Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.522

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2.522  Hier folgt ein Brief, welchen Barbelken Göthals im Gefängnisse an Jasper N., einen ihrer Glaubensgenossen, geschrieben und gesandt hat.

Die überschwängliche und unergründliche große Gnade, der Friede und die Barmherzigkeit Gottes, unsers himmlischen Vaters, und Jesu Christi, seines einigen und ewigen, lieben und werten Sohnes (durch welchen wir erlöst und von den Ketten der Hölle und von den Schatten des Todes entbunden und durch sein teures Blut versöhnt sind), wünsche ich dir, meinem geliebtesten Bruder in dem Herrn, zum Seelenbewahrer; derselbe wolle dich trösten mit dem großen Troste, der Freude und Wonne des Heiligen Geistes in allem demjenigen, was dir noch um des wahren Zeugnisses unsers lieben Herrn Jesu Christi willen begegnen wird. Diesem Gott, der allein weise ist, sei Lob, Preis, Ehre, Kraft, Stärke und Gewalt, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen.

Nebst allem gebührlichen, herzlichen und freundlichen Gruße an dich J., meinen liebsten Bruder in dem Herrn, den ich wert und lieb habe mit göttlicher Liebe in der Wahrheit, und um der Wahrheit willen, ach, das weiß der Herr, der alle Herzen kennt. Ach, mein lieber und sehr werter Bruder in dem Herrn, wisse, daß mein Gemüt sich noch wohl befindet, um unsern lieben Herrn aus meines ganzen Herzens Grunde zu fürchten nach meiner Schwachheit mein Leben lang, und daß ich, durch des Herrn Hilfe, hoffe, niemals um irgendeines Dinges willen das in der Welt ist, von der Wahrheit zu weichen, es seien Güter, Gold oder Silber; ebenso hoffe ich, durch des Herrn Gnade, von ihm nicht abzuweichen, worin der allmächtige Gott mich stärken wolle, wie ich ihn darum bitte.

Ach, mein geliebter Bruder in dem Herrn! Ich will lieber mit Susanna in der Menschen Hände fallen, als vor dem Angesichte des Herrn sündigen, denn die reine und unbefleckte Susanna sagte: Wenn ich solches tue, so bin ich des Todes; tue ich es aber nicht, so komme ich nicht aus euren Händen; doch will ich lieber unschuldig in der Menschen Hände kommen, als wider den Herrn sündigen; ich weiß auch wohl, daß, wenn ich die Wahrheit verlasse, mir dennoch der Tod gewiss ist; aber, ach nein! das hoffe ich durch des Herrn Gnade nimmermehr zu tun; es ist mir viel besser, daß ich in der Menschen Hände falle, als daß ich den Herrn, meinen Gott, verlassen sollte. Ach, nein, allerliebster Bruder in dem Herrn, ach laß uns nimmermehr von des Herrn Wahrheit weichen, denn es sind uns so viele schöne Verheißungen gegeben; wenn wir bis zum Tode standhaft bleiben, sollen wir die Seligkeit erlangen. Ach, mein sehr werter und lieber Bruder in dem Herrn! Ach, möchten wir nur selig werden; das ist genug; ich hoffe durch seine große Gnade, daß wir die Seligkeit ererben, wenn wir bei seinem Worte bleiben; er ist getreu, der es uns verheißen hat, und wird es auch halten; denn er spricht durch seinen frommen Propheten Jesaja (als er die Seinen tröstete): Wenn auch eine Mutter ihr eigenes Kind vergäße, das sie selbst geboren hat, so will ich doch deiner nicht vergessen. Mein herzlich geliebter Bruder in dem Herrn, sieh doch an, wie treulich unser lieber Herr uns tröstet; so laß uns denn, mein Lieber und Werter, ach laß uns guten Mutes sein und willig arbeiten, denn sie (unsere Arbeit) wird nicht vergeblich sein in dem Herrn; deshalb bin ich tapfer und wohlgemut, dem Herrn sei Lob und Preis von nun an bis in Ewigkeit, der mir so treulich beisteht, nach seiner Verheißung. Ach, wer sollte einen solchen Gott nicht fürchten, der seine zarten Reben so bewahrt! Ich habe auch das feste Vertrauen zu meinem Herrn und Gott, daß er mich bewahren werde, wo ich bin, und mich, wenn es sein Wille ist, aus dieser Mordgrube erlösen werde. Darum, ach, mein geliebtester und sehr werter Bruder in Christo Jesu, laß uns guten Mutes sein, wenn uns auch mehr Widerwärtigkeit als der Welt zustößt, ach, laß uns auf den Herzog unseres Glaubens und den Vollender Jesum Christum sehen, wie er uns in vielem Leiden und großer Schmach vorgegangen ist, gleichwie auch alle heiligen Propheten. Ach, laß uns darauf sehen, wie sie uns in so viel Trübsal, Mangel und Ungemach vorgegangen sind, deren die Welt nicht wert war, denn hätten sie daran gedacht, wovon sie ausgegangen waren, sie hätten ja Zeit genug gehabt, wieder umzukehren; nun sie aber ein Besseres begehren, nämlich das Himmlische, so schämt sich auch Gott nicht, ihr Gott genannt zu werden.

Darum, ach J., mein herzlich geliebter und sehr werter Bruder in dem Herrn, wird sich Gott auch nicht schämen, unser Gott genannt zu werden, wenn wir anders treulich bei seiner Wahrheit bleiben, und nicht abermals der Buße von toten Werken und des Glaubens an Gott Grund legen. Ach nein! Ach nein, allerliebster Bruder in dem Herrn, laß uns nicht abermals der Buße von toten Weiten und des Glaubens an Gott Grund legen, sondern laß uns den Glauben, den wir an Christum, unsern lieben Herrn, haben, festhalten; ach, ich hoffe mit Gottes Hilfe den Glauben, den ich an Jesum Christum habe, festzuhalten; es soll mich auch, mit des Herrn Hilfe, niemand von der Liebe Gottes scheiden, wie auch Paulus sagt: Wer will uns von der Liebe Gottes scheiden? Trübsal, oder Angst, Verfolgung, Hunger, oder Blöße, oder Schwert? Wie geschrieben steht: Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag, wir sind geachtet wie Schlachtschafe; aber in allem diesem überwinden wir weit, um deswillen, der uns geliebt hat, denn ich bin gewiss, daß weder Tod noch Leben, weder Engel, noch Geist, noch Pein, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch eine andere Kreatur, uns von der Liebe Gottes scheiden mag, die in Christo Jesu, unserm Herrn, ist. Darum, mein geliebtester und werter Bruder in dem Herrn, laß uns ja wohlgemut sein in dem Herrn, denn sie können kein Haar von unserem Haupte krümmen, es sei denn der Wille des Vaters. Ach, J., mein lieber und werter Bruder in dem Herrn! Ich bin noch so wohlgemut, der Herr sei dafür gelobt, sodass ich die Freude nicht beschreiben kann, die ich in meinem Herzen habe. Ach, welchen Mut habe ich wider die Fürsten und Herren der Finsternis zu streiten! Es dünkt mich, daß ich wohl mit David sagen könnte: Ich fürchte mich nicht vor vielen Hunderttausenden, die sich wider mich legen. Ach, welch eine Freude habe ich! Lob, Preis und Ehre müsse Gott gegeben werden bis in Ewigkeit für die große Freude, die er gibt. Ach, mein allerliebster Bruder, freue dich doch mit mir, und laß es dir zur Stärkung dienen, wie ich denn auch hoffe, daß es eine solche sein wird. So habe ich denn, mein geliebtester Bruder in Christo Jesu, ein wenig geschrieben nach der geringen Gabe, die ich durch des Herrn Gnade empfangen habe. Hiermit will ich dich unserm lieben Herrn und dem reichen Worte seiner Gnade befehlen, ich nehme nun Abschied und sage: Gute Nacht, gute Nacht, lebe wohl, lebe wohl, mein allerliebster Bruder in dem Herrn, bis wir wieder zusammenkommen. Müssen wir auch hier voneinander scheiden und von Menschen geschieden werden, so hoffe ich doch, daß wir uns da versammeln werden, wo uns niemand scheiden wird. O J., mein liebster Bruder in dem Herrn, halte dich doch tapfer in dem Worte Gottes bis ans Ende; ein Gleiches hoffe ich auch zu tun. Ich sage noch einmal gute Nacht, gute Nacht, lebe wohl, lebe wohl; nun muss es geschieden sein. Ach, ich bitte dich freundlich, du wollest mir doch mein einfaches Schreiben zu gut halten, wie ich auch hoffe, daß du tun wirst, denn es ist aus reiner Liebe geschehen. Geschrieben in Banden, von mir, Barbelken Göthals, deiner schwachen Schwester in dem Herrn, die in St. Peters um des wahren Zeugnisses Jesu willen gefangen sitzt und in Ketten liegt. Behalte diesen Brief zu meinem Andenken; ich hoffe ihn mit meinem Blute zu versiegeln. Fürchte Gott allezeit, aber keinen Menschen.