Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.295

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2.295  Ein Brief, welchen Jelis Bernarts an sein Weib geschrieben hat.

Die Gnade und der Friede Gottes des Vaters, der uns durch Jesum Christum, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, geworden ist, wolle dich trösten in aller deiner Trübsal durch die Kraft des Heiligen Geistes, welcher Geist ein Tröster aller Notleidenden und uns vom Vater durch seinen Sohn Jesum Christum gesandt ist, zum Lehrmeister aller Gläubigen, und zum Tröster aller Notleidenden, die in göttlicher Traurigkeit sind, welche Traurigkeit zur Seligkeit wirkt. Dieser einige, ungeteilte, unveränderliche, ewige, allmächtige, starke Gott, in drei Namen ausgedrückt, nämlich Vater, Sohn und Heiliger Geist im Wesen ( wie bei Johannes in dem ersten Briefe im 5. Kapitel steht: Drei sind, die da zeugen im Himmel, der Vater, das Wort und der Heilige Geist, und diese drei sind eins), wolle dein Tröster sein, bis ans Ende; solches bitte ich aus Grund meines Herzens durch seinen lieben Sohn, Jesum Christum, unsern Herrn, Amen.

Nebst herzlichem und freundlichem Gruße an dich, mein geliebtes und wertes Weib und Schwester in dem Herrn, die ich liebe wie meine eigene Seele, nach dem Geiste und Fleische ( denn du bist Fleisch von meinem Fleische, und ich auch mit dir), kann ich weder unterlassen, wenn ich deine Traurigkeit ansehe, noch es versäumen, dich allezeit zu trösten mit meinem Schreiben, solange ich Zeit habe. So wisse, meine Geliebteste, daß mir der Abschied von dir auch schwer fällt; aber ich tröste mich mit des Herrn Worte, wo er sagt, man müsse alles hassen und lassen, Vater, Mutter, Weib, Kinder; und daß wer sein Kreuz nicht täglich auf sich nimmt, sein Jünger nicht sein könne. Da ich auch weiß, daß die Vereinigung des Fleisches, die wir miteinander gehabt haben, nicht ewig bestehen kann, und nun der Fall eintritt, daß wir, nach des Herrn Willen, voneinander scheiden, so verleugne ich hierin meinen Willen und übergebe mich des Herrn Willen; tue dasselbe, darum bitte ich dich, meine Geliebteste, übergib dich selbst dem Herrn, denn er ist dein Leben und dein Sterben, wie Röm 14,8 steht: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn; denn wir sind des Herrn. Und wenn ich die Einigkeit betrachte, worin wir noch stehen, nämlich in dem geistigen Leibe Christi (denn wir sind zusammen durch einen Geist zu einem Leibe getauft), so freue ich mich, daß du auch mit mir in der Gemeinschaft stehst, und der göttlichen Natur teilhaftig geworden bist, ja, Reben an dem Weinstocke, welcher Christus ist, Schafe des rechten Hirten, Kinder der Verheißung, geboren von der Freien, Erbgenossen in dem Reiche Gottes, mit Christo in dem Reiche seines Vaters; denn wir sind durch ihn aus Gott geboren, durch den unvergänglichen Samen, durch das Wort der Wahrheit, welches er selbst ist; denn er ist das Wort des Vaters, und das Wort ist Fleisch geworden, durch welches Wort und durch welchen Geist wir zu dieser Gemeinschaft gekommen und Fleisch von seinem Fleische, Bein von seinem Beine und Glieder seines Leibes, nämlich seiner Gemeinde, deren Haupt er ist, geworden sind; und wenn ich einsehe, daß du mit mir demselben einverleibt bist, so erfreue ich mich; tue dasselbe, meine Geliebteste, solches bitte ich von dir, denn wenn wir dem treu bleiben, mit dem hier vereinigt stehen, und nicht Hurerei treiben, so wird diese Einigkeit ewiglich bestehen, und wir werden endlich alle herrlichen Güter mit ihm in seines Vaters Reiche miteinander genießen. Aber wisse (die du bist), mein liebes Schaf, daß Christus, als er die Herrlichkeit seines Vaters verlassen hatte, und auf Erden kam, dieselbe wieder durch viel Trübsal und Leiden habe einnehmen müssen; nun ist er das Haupt und wir sind die Glieder; so ist er vorangegangen, ebenso müssen die Glieder nachfolgen, denn es ist nur ein Weg und eine Tür, durch welche die Glieder nachfolgen müssen; der Leib kann nicht zerteilt in das Haus gehen. Darum, meine Geliebteste, wenn wir Glieder an dem Haupte sein, und mit Christo in das Haus seines Vaters kommen und die herrlichen Güter genießen wollen, so müssen wir denselben Weg einschlagen, und alles, was uns begegnen mag, annehmen; denn, wollen wir mit herrschen, so müssen wir auch mit leiden; sind wir Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir anders mit ihm leiden, damit wir auch mit ihm zur Herrlichkeit erhoben werden; denn ich halte dafür, daß dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert sei, die an uns offenbar werden soll. So sagt auch Christus: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, ihr werdet weinen und heulen, und die Welt wird sich freuen, ihr aber werdet trauern und betrübt sein, doch soll eure Traurigkeit in Freude verwandelt werden.

Denn ein Weib, wenn sie gebärt, hat Traurigkeit, weil ihre Stunde gekommen ist; wenn sie aber das Kind geboren hat, so gedenkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, weil ein Mensch zur Welt geboren ist. Also, meine Geliebteste, nimm hier an den Worten Christi ein Exempel, daß es uns eben so ergehen müsse, bis wir Christum geboren haben.

Darum, meine Geliebteste, merke wohl auf die Schrift, wie er allezeit von Trübsal und Leiden in dieser gegenwärtigen Zeit redet, und doch immer den Trost damit verknüpft, eben wie er sagte: Selig sind die Traurigen, denn sie sollen getröstet werden; und ferner: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden; an einer andern Stelle sagt er: Fürchtet euch nicht, ich will euch nicht als Waisen lassen; gleichwie er auch durch den Propheten Jesaja sagt: Kann auch eine Mutter ihres Kindes vergessen? Ja, wenn sie es auch täte, daß sie des Sohnes ihres Leibes vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen.

Deshalb meine Geliebteste, sei doch getröstet mit obigen Worten, und mit allen herrlichen Gütern, deren du durch den Glauben teilhaftig geworden bist, um deretwillen du nun weinst in dieser Zeit; darüber wirst du dich nicht verwundern, denn du weißt ja wohl, daß uns hier in dieser Zeit nichts anderes verheißen ist, als Trübsal, Leiden, Verfolgung und Weinen, indem es heißt: Selig seid ihr, die ihr hier weint, denn ihr werdet lachen; wehe euch, die ihr lacht, denn ihr werdet weinen. Darum ist es besser, hier zu weinen als nachher, denn die zukünftige Zeit wird ewig währen; was aber vorhanden ist, muss schnell vergehen. So wirf denn, meine Geliebte, deine Sorgen auf den Herrn, denn er sorgt für dich, und sei gestärkt mit aller Kraft, nach seiner herrlichen Macht in aller Geduld und Langmut mit Freuden, und danksage dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbteile der Heiligen im Lichte, der uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis durch seinen geliebten Sohn Jesum Christum, unsern Herrn, welchem sei Lob, Preis, Ehre von nun an bis in Ewigkeit. Amen.

Hiermit sei, mein geliebtes Weib, (von mir, deinem getreuen Manne), dem Herrn und dem Worte seiner Gnade anbefohlen. Amen. Der Herr wolle dich durch seinen Geist stärken und kräftig machen, damit du das, was du hast, bis ans Ende behalten, mit Geduld die Zeit deiner Erlösung erwarten und so endlich die Krone des Lebens empfangen mögest. Der Friede des Herrn sei mit dir und allen denen, die den Herrn fürchten und lieben und seine Gebote halten.