Geliebteste!
Als vor Zeiten einer unserer Glaubensgenossen, C. Vermander, welcher an der Beschreibung der Trojanischen Kriege Gefallen fand, dem griechischen Poeten Homerus, den man den Blinden nannte, nachfolgte, indem er dessen griechische Verse, die von dieser Sache handeln, in holländische Reime gebracht, so hat er, nachdem er die Hälfte, nämlich die ersten zwölf Bücher, Iliade1 genannt, vollendet hatte, in seiner Arbeit aufgehört und nachfolgende Worte geschrieben:
Als ich den Blinden folgte nach,
Mit Fleiß zu bringen an den Tag,
Die Kriege Trojas ward ich satt,
Als ich die Hälft’ erreichet hatt’.
Er ist in der Hälfte seiner Reise verdrießlich geworden,2 und in der Tat, hierzu hatte er keine geringe Ursache, denn wer weiß nicht, dass derjenige, welcher einem Blinden, vorzüglich auf unbekannten und gefährlichen Wegen nachfolgt, gar bald in Irrtum, ja in großes Unglück geraten könne. Welcher friedsame und liebreiche Mensch sollte auch wohl Wohlgefallen daran finden, die schweren Kriege, erschrecklichen Stürme und Anfälle auf eine beängstigte und mit vielem Elende erfüllte Stadt wie Troja, sonst Ilium genannt, zu Homers Zeiten gewesen, anzuschauen. Darum war es billig und nicht weniger seiner Seele nützlich, dass er wieder umkehrte, wie man denn im Sprichworte sagt:
Es ist besser, auf halbem Wege umgekehrt,
als weiter irre gegangen.
Wir aber, sehr Geliebte, als wir den halben Weg, ja fünfzehn blutige Jahrhunderte zurückgelegt hatten, sind erst recht begierig geworden, die Reise fortzusetzen; wir hatten solche unersättliche Begierde aus demjenigen, was wir bereits gesehen und gehört hatten, geschöpft; ja, was noch mehr ist, obgleich wir auf dem Wege viel Hitze und Kälte, Ungemach und Wehtage, ja, tödliche Krankheiten3 erlitten haben, so ist doch dadurch unsere Begierde nicht erloschen, sondern vielmehr erregt und aufgeweckt worden, um das Ende zu erreichen.
Denn in Wahrheit, diejenigen, die uns hier begegnet sind, sind keine griechischen Kämpfer gewesen, welche unter dem Helden Agamemnon oder seinem Feldherrn Hector, Dienste genommen hatten; auch sind die Stürme und Anfälle, welche wir betrachtet haben, nicht auf eine mit Händen erbaute Stadt, vielweniger auf das Städtlein Ilium in Phrygien geschehen; ferner hat man hier, bei den Überwindern, keine Pechtonnen als Siegeszeichen gebrannt; vielweniger erlangten die Helden, die sich wohl gehalten und ihr Leben getreulich gewagt haben, verwelkliche Eichenblätter oder Lorbeerkränze zum Geschenke oder im Falle sie umgekommen waren, hat man ihre Gräber mit Grabsteinen, Pyramiden oder Grabspitzen, welche doch endlich mit der Welt vergehen müssen, geziert.
Hier aber verhielt es sich ganz anders, geliebte Freunde, ja gewisslich, ganz anders; denn es sind uns Helden begegnet, welche dem Könige aller Könige und dem Herrn aller Herren, Jesu Christo, gedient haben, welcher, obgleich ein geschlachtetes Lämmlein, dennoch ein Fürst der Könige oder Erde ist.4
Der Ort, den sie bestürmten, war eine Stadt, angefüllt mit allem Guten oder das neue und himmlische Jerusalem, deren Grund von allerlei Edelsteinen gelegt ist; die Pforten von Perlen die Straßen von Gold wie durchsichtiges Glas; diese haben sie mit Gewalt eingenommen zum ewigen Besitze; aber die abgöttische Stadt Babel, daran Gott ein Missfallen hatte, haben sie mit geistigen Waffen, so weit ihre Kräfte reichten, zu Grunde gerichtet.
Die Ehre, die sie durch ihren Sieg erlangen, ist eine ewige Ehre, ihre Freude eine ewige Freude! Die Siegeskronen, welche ihnen dargereicht werden, sind ewige und himmlische Kronen. Hier bedarf es keiner irdischen Grabsteine, Pyramiden oder Grabspitzen, um ihre Leichname zu verehren, weil ihre Seelen bei Gott in Ehren sind und unter dem Altar Gottes,5 welches der Platz aller seligen Märtyrer ist, Ruhe erlangen.
Den Ort, wo dieses alles geschehen ist, sind wir mit unsern Gedanken durchwandelt und haben alle diese Dinge mit den Augen des Glaubens angesehen.
Es ist wahr, der Jammer, der uns hier nach dem Fleische begegnet ist, ist fast nicht zu überwinden, wenn man so viele elendige und nicht weniger gottesfürchtige Personen betrachtet, welche ihr Leben für die erkannte Wahrheit gelassen haben; diese in den Flammen, jene im Wasser, worin sie ertränkt wurden, andere unter des Schwertes Schärfe, einige unter den Stricken, womit man sie erwürgte oder unter den Zähnen der wilden Tiere; ich will hierbei nicht anderer Werkzeuge ohne Zahl gedenken, wodurch sie erbärmlich und elendiglich umgekommen sind.
Auf der andern Seite aber ist die Freude nicht zu beschreiben, ja mit keiner Zunge oder Sprache auszudrücken, die wir daselbst mit geistigen Augen gesehen und mit den Ohren des Gemütes gehört haben; denn einige haben unter dem Gesange und Lobe Gottes den Tod umarmt und einer unter ihnen, wer kann solches begreifen, der selbst in den Flammen sterben sollte, hat seinen halbverbrannten Mitbrüdern die Hand auf das Haupt gelegt, ihnen Mut zugesprochen und sie im Glauben gestärkt. Ein anderer, der die Pein des Feuers geschmeckt hatte und aus den Flammen entwichen war, hat sich auf einen verbrannten Leichnam geworfen, um den Streit, welchen er angefangen hatte, auch ans Ende zu bringen und die Märtyrerkrone zu erlangen.
Dieses wird angeführt aus Thuanus und Cäsar Heisterb., durch D. B. Lydius, welcher, wenn er von dem waldisischen Märtyrer Arnoldus, von dem wir auf das Jahr 1163 Meldung getan haben und einigen, die mit ihm gemartert wurden sind, handelt, so sagt: Dieser Arnoldus ist, samt neun seiner Jünger, worunter zwei Frauen waren, den 5. August zu Köln bei dem Judenkirchhofe verbrannt worden und hat, ehe er tot war, auf die Häupter seiner halbverbrannten Mitgesellen seine Hände gelegt, sie gesegnet und gesagt: Seid standhaft bei eurem Glauben; denn ihr werdet heute bei Laurentius (dem Märtyrer) sein. Eine von den Frauen, schreibt er, als sie aus Barmherzigkeit dem Feuer entgangen um des Versprechens willen, das ihr gegeben wurden ist, dass man ihr zur Heirat helfen oder sie in ein Kloster bringen wollte, wenn sie Sinn dazu hätte, hat gefragt, wo Arnoldus, welcher daselbst (unter seinen Mitgesellen) als ein Ketzer verbrannt worden ist, läge, und als man ihr seinen Leib, der nun fast verbrannt war, zeigte, ist sie denen, die sie führten, aus den Händen entlaufen und hat sich auf des Arnoldus Leib geworfen, um so auch die Märtyrerkrone zu erlangen. D. Val. Lydius Buch, wo die Kirche gewesen sei vor dem Jahre 1160 oder vor der Waldenser Zeit. Gedruckt 1624, Pag. 59, Col. 1, aus Thuan, Buch 6 der Geschichte. Ferner Cäsar. Heisterb., Dist. 5, Cap. 19.
Wir haben das Obige noch demjenigen hinzugefügt, was wir hierüber im ersten Buche angegeben, obwohl wir von den Personen daselbst geredet haben. Auch könnten wir noch mehr dergleichen Exempel beibringen, wenn dieselben nicht zur Genüge bekannt wären.
Wir wenden uns nun zum zweiten Buche und wollen, wie auch zuvor geschehen, damit beginnen, was die heiligen Märtyrer von Zeit zu Zeit gelitten haben.
Doch wird unsere Arbeit hier bei weitem nicht so schwer sein; gleich einem Wanderer, welcher zuerst unter großen Anstrengungen einen jähen Berg hinaufgestiegen, dann aber allmählich und mit sanften Schritten wieder hinabsteigt, weil uns, so viel die Märtyrer betrifft, die frühere Beschreibung und das gedruckte Exemplar hierbei zu Hilfe kommen werden; deshalb haben wir uns auch vorgenommen, nichts Wesentliches zu verändern, damit wir das gute Werk unserer lieben Brüder, welche hierin vor dem Herrn in Heiligkeit gehandelt haben, nicht verkleinern möchten, ohne wo es (weil wir unsere eigene Beschreibung daran gehängt) höchst nötig sein möchte.
Unterdessen werden wir auch das Folgende mit verschiedenen frommen Zeugen Jesu, wovon man bis jetzt noch keine öffentliche Nachricht gehabt, aus zuverlässigen Quellen und geschriebenen Verhandlungen vermehren und auch ihr Verhör, Todesurteil, Briefe und andere Stücke, welche dieses betreffen, hinzufügen, welche wir zu dem Ende sowohl aus den Händen der Obrigkeit, Blutrichter und Blutschreiber als auch anderer, nicht ohne Mühe und Unkosten erlangt haben.
Dies wird nun die Ordnung des folgenden Werkes sein, von welchem wir wünschen, dass es Gott angenehm, unserem Nächsten erbaulich, uns selbst aber zu unserer eigenen Seele Nutzen und Heil ersprießlich sein möge, durch Jesum Christum, unsern einigen und ewigen Seligmacher, welchem sei Lob und Preis zu ewigen Zeiten, Amen.
Euer sehr zugeneigter in dem Herrn, Thielem. J. van Braght. Dortrecht, im Jahre 1659.
[1] Homers Ilias, welches heißt, wenn man’s erklärt: Die Beschreibung Homers von den Ilischen Kriegen oder die Eroberung der Stadt Ilium.
[2] Doch ward er verdrießlich, als er die Mitte erreicht hatte, worin er, wie angemerkt wird, nicht unrecht getan hat und warum.
[3] Gott hat uns heimgesucht mit einer halbjährigen und fast tödlichen Krankheit, in welcher Zeit wir gleichwohl einen großen Teil des ersten Buches geschrieben haben.
[4] Offb 1,5
[5] »Ich sah unter dem Altar die Seelen derer, die erwürgt waren um des Wortes Gottes und des Zeugnisses willen, das sie hatten.« (Offb 6,9)