Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.466

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2.466  Noch ein Brief von Jacob Kerzengießer, im Gefängnisse geschrieben.

Ich, Jacob, ein Gefangener um des Herrn willen, wünsche meinem lieben Bruder viel Gnade, Barmherzigkeit und Frieden von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesu Christo, daß er dich durch seinen Geist stärken und erleuchten wolle, nach seinem Wohlgefallen, zur Offenbarung seiner Erkenntnis, damit du seinen Willen tun mögest, und nach dem Ausspruche des rechten Gerichtes Gottes, zu seinem Reiche würdig erfunden werdest, durch Jesum Christum, welchem sei Preis von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen.

Herzlich geliebter und in Gott werter Bruder! Da ich im Schreiben vieler Gottesfürchtigen eingedenk gewesen bin, so kann ich zuletzt nicht unterlassen, ein wenig an dich zu schreiben. Zum Beweise der guten Gemeinschaft, die wir in Christo Jesu durch den Glauben einige Zeit hindurch miteinander gehabt haben, was nun um des Herrn willen zerbrochen und geschieden werden muss, denn gleichwie ein Weib alle gute Kundschaft und Gemeinschaft, die sie neben ihrem Manne hat, um des Mannes willen verlassen und mit ihm ziehen muss, wohin es ihm gefällt, so müssen auch wir alle gute Bekanntschaft und Gemeinschaft, die wir neben dem Herrn mit irgendeinem Menschen haben, um seinetwillen verlassen, und das durch den Glauben und die Liebe an Jesum Christum, denn wir haben ihn mit leiblichen Augen nicht gesehen; deshalb ist es offenbar, daß es durch den Glauben geschehen müsse, denn wenn man etwas liebt, weil man es sieht, so geschieht solches nicht durch den Glauben, indem die Liebe daher entsteht, weil man es sieht; wenn man aber eine Sache liebt, weil man von derselben hört, so kommt die Liebe daher, weil man dasjenige glaubt, was man davon hört. Ebenso hat auch Rebekka, wiewohl sie Isaak nicht gesehen, ihn dennoch um der Reden des Knechtes Abrahams willen so lieb gehabt, daß sie seinetwegen alles, was sie in Syrien hatte, verließ, und ihm entgegen zog. So müssen wir auch um des Herrn willen durch den Glauben und nicht durch das Sehen alles verlassen, was wir in dieser Welt haben, nicht allein im Geiste, wie solches eine Zeitlang von uns geschehen sein mag, das ist das Geringste, sondern es muss auch jetzt von mir Unwürdigem alles in der Kraft verlassen sein in der Hoffnung, daß ich ihm in der Luft entgegenkommen und allezeit bei dem Herrn sein werde. Darum schreibt Petrus: Wenn nun Christus Jesus offenbart wird, den ihr nicht gesehen und doch lieb habt, und nun an ihn glaubt, wiewohl ihr ihn nicht seht, so werdet ihr euch freuen mit unaussprechlicher Freude, und das Ende eures Glaubens davontragen, nämlich der Seelen Seligkeit. Seht, liebe Brüder, dann werden wir nicht mehr im Glauben wandeln, als in der Fremde vom Herrn, sondern im Schauen; dann wird die Wallfahrt ein Ende haben; dann wird die Hoffnung aufhören; dann werden wir empfangen, was wir hier in der Hoffnung haben, nämlich wir werden alles besitzen; dann wird die Hochzeit ein Ende haben; denn der Bräutigam wird um seiner Braut willen kommen, welche seine Gemeinde ist; dann wird das Gesicht, wovon Johannes schreibt, in Erfüllung gehen: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde verging und das Meer war nicht mehr. Merkt, liebe Brüder, er sagt: Das Meer ist nicht mehr; viele zwar verstehen es von dieser Zeit; aber wir haben noch ein Meer vor uns, es sei nachher natürlich oder geistig, wie man es auch verstehen will, denn im 4. Kapitel steht von einem gläsernen Meere; wie ich es aber verstehe, so redet Johannes von einem natürlichen Meere, von dem natürlichen Himmel und der Erde und von dem jüngsten Tage, während nach Petrus Worten Himmel und Erde vom Feuer vergehen und erneuert werden sollen; hier finden wir nichts vom natürlichen Meere, sondern es heißt: Wir warten aber eines neuen Himmels und einer neuen Erde, nach seiner Verheißung, in welcher Gerechtigkeit wohnt, denn Gott hält seine Verheißungen treulich; alsdann wird seine Gerechtigkeit offenbart. Gott wird einem jeden an seinem Leibe vergelten, je nachdem er getan hat; es sei gut oder böse: So wird Gottes Gerechtigkeit offenbar werden, sowohl in der Gerechtigkeit als Ungerechtigkeit, nachdem er einem jeden sein Versprechen getreulich halten wird. So schreibt auch Johannes: Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, vom Himmel herniederfahren, von Gott zubereitet wie eine geschmückte Braut ihrem Manne, und hörte eine große Stimme vom Himmel sagen: Sieh da, eine Hütte Gottes unter den Menschen, und er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein, und er selbst Gott mit ihnen wird ihr Gott sein und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen, was, liebe Brüder, jetzt noch nicht geschehen ist, denn hier laufen die Tränen noch aus den Augen derer, die durch Christum erneuert sind: Wenn aber die Gerechten in großer Standhaftigkeit wider diejenigen stehen werden, die sie geängstigt haben, dann werden die Tränen von den Augen gewischt werden, denn der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerzen werden mehr sein, denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Throne saß, sagte: Sieh, ich mache alles neu. Darum schreibt auch Petrus: Wenn nun das alles zergehen soll, wie sollt ihr denn geschickt sein mit heiligem Wandel und gottseligem Wesen, daß ihr wartet und eilt zu der Zukunft des Herrn. Wenn wir aber das Neue besitzen sollen, so müssen wir hier im Geiste erneuert werden, sonst können wir zu dem ewigen Leben nicht auferstehen, denn diejenigen, die Böses getan haben, werden zur Auferstehung der Verdammnis hervorkommen; deshalb schreibt auch Petrus: Meine Liebsten, weil ihr darauf warten sollt, daß ihr, nach Gottes Verheißungen, einen neuen Himmel und eine neue Erde besitzen werdet, so gebraucht Fleiß, daß ihr vor ihm unbefleckt und unsträflich im Frieden erfunden werdet, und achtet die Geduld unsers Herrn Jesus Christi für eure Seligkeit, denn Gott ist langmütig, und will nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß sie sich zur Buße und Besserung begeben. Wäre der Herr vor achtzehn oder zwanzig Jahren gekommen, wir wären (wie zu besorgen) noch unbereitet gewesen; darum wird seine Langmut gegen uns uns zur Seligkeit gereichen, wenn wir anders unsträflich und unbefleckt in dem Frieden Gottes erfunden werden. So nehmt denn, meine lieben Brüder, eurer selbst wahr und bereitet euch dem Herrn, denn vielleicht steht unser lieber Herr auch vor eurer Tür, und hat den Ring in der Hand, um anzuklopfen.

Darum, liebe Brüder, bereitet dem Herrn eure Herzen, damit, wenn er kommt und anklopft, ihr bereitet sein mögt, ihm aufzutun, denn er kommt, wenn wir ihn am wenigsten erwarten. So seid denn nüchtern und wacht, und umgürtet die Lenden eures Gemütes und handelt allezeit männlich in der Wahrheit, als ein tapferer Held, um unserm armen Häuflein vorzustehen, und führt sie auf die rechte Weide des Wortes Gottes, damit sie gespeist werden mögen, denn der Mensch lebt nicht allein vom Brote, sondern von einem jeden Worte, das aus dem Munde Gottes kommt. Darum sagt David: Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln; er weidet mich auf grüner Aue, und führt mich zum frischen Wasser. Obgleich nun Christus der rechte Hirt ist, so hat er doch in der Gemeinde manche Dienste verordnet, um die Schafe zu regieren und auf die Weide zu führen, denn wenn die Kinder auch Brot haben, so muss es ihnen doch von jemandem vorgeschnitten werden. Darum, liebe Brüder, tut doch euer Bestes, um der Not willen; bleibt bei ihnen, dann werdet ihr (wenn der Erzhirte sich offenbaren wird) die unvergängliche Krone der Ehren empfangen; und gebt allezeit fleißig Achtung, daß die Gemeinde nicht bloß sei, sondern mit voller Handfüllung bedient werde; lasst die übermäßigen Spitzfindigkeiten und menschliches Gutdünken fahren; und legt es dem Volke vor, daß sie nach der Wahrheit Gottes handeln, in der Weise, wie ich unserer Gemeinde ein wenig geschrieben habe, und noch mehr getan hätte, wenn das Papier nicht zu klein gewesen wäre. Darum, mein lieber Bruder, handle stets weise, und halte dich allezeit rein; hüte dich vor anderer Leute Streit; prüfe die Sache wohl, ehe du dich hineinmischst, denn wer sich in anderer Leute Streit mengt, der tut geradeso, als ob er einen Hund bei den Ohren ergriffe; was du aber zum Frieden reden kannst, das tue, nicht aber zur Trennung, denn es ist dann nicht die rechte Zeit dazu; wenn aber ein falscher Grund neben den bewährten und reinen Artikeln der Wahrheit sich erhebt, so handle als Mann, doch mit Freundlichkeit und Langmut. Stehe der Wahrheit vor und treibe die Füchse aus des Herrn Weinberge, damit die zarten Ranken von dem Weinstocke Jesu Christo nicht abgebissen oder abgerissen werden, sondern derselbe gesegnet und fruchtbar sein möge in dem Herrn. Darum, lieber Bruder, übe dich selbst in der Schrift und lasse etwas von deiner zeitlichen Nahrung fahren, damit du durch Gewohnheit zum Unterscheiden des Guten und des Bösen geübte Sinne habest, denn die zeitliche Nahrung ist eine große Verhinderung in den geistigen Gaben; denn dadurch werden die Sinne mit Bekümmernis angefüllt und sehr zerstreut.

Darum, lieber Bruder, denke darum, was der Apostel sagt, daß die leibliche Übung wenig nütze ist, denn sie nützt dem Leibe, aber nicht dem Geiste; überdies hat dir auch der Herr dem Fleische nach viel Segen gegeben, sodass dich die Not nicht treibt; aber die Übung der Gottseligkeit ist zu allen Dingen nützlich, sie ist dem Geiste und dem Leibe nützlich, denn sie sorgt für beide; sie bedenkt den inwendigen Menschen, und hilft ihm in allem, was ihm zur Seligkeit dient; von solcher Art ist die Gottseligkeit; auch vergisst sie des Leibes nicht, sondern weiß die leiblichen Dinge mit Maß zu gebrauchen; sie wirft ihr Anliegen auf den Herrn, und weiß, daß er für sie sorgt; darum sagt der Apostel: Sie hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens. Darum, lieber Bruder, bist du mit Christo auferstanden, so suche, was droben ist, wo Christus ist, zur rechten Hand Gottes sitzend; suche das, was himmlisch, und nicht, was irdisch ist; sei nicht einem Maulwurfe gleich, der allezeit mit dem Maule in der Erde liegt und wühlt und dabei so blind ist, daß er nicht nach dem Himmel sieht; ich sage nicht, lieber Bruder, daß du so wärest; das sei ferne, denn ich habe ein besseres Vertrauen zu dir, aber wenn wir uns selbst im Grunde untersuchen, so finden wir uns von solcher Art, daß wir irdisch gesinnt und blind in göttlichen Dingen sind, und wenn wir auch durch Jesum Christum erleuchtet sind, sodass wir in göttlichen Sachen ein Gesicht erlangt haben, und durch ihn erneuert worden sind, so folgen wir gleichwohl bisweilen allzu sehr unserer angeborenen Art, welche die Veranlassung ist, daß der Glaube bisweilen sich beugen und den Rücken herhalten muss, denn er wird durch die angeborene Art unterdrückt, welche durch Unglauben und ein schlechtes Vertrauen zu Gott noch ihre Früchte ausgebiert. Daher kommt es denn, daß die Menschen Schiffbruch im Glauben leiden, denn wenn auf dem Meere zwei feindliche Schiffe einander begegnen, so sieht man, wie eins das andere überwindet; ebenso werden auch der Glaube und Unglaube durch des Menschen Art Feinde gegeneinander, und überwindet eins das andere.

Darum, wenn wir mit dem inwendigen Mensch durch den Glauben nicht starken Widerstand leisten, so werden wir mit der Zeit überwunden, denn der Unglaube hat großen Beistand; zunächst von dem Satan, der sein Werk in den Kindern des Unglaubens hat, und ferner von unserem eigenen Fleische, darum überlege es doch, lieber Bruder, wie starken Widerstand es kostet, wenn eine belagerte Stadt Verräter in ihren Mauern hat, daß man die Feinde unterdrücke und die Stadt in Freiheit setze; ebenso müssen wir auch großen Fleiß anwenden, bis wir alle diese Feinde überwinden. Zu diesen gehört insbesondere unser eigenes Fleisch, das zu allem Bösen geneigt ist, denn es gelüstet wider den Geist. Darum muss man betrachten, wie vorsichtig die Könige dieser Welt sind, wenn sie merken, daß sich ihre Feinde erheben! Dann sehen sie sich vor, und sammeln alle ihre Kräfte, um den Feinden zu widerstehen. Wir aber, die als Könige und Männer in dem Guten vorsichtig sein sollten, und als Kinder einfältig in dem Bösen, wenn wir bemerken, daß sich unsere Feinde erheben, gehen ihnen zwar entgegen, aber es geschieht nicht aus dem Glauben, sondern aus Unglauben, wenn wir fühlen, daß unsere eigene Art, die aufs Irdische erpicht ist, sich nicht damit vergnügen lässt, daß wir guten Gewinn haben, sondern sie hätte lieber noch mehr, denn sie liebt das Geld; darum wird sie nicht bald Geldes satt; auf solche Weise begegnen wir dann derselben, setzen noch zwei oder drei Handwerker auf, und überlegen nicht recht, wie schädlich es unserem Glauben sei, und wie sehr unsere Sinne dadurch zerstreut werden; auf solche Weise sind wir mehr um das Zeitliche, als um das Geistige bekümmert, und es verlieren sich dadurch die geistigen Gaben, während sie doch zunehmen sollten; man hat auch keine Lust, der Herde Christi die Hand zu bieten und sie mit demjenigen zu weiden, was man von dem Herrn empfangen hat. Wohl mit Recht sagt der Apostel: Es ist ein großer Gewinn, gottselig zu sein und sich vergnügen zu lassen, denn wir haben nichts in diese Welt gebracht, und es ist offenbar, daß wir nichts mitnehmen werden. Und nun, lieber Bruder, wenn wir auch denken, ich suche keinen Schatz zu sammeln, ich begehre den Gewinn für mich allein nicht zu behalten, so überlege doch daneben, daß wir uns nicht selbst leben, sondern wir sind Knechte eines großen Königs. Wenn du aber nun ein König wärest, und hättest Knechte, unter welchen du den einen zu deinem Kämmerer, den andern zu deiner Leibwacht verordnen würdest, der erstere aber verließe seinen Dienst, worin du von ihm hattest bedient werden sollen, und wollte den Dienst der Leibwacht annehmen, so überlege es doch, ob du mit diesem Knechte wohl zufrieden sein könntest. Ebenso auch, lieber Bruder, hat dich der Herr zu seinem Knechte gesetzt, daß du ihm mit der geistigen Gabe dienen solltest, die du von ihm empfangen hast; wenn du nun diese verlassen, und dich im Zeitlichen üben willst, um ihm darin zu dienen, so überlege es, ob du damit dem Herrn gefallen werdest, und wolltest du etwa als Ursache vorwenden, das sei nicht dein Amt, so sollst du wissen, daß es nicht alle Lehrer sein müssen, welche die Gemeinde erbauen; das ist keine Vorschrift der Schrift. Darum mein lieber und sehr werter Bruder, nimm deiner selbst wahr, und übergib dich dem Herrn, bleibe bei der Gemeinde; ich bitte dich darum von ganzem Herzen, damit die Herde nicht zerstreut werden möge; ich hoffe, der Herr werde dir helfen und dich zur gelegenen Zeit bewahren, wenn du von ganzem Herzen den Herrn suchst; ich bitte dich, nimm es doch zu Herzen. Ich hätte dir wohl hiervon mehr schreiben sollen, aber ich habe jetzt keine Gelegenheit dazu; ich hoffe, noch einen Brief zu schreiben, wenn der Herr Zeit gibt; denselben wollest du auch zu Herzen nehmen. Hiermit befehle ich dich, mein lieber Bruder, dem Herrn, und nehme von dir einen herzlichen Abschied. Nimm mein Schreiben zum Besten auf, denn es ist allein um deinetwillen geschehen; ich wünschte, daß es von M. oder bei M. auch gelesen werden möchte, wie auch von allen unsern Lehrern (Dienern).

Geschrieben in meinem Gefängnisse an den lieben Bruder D. B., von mir, Jacob Kerzengießer, den 29. und 30. Mai im Jahre 1569.

Die leiden hier nach Gottes Sinn, die wollen darauf merken:
Sie geben ihre Seelen hin, dem Schöpfer guter Werken.