen und getötet; ja, Christus selbst, Stephanus, Petrus, Jakobus taten so viele Wunderwerke und so viele guten Werke, und dennoch wurden sie getötet. Darum sagt Christus: Der Knecht ist nicht besser, als sein Herr. So müssen wir denn streiten und das Reich Gottes mit Gewalt einnehmen, denn die ihm Gewalt antun, reißen es an sich; überdies sind wir nicht allein berufen, an Christum zu glauben, sondern auch mit ihm zu leiden; darum helfen wir Christo die Schmach und das Leiden tragen, und obgleich unsere irdische Wohnung vergeht, so erwarten wir doch ohne Zweifel eine bessere im Himmel. Wir sind wie die Schlachtschafe, die der Welt nicht wert sind; wir sind ihr Unflat, ihr Ausfegsel, ihre Narren um Christi willen; aber wir sind die Auserwählten Gottes aus Gnaden durch das Blut Jesu Christi, welches uns allein von allen unsern Sünden reinigt, allein durch sein Leiden und Verdienst zu seinem ewigen Reiche tüchtig macht; ihm sei Lob, Preis, Ehre und Macht, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen. Von mir, eurem geliebten Sohne, als ich bis aufs Blut wider meine Feinde gestritten hatte, den 1. März 1572.

Mein Leiden klingt schrecklich; aber es kam mir vor, daß es in allem keine zwei Stunden gedauert habe; ich weiß nicht, ob ich zwei Stunden in der Pein gewesen sei; sollte man darum den Herrn verleugnen? Das sei fern!

Endlich bitte ich eure Liebe, daß ihr über mich nicht trauern, sondern euch von Herzen freuen und Gott loben wollt, daß er euren erstgeborenen Sohn von seiner Mutter Leibe abgesondert hat, um seinem großen, herrlichen Namen vor die Regenten dieser Welt zu tragen, und daß der treue Gott mir so treulich geholfen hat, denn ich bin dreimal gegeißelt und viermal aufgehängt worden; aber Christus hat noch viel mehr gelitten. Nach dem Leiden habe ich große Freude des Heiligen Geistes erlangt, sodass ich vor Freude weinte, weil er unsern Mut bewahrt und uns nicht über unser Vermögen hat versucht werden lassen. Dieses habe ich nötig erachtet von diesen Wundertaten Gottes zu schreiben und zu verbreiten, damit ihr auch in der Wahrheit freimütig werden mögt, und hinterlasse euch dieses als ein Testament zu meinem Andenken, damit derselbe Geist Gottes, der mich stark und freimütig macht, euch auch ebenso stark machen und nach seinem Willen führen möge, der euch erschaffen hat, damit ihr einander lieben mögt; denn wenn ihr einander geliebt und friedsam miteinander gelebt habt, als ihr in der Blindheit wart, um wie viel mehr gebührt euch nun jetzt einander zu lieben und friedsam zu leben, nachdem eure Augen durch Gottes Gnade erleuchtet sind? Bittet den Herrn allezeit, daß er euch noch mehr Gnade verleihen wolle, was er auch tun wird, wenn ihr anders in dem Wenigen, das ihr bereits empfangen habt, treu erfunden werdet; alsdann wird er euch noch mehr anvertrauen; ja, er will allen denen den Heiligen Geist geben, die ihn darum bitten; aber man muss zuvor von dem Argen abweichen, sich selbst verleugnen und mit Paulus sagen: Herr, was willst Du, daß ich tun soll? Wenn das Herz so ganz übergeben wird, so wird der Herr ferner wohl in euch wirken und vollbringen, weil ein guter Wille bei euch ist. Darum beugt euch stets unter die starke Hand Gottes, dann wird er euch auch zu seiner Zeit erhöhen, wie er an vielen Orten verheißen hat, damit wir alle von Christo, unserem ewigen Seligmacher, erhoben werden mögen, wohin ich nun vorausgehen will und lieber den sterblichen Mantel des Fleisches drangeben, als der Hure zu Babel zufallen will; ich will lieber von Kain getötet sein, als daß ich um seinetwillen das unterlassen wollte, was Gott gefällt; ich will lieber mit Naboth gesteinigt werden, als meines himmlischen Vaters Erbteil verkaufen, wie Esau seine Erstgeburt verkaufte; lieber will ich mit Susanna gesteinigt werden, als den falschen Regenten ihren Willen erfüllen; lieber will ich mit Daniel in der Löwengrube sein, als daß ich vor Holz, Stein, Gold, Silber, Brot, Wein oder Öl niederknien sollte; lieber will ich mit den Jünglingen in dem feurigen Ofen sein, als das aufgerichtete Bild anbeten, denn es steht geschrieben, daß man den Herrn unsern Gott, allein anbeten soll. Er wolle euch, mein sehr geliebter Vater, und meine sehr geliebte Mutter, reinigen und zu seinem ewigen Reiche, durch Christum, seinen geliebten Sohn, und durch die Mitwirkung des Heiligen Geistes tüchtig machen, damit wir einander alle demnächst in der zukünftigen Welt mit ewiger Freude sehen mögen. O himmlischer Vater, ich, der ich Erde und Asche bin, bitte dich hier in meinen Banden durch Jesum Christum, gib doch hierzu deine unergründliche Gnade, Amen.

Gute Nacht auf dieser vergänglichen Welt. Ach, wenn ihr wüsstet, welche Freude ich habe, ihr würdet, wie ich hoffe, noch zufriedener sein. Geendigt, den zweiten Tag im März; meine Hand ist wieder etwas besser; ich trage die Malzeichen unseres Herrn an meinem Leibe; ich habe Glauben gehalten; bis aufs Blut habe ich gestritten; dafür müsse der heilige Name des Herrn verherrlicht werden, in Ewigkeit, Amen.

Jan Wouterß von Kuyk, welcher auf der Vuylpforte zu Dortrecht gefangen sitzt.