Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.408

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2.408  Valerius, der Schulmeister, im Jahre 1568.

Im Jahre 1568 ist ein frommer gottesfürchtiger Bruder, genannt Valerius, Schulmeister zu Brouwershaven in Seeland, um des Zeugnisses Jesu willen gefangen worden, welcher zu seiner Zeit das Schulmeisteramt zu Hoorn in Holland und Middelburg in Seeland bedient hat. Derselbe ist ein eifriger Nachfolger Christi gewesen, und hat sein empfangenes Pfund nicht in die Erde verbergen, sondern es mit großem Ernst auf Wucher legen wollen, so daß er auf Wegen und Straßen (wo er bequeme Gelegenheit fand) die Leute aus Gottes Wort ermahnt und den Sündern mit schrecklicher Strafe und Rache gedroht hat, welche in der schnellen Zukunft Christi vom Himmel über alles gottlose Wesen ergehen wird, wogegen er aber den Bußfertigen mit den großen und herrlichen Verheißungen und Belohnungen, welche Gott allen Gläubigen am Ende der Welt austeilen wird, getröstet hat. Deshalb ist er bei den verfinsterten Menschen (welche das Licht des Evangeliums nicht leiden mögen) in Ungnade gefallen, sodass er zu Goes in Seeland einmal darüber in Bande geraten, jedoch (unverletzt an seinem Glauben) wieder befreit worden ist, bis er endlich zu Brouwershaven, im Lande Zierikzee, gefangen worden ist, wo er viel Anfechtung und langwierige Gefangenschaft erlitten hat. Aber durch des Herrn Gnade hat er alles überwunden, und hat den Glauben der Wahrheit mit seinem Tode und Blute bezeugt und versiegelt, sodass er auch die Krone des ewigen Lebens aus Gnaden erlangt hat.

Er ist auch in der Zeit seiner Gefangenschaft nicht müßig gewesen, sondern hat zwei schöne Büchlein geschrieben, die lesenswert sind, und welche er aus seiner Gefangenschaft gesandt hat. Das erste handelt von dem Abnehmen und dem Verfalle der apostolischen Gemeine und dem Aufkommen des Antichristen, und wie durch denselben das Licht des Evangeliums verdunkelt worden sei. Dieses Buch ist in der sechzigsten Woche seiner Gefangenschaft geschrieben, und enthält außerdem eine herzliche Ermahnung an die, welche von Gottes Wort abgefallen waren, damit sie bei Zeiten die Gnade des Allmächtigen suchen möchten, weil er noch zu finden ist.

Das andere Büchlein wird Die Probe des Glaubens genannt; in demselben lehrt er mit großem Fleiße, diese Welt mit allen sichtbaren Dingen für nichts, für Schaden und Dreck zu achten, damit man nur Christum gewinne; außerdem ermahnt er alle Gläubigen, um Christi willen arm zu werden, und den Reichtum dermaleinst in dem Himmel bei Gott zu erwarten. Darum rühmt er auch sehr an Menno Simons S. G. die hinterlassene Armut und Gottesfurcht, und daß er in diesem Punkte manche andere beschämt habe. Wir haben ihm hier zum Andenken den ersten Teil (des gemeldeten Büchleins) mit beigefügt, damit der Leser aus diesem wenigen auf das andere schließen möge, was wir der Kürze wegen nicht mitteilen können; er hat das Büchlein in der vierzehnten Woche seiner Gefangenschaft geschrieben; lest es mit Aufmerksamkeit.

O du natürlicher, unparteiischer Leser oder Hörer, der du einigen Verstand hast, du kannst wohl wissen und denken, daß ein Mensch, der so böse und verdorben ist (und so viel Böses getan hat, daß er sterben müsste, wenn er gefangen wäre), sich billig fürchten sollte, mehr Böses zu tun, damit er nicht zuletzt gefangen oder getötet werden möchte. Lässt er aber nicht ab von dem Bösen, so kann er endlich wohl um seiner Missetat willen gefangen genommen werden; wenn er dann gefangen ist, so wird er sich Tag und Nacht damit beschäftigen, wie er frei werden möchte, es sei mit List, Gewalt oder Ausbrechen; nur damit er sein unsicheres Leben eine geringe Zeit verlängern möchte, welches er doch zuletzt (wenn er auch ausbräche) verlassen muss. Wenn nun ein armer Gefangener sich selbst nicht helfen kann, so soll er bedenken, ob ihm von einem guten Freunde geholfen werden möchte, und wenn es ihm bei seinem Freunde fehlschlüge, so muss er bei sich bedenken, ob etwa die Richter ihm nicht gnädig sein möchten, welchen er zu Füßen fallen und sie sehr bitten muss, daß sie seiner aus Gnaden schonen wollten; dabei muss er große Besserung verheißen, daß er solche und dergleichen Missetaten während seines Lebens nicht mehr tun wolle. Wenn nun der Gefangene so viel, ja, alles, was er zu tun weiß, getan hat, und doch weder seine Ratschläge noch sonst etwas ihm helfen mag, so kann er wohl in der Verzweiflung den Mut ganz sinken lassen. Und wenn er den Mönch kommen sieht, so mag er sich wohl fürchten und denken, daß sein Beichtvater (der ihm mit Lügen und eitlem Troste das ewige Leben zusagen und ihn davon bei seiner Seele versichern wird) ein Vorbote seines Todes sei. Wenn nun der Verurteilte seine Sentenz oder sein Todesurteil vor Gericht aussprechen hört, so mag er sich noch mehr verändern und erblassen; zuletzt aber, wenn er zum Tode geführt wird, und die Werkzeuge seines Todes, Galgen, Rad, Pfahl oder Wasser sieht, dann hat er erst die größte Ursache zu erschrecken und sich zu fürchten, auch so bange zu werden und zu erstarren, als ob er lebendig tot wäre, es sei denn, daß er von den Pfaffen oder andern Lügnern in seinen Sünden der Seligkeit versichert würde, worauf er in seinem Tode sich verlassen möchte, der eine auf diese, der andere auf eine andere Weise. Und wenn es nun geschehe, daß jemand diesem verurteilten Missetäter unter dem Schwerte oder an dem Pfahle eine gute Nachricht brächte, und ihn des Lebens versicherte, den Missetäter aufstehen hieße, und selbst niederkniete, um statt des Missetäters zu sterben, wie würde er so froh sein, und sein vergängliches Leben mit Dank annehmen. Aber Christum, welcher durch seinen Tod die Erlösung und das ewige Leben gibt, wollen nur wenige Menschen recht zu ihrer Besserung mit Dank annehmen.

Gesetzt nun, daß der Missetäter eine stinkende, unreine und grindige Hure wäre, die aber um einer Missetat oder um allerlei Bosheiten und Sünden willen, deren sie so viele begangen hätte (wenn es möglich wäre), als die ganze Welt jemals getan hat, um deretwillen sie zu dem allerschändlichsten Tode, der erdacht werden kann, verurteilt wäre, der König aber würde statt dieser Hure seinen einzigen lieben Sohn aus seinem Königreiche in große Armut, zur Gefangenschaft, zum Leiden und zum unschuldigen Tode senden, obgleich jene durch allerlei Schändlichkeiten und Missetat den König erzürnt, und den Tod darüber tausendmal verdient hätte, gleichwohl aber aus Gnade durch den Tod des Königssohnes (unter dem Beding sich zu bessern) mit dem Könige versöhnt, befreit, aus dem Gefängnisse oder vom Tode errettet und am Leben erhalten, ja, noch überdies aller Güter des Königs teilhaftig und ein Erbe derselben geworden wäre, sollte sie dann diese große Liebe und Gnade nicht annehmen, den König lieben, sich bessern und sich sehr fürchten, um den König ihr Leben lang nicht mehr zu erzürnen, der sie gereinigt, ihr alle Missetaten vergeben, alle ihre Schulden bezahlt, sie als ein liebe Königin geehelicht, sie in seine Herrlichkeit erhoben, und sie wie sich selbst vor allen Feinden beschützt? Wenn sie sich aber nicht bessern (nach ihrem Versprechen), sondern den König wieder erzürnen würde, und es ärger machen wollte als zuvor, wäre das nicht eine große Undankbarkeit, wodurch sie ärgere Strafe verdient hätte, als früher? Hierbei können wir uns selbst prüfen, ob wir auch, durch Gottes Gnade erlöst, im Glauben sind, und die Verheißung der Besserung auch halten. Und gesetzt, daß dieses so zu geschehen pflegte (welches man niemals so gehört und gesehen hat), weil es nur zeitlich und kurz wäre, so kann man es doch nicht vollkommen mit demjenigen vergleichen, das ewig und unvergänglich ist, nämlich mit der Liebe Gottes, die uns durch Christum, seinen geliebten Sohn, geworden ist.

Denn Gott hat die verdammte Welt, seinen Feind, die in Sünden verdorben ist und in der Bosheit steckt, so sehr geliebt, daß er seines einigen Sohnes nicht verschont hat, sondern Ihn aus seiner Herrlichkeit vom Himmel gesandt und dem schändlichen und verfluchten Kreuzestod übergeben hat, damit alle, die glauben, nicht verloren und verbannt bleiben, sondern durch seine Liebe, Barmherzigkeit und Gnade, die durch Christum geschehen ist, befreit, gesegnet, erlöst, von ihren Sünden gereinigt, vor dem zukünftigen Zorne beschützt, auch von Ihm gefreit, mit Ihm getrauet und zu seiner auserwählten Braut, zu seinem gehorsamen Weibe und herrlichen Königin, in sein ewiges unvergängliches Reich und Leben erhoben werden sollten, mit unaussprechlicher Freude, als wir so unrein in unsern Sünden und in unserm Blute ganz hässlich und unbeschnitten waren, daß auch niemand Acht auf uns hatte, Hes 16, und dabei vom Teufel gefangen waren, zu seinem Willen, und von Gott, nach seiner Gerechtigkeit, zum ewigen Tode und zur Verdammnis verurteilt waren.

Nun lasst uns die Sache wohl überlegen, und uns selbst bedenken, nach dem Gleichnisse der Missetäterin, der gefangenen Hure, unter dem Schwerte oder an dem Pfahle. Lasst uns selbst wohl prüfen, ob wir von unsern Sünden abgelassen und ob wir uns gebessert haben, und alle Tage uns noch mehr bessern, ob wir dieselbe Liebe, Gnade und Erlösung Gottes, geschehen durch Christum, durch den Glauben, welcher durch die Liebe tätig ist, recht angenommen haben, und ob wir auch hinwiederum Gott lieben, seine Gebote halten, und uns fürchten, Ihn zu erzürnen.

Die Welt war von Natur durch die Sünde verdorben, gerichtet oder zur Verdammnis verurteilt; deshalb ist Christus nicht gekommen, um zu richten oder zu verdammen, das gerichtet war, sondern alle diejenigen von dem Gerichte und der Verdammnis zu erlösen, die seine Gnade (Tit 2,11), durch den Glauben recht annehmen; das sind diejenigen, die ihrem sündhaften Leben absterben und es verlassen, Buße tun und sich bekehren. Summa, es sind diejenigen, die widergeboren sind und und nach dem Geiste leben (Joh 3; Röm 8), wie die Schrift im Überflusse an vielen Orten bezeugt.

Die anderen aber, die nicht recht nach des Herrn Worte, die Liebe, Gnade und Erlösung, durch den Glauben zur Besserung ihres ganzen Lebens annehmen, bleiben gleichwohl noch in ihren Sünden gefangen in der Verdammnis und dem Zorne Gottes, und werden weder das Reich Gottes sehen, noch das ewige Leben um ihres Unglaubens, ihrer Unbußfertigkeit und Ungerechtigkeit willen ererben, und weil sie in Sünden noch fortfahren, so können sie die Erlösung und Vergebung der Sünden nicht annehmen. Und wenn sie dieselbe auch einmal angenommen hätten, so widerfährt ihnen doch, wenn ihre neuen Sünden die alten übersteigen, etwas ärgeres als zuvor, weil sie so undankbar sind, und ihrer versprochenen Besserung nicht nachkommen; denn Christus hat unsere Sünden an seinem eigenen Leibe an das Holz des Kreuzes getragen (mit dem Beding unserer Besserung), damit wir, die wir glauben und der Sünde abgestorben sind, der Gerechtigkeit leben mögen, durch dessen Wunden sind wir gesund geworden, denn wir waren vor Zeiten verirrte Schafe, nun aber sind wir bekehrt zu dem Bischofe und Hirten unserer Seelen (1Pt 2). Hieraus kann man klar merken, daß diejenigen, die ihren Sünden nicht absterben, noch nach der Gerechtigkeit leben, durch die Wunden und durch den Tod Christi noch nicht geheilt oder erlöst sind, denn sie sind noch nicht durch den Glauben zu Gott von ihren Sünden, worin sie noch leben, bekehrt; darum getrösten sie sich des ewigen Lebens durch den Tod Christi und ihrer Erlösung umsonst, weil sie noch an ihre Sünden gebunden sind, oder sie müssten sich von ihren Sünden zu Gott bekehren, und ihm ihre ganze Lebenszeit in Gehorsam dienen in aller Heiligkeit und Gerechtigkeit des Glaubens, die vor ihm gefällig ist, sonst bleiben sie noch gefangen, ungläubig und verdammt, wie solches die Schrift ausführlicher anzeigt, als ich es angeben kann, denn ich habe noch niemals eine Bibel in dem Gefängnisse gehabt. Ein jeder prüfe sich selbst.

Merkt einmal darauf, wie die armen Menschen die Erlösung und Seligkeit annehmen nach ihrer Meinung. Es ist ja zur Genüge offenbar, wie man hört und sieht, daß fast alle Menschen in ganz Europa gläubige Christen heißen, obgleich sie mit ihren bösen Werken es kaum beweisen, daß sie natürliche Menschen sind, weil sie der Natur mehr zuwider leben als die unvernünftigen Tiere. Dessen ungeachtet sind sie von ihren Lehrern so unterrichtet, daß sie Kinder und Erben Gottes heißen, und es auch sein wollen; sie sind auch dazu angehalten worden und darin so fest gegründet, daß man nur wenige von ihren bekehren, oder ihnen raten und helfen, oder sie aus dem Gefängnisse, aus dem Wasser und Feuer der Verdammnis ziehen kann, denn sie selbst sind schon allzuweise; es ist ihnen schon geholfen; sie sind schon von dem Tode erlöst, wie sie meinen und sagen, wiewohl sie bei solchem ihrem sündhaften Leben und gottlosen Wesen im Verderben versunken sind, und sind mit einem schönen Namen bekleidet, indem sie Christen und Gottes Kinder heißen, obgleich sie ärger leben wie Juden, Türken oder Sarazenen, die sich nicht für Christen ausgeben, gleichwie diese, die so öffentlich und unverschämt Christum verleugnen durch die Abgötterei mit Holz und Steinen, was sie auch einen schönen Gottesdienst nennen, durch den Geiz, dem sie den Namen Emsigkeit geben, durch Hoffart, die bei ihnen nur Säuberlichkeit heißt; durch Unkeuschheit und Ehebruch, den sie nur Freundschaft nennen, durch Trunkenheit, welche sie Freude, Ergötzung, Lustbarkeit, Gutherzigkeit oder eine Erfreuung nennen, wie sie denn alle Bosheit und Sünden zu beschönigen und ihnen gute Namen zu geben wissen, als ob es nichts als Tugenden und Gerechtigkeit wäre; dabei wollen sie noch unsträflich sein, wie sich denn viele derselben wegen der Wollüste ihres Fleisches, im Würfeln, Spielen, Singen, Springen, Tanzen, Stolzieren, Prahlen nicht strafen lassen wollen, um nirgends der Geringste, sondern überall der Vornehmste zu sein, auch wenn es ihnen möglich ist, in eitlen, falschen und berühmten Künsten der irdischen, weltlichen und fleischlichen Weisheit, in Rechten, Prozessen, Schwören, in listigem Erdichten, bösen Erfindungen und Kaufmannschaften, in Lügen, Betrügen, Zanken, Fluchen, Fechten und Töten; geschieht es nicht mit der Tat, so geschieht es doch mit dem Herzen, durch Hass und Neid, Verleumdung, Afterreden, Narrenspossen, Scherzen, Lügen, unnützen und ungeziemenden Dingen, in allerlei Begierden und Leichtfertigkeit. Dieses ist fast überall so allgemein als das tägliche Brot. Hierin und hiermit vertreiben, verschwenden, missbrauchen und verderben sie (zu ihrer Seelen Verdammnis) die köstliche Gnadenzeit, ihr Leben, und alle guten Gaben Gottes, welche gute Gaben Gottes wir von seiner Gnade empfangen haben, um damit unserm Gott und Schöpfer, welcher in Ewigkeit gesegnet sein müsse, in Gehorsam zu dienen, zu Gottes Ehre, zu unserer Seelen Seligkeit, wie auch zur Erbauung und Liebe unseres Nächsten; denn Gott will nicht, daß jemand verloren gehe, auch hat er keine Lust an dem Tode der Sünder, sondern er ist langmütig, und wartet auf eines jeden Besserung, will auch, daß alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen und selig werden.

Was sollte unser Herr Gott den Menschen mehr tun, als er getan hat? Kommt denn nicht die Verdammnis der Menschen von ihrem eigenen Unglauben, Ungehorsam, Versäumung, Missbrauch, Missetat, Sünden, Verstockung und Undankbarkeit, weil sie diese Gnade und unbegreifliche Liebe Gottes durch den Glauben zur Besserung nicht annehmen wollen? Aber sie verwerfen diese Besserung und wollen diese Gnade und Seligkeit noch in ihrem sündhaften Leben genießen, von welchem sie sich nicht bekehren. Wenn nun die Menschen auch Freiheit haben, sich selbst oder ihr eigenes Leben zu missbrauchen (wie wohl es nicht der Wille Gottes ist, sondern seine Zulassung), so leben die Menschen nach ihrer ersten Geburt, gegen Gottes Wort und Willen, unnatürlich, ungehorsam, undankbar, unverständig, und achtsam, nach des Teufels Willen, teuflisch und fleischlich gesinnt, nach Gut und Ehre begierig und unmanierlich, grob, treulos, meineidig, voll Hasses und Neides, unbarmherzig, ohne Mitleiden, ungeduldig, grimmig, grausam, rachgierig. Summa, hätten die Menschen die Güter und ihr Leben in der Hand, und wäre keine menschliche Obrigkeit, die sie mehr fürchten und scheuen als Gott, sie würden sich so unmenschlich zeigen, daß man fast die Hölle auf Erden haben würde; denn wiewohl man jetzt die Menschen mehr als Gott fürchtet, so ist doch der Bosheit noch ein Ziel gesteckt. Viele arme Menschen verlassen die Trunkenheit, weil sie weder Geld noch Pfand haben, die Reichen aber meiden sie vielleicht um ihrer Ehre und ihres Ansehens willen, oder weil sie keine Gesellschaft nach ihrem Sinne haben, oder um ihrer Gesundheit und den Sinnen keinen Schaden zu tun; um dergleichen Ursachen willen lässt man auch die Hurerei; das Stehlen lässt man oft um des Galgens, und das Morden um des Rades willen. Summa, alle Sünden werden gewöhnlich mehr aus Zwang, Scham und Furcht der Menschen vermieden, als aus freiwilliger Gutheit um des Herrn willen. Und obgleich die Menschen so unverschämt und dem Bösen so ganz ergeben sind, daß sie öffentliche Hurenhäuser halten und viel abscheulicher als die Tiere leben, so lassen sie sich doch gleichwohl Christen nennen, und wollen aus Gnaden Kinder und Erben Gottes sein; um wie viel mehr nun diejenigen, die es ein wenig säuberlicher und heimlicher treiben, wie sie meinen, wiewohl sie es oft viel ärger machen (kann man es auch wohl ärger machen?); sie leben unverschämt in Ehebruch und andern heimlichen Sünden, wiewohl Gott der Herr alle Verborgenheiten der Herzen kennt. Ach, ständen der Menschen Sünden an ihren Stirnen geschrieben, wie würden sie sich beständig zu Hause halten und sich in Winkel und Höhlen verbergen, damit sie von den Menschen nicht gesehen würden; aber vor Gott scheuen, schämen und fürchten sie sich nicht, vor welchem sie sich doch nicht verbergen können, und der den Leib töten und Seele und Leib in das höllische Feuer werfen kann. Prüft es, ihr verständigen und unparteiischen Leser oder Zuhörer, ob diese falschen Christen bei solchem ungebührlichen und unchristlichen Leben durch die Barmherzigkeit Gottes und den Tod Christi selig werden können oder nicht; man hört sie auch solche frevelhafte Reden führen: Das Himmelreich sei für sie und nicht für die Tiere, wie sie sich denn überhaupt so betragen, daß sich ein rechter Christi schämen und fürchten sollte, ihre Unsinnigkeit und ungerechten Werke zu sehen oder zu hören. O verdorbene und mutwillige Menschen! Als die Juden Gottes Kinder sein wollten, weil sie Abrahams Samen hießen und waren, so lehrte sie Christus, daß ein Dieb, Lügner und Mörder von Anfang, nämlich der Teufel, ihr Vater sei, weil ihre Werke böse waren (Joh 8); solches mochte ihnen fremd vorkommen; wie es denn auch denen, die dem Evangelium Christi ungehorsam sind, fremd vorkommen mag, daß sie, nach dem Zeugnisse der Heiligen Schrift, Knechte der Sünden genannt werden, ferner, ein arges und verkehrtes Geschlecht der Schlangen und Ottern, ein Samen des Teufels, Kinder und Erben des Zornes, des Fluches und der ewigen Verdammnis, Kains Same, Ismaeliten, stinkende Schweine, reißende Hunde, und Wölfe in Schafskleidern, das ist, unter der Decke der Heiligkeit, Unbeschnittene, Heiden, Gäste und Fremdlinge in den Testamenten der Verheißung des ewigen Lebens, die keinen Teil am Reiche Gottes haben, wiewohl sie sich davon eine leere Hoffnung machen, ohne Gott, ohne Christo, gottlos und abgöttisch in der Welt. Diese bösen Werke sind die Netze, Stricke, Fesseln, Blöcke, Ketten, Bande und Gefängnisse, womit der Oberste dieser Welt, der Teufel, der sein Werk in den Kindern des Unglaubens hat, die Menschen gefangen und sie verblendet und gebunden hält nach seinem Willen (2Tim 2).

Solange nun die falschen Christen mit ihren Sünden gebunden und in ihrer Ungerechtigkeit verstrickt gehen oder kriechen, so rühmen sie sich umsonst, und lügen gröblich einer auf den andern, wenn sie sich rühmen, daß sie durch Christum von ihren Sünden erlöst und befreit seien, worin sie doch noch als gebunden leben, und, um ihres Unglaubens und Ungehorsams willen, zur ewigen Verdammnis verordnet sind, es sei denn, daß sie sich von ihren Sünden zu Gott bekehren, und seine Gnade durch den Glauben recht annehmen zu ihrer Besserung; alsdann bleiben sie nicht verloren, sondern werden zum ewigen Leben verordnet, und als Gefäße der Ehren zur Herrlichkeit zubereitet, nach meinem schlechten Begriffe (Röm 9,23). Merkt einmal darauf, welche Christen sie seien, nur weil sie sagen, daß Gott gnädig sei, welches der Teufel auch glaubt und dennoch zittert; überdies sagen sie, daß ihnen ihre Sünden leid seien, und gleichwohl gehen sie darin fort, je länger je mehr, je älter desto ärger, und treiben allerlei Sünden unter der Decke der Gnade Gottes, der eine auf diese, der andere auf eine andere Weise, sodass kein Böses ungetan bleibt. Ein jeder durchsuche die Verborgenheit seines Herzens, dann wird er am besten verstehen und finden, was ich Gefangener hier schreibe. Ein Mensch allein kann alle diese Sünden nicht vollbringen, denn sein Leben ist zu kurz und unvermögend; man sieht gewöhnlich, daß die Sünden die Menschen um Krankheit oder Alters willen verlassen, was ihnen doch nicht zur Buße, Besserung oder Seligkeit gereicht, wiewohl viele Menschen, die frisch und gesund sind, sich selbst verwahrlosen und betrügen, und sagen: Ich will mich bessern, wenn ich alt bin und krank auf meinem Totenbette liege, oder wenn mich nicht mehr gelüstet, der Welt zu dienen; wenn man dann nur einmal über seine Sünden seufzt und das Ende gut ist, so ist alles gut. Ach, das ist ein nichtiger Trost, denn was wird das für eine Besserung sein, wenn man die Sünde und Bosheit nicht mehr ausüben kann? Das heißt nichts anders als mit dem Herrn gespottet, mutwillig gesündigt, und seine Gnade verworfen. Ach, daß alle Menschen, die in Sünden gefangen sind, nach des Teufels Willen (2Tim 2,26), dieses allezeit überlegen, und umso mehr Fleiß anwenden möchten, damit, durch die Gnade, ihre Seelen aus des Teufels Stricken oder Sünden frei werden möchten, gleichwie einer, der dem Leibe nach gefangen ist, Fleiß anwendet, daß er befreit werden möchte, um dem leiblichen Tode noch eine kleine und ungewisse Zeit zu entgehen, dem er doch zuletzt nicht entgehen kann. Glaubten die Menschen, daß Gott gerecht wäre, und daß er an den unbußfertigen Sündern kein Übel ungestraft lassen würde, sie würden erschrecken und aus Furcht vor dem gerechten Gerichte Gottes ihre Sünden lassen; aber nun werden sie in ihrem Unglücke von ihren Predigern mit schmeichelnden Worten und süßen Predigten, mit Gnade, Frieden, Barmherzigkeit und Seligkeit getröstet, während man ihnen doch wegen ihren Sünden, mit Zorn, Grimm, Ungnade Gottes und ewiger Verdammnis drohen sollte, damit sie sich doch bessern möchten, weil die Gnadentür noch eine kurze Zeit offen ist.

Ich weiß kein Ding, das die Menschen so sicher und fest in dem Sündenschlafe erhält, bis der Herr wie ein Dieb in der Nacht kommt, als wenn man das Gute böse nennt, und das Evangelium eine Sekte, welcher man alles Üble nachlügt und nachsagt, und so die Wahrheit in Lügen verwandelt; die Christen nennt man Ketzer und Verführer; allen guten Werken, Tugenden, Gerechtigkeiten wird ein böser Name gegeben; man kehrt sie um, malt sie abscheulich ab und deutet sie zum Ärgsten, daß sich die Menschen davor entsetzen, als ob sie von Gott und der Wahrheit abgezogen werden sollten. Kommt aber der Teufel, nicht halb so hässlich, als man ihn abmalt und ich hier beschrieben habe, doch mit einem schönen Scheine der Liebe überkleidet, verändert, und in einen Engel des Lichtes verwandelt, als ob er von Gott gesandt und Gott selbst wäre, so werden seine Lügen gewiss für lauter Evangelium und Wahrheit ausgegeben; Babel wird eine Gemeinde Gottes genannt; die Götzendiener nennt man Herren; Lügen und Betrügen heißt Klugheit und Geschwindigkeit; Fechten heißt Tapferkeit, Todschlag nur Unfall, und viele dergleichen schändliche Dinge, denen man Ehre beilegt, sodass man das Böse gut nennt. Wehe aber solchen, wie Jesaja sagt, und wenn so des Teufels Diener und Kinder alle ihre bösen Werke, Untugenden, Sünden und allerlei Ungerechtigkeiten zu verändern, zu beschönigen, ihnen gute Namen beizulegen, auch wohl zum besten zu deuten, und für gute Werke auszugeben wissen, insbesondere für Tugenden und allerlei Gerechtigkeiten, als Geiz für Emsigkeit, Hoffart für Reinigkeit; wer will sie dann hierüber bestrafen? Auf solche Weise verblendet sie der Teufel sehr listig ihm zum Dienste, sodass sie fromme Christen zu sein glauben, und nicht von der Wahrheit um ihrer Sünden willen bestraft sein wollen, sondern sie wollen unsträfliche Kinder Gottes sein, deshalb sagen sie wie die Jünger Christi: »Unser Vater « Aber ein jeder prüfe sich selbst, ob er aus Gott geboren sei, indem er doch seine Sünden auf solche Weise beschönigen kann, und ob er den Namen Gottes heilige und schmücke, und den Willen Gottes tue, ob er auch vor Gott wandle wie ein gehorsames Kind vor seinem Vater; sonst häuft er Lügen auf Lügen in seinem Gebete, welches doch vor Gott ein Fluch oder Gräuel ist. Summa, wer Sünden tut, der ist vom Teufel geboren, und kennt Gott nicht (Joh 8,44; 1Joh 3). Denn, die fleischlich gesinnt sind, mögen Gott nicht gefallen; darum merke darauf, wen die unbußfertigen Sünder zum Vater anrufen. Der mag wohl verblendet sein, der dieses nicht einsehen kann, und recht verhärtet, der sich nicht bessern will.

Ach, lieber Leser, oder Zuhörer! Wenn ich bitten darf, so ist mein herzliches Begehren an dich, du wollest allezeit überlegen, und dich darnach richten, daß die Menschen von jedem unnützen Worte, das sie geredet haben, Rechenschaft geben müssen, um wie viel mehr von den Werken. Alsdann wird ein jeder vor dem gerechten Gerichte Gottes an seinem eigenen Leibe empfangen, je nachdem er getan hat, es sei gut oder böse; alsdann wird Zorn, Hass, Neid, nicht Lieben in der Tat und Wahrheit, frech und spitzig reden; Raka, du Narr, zu seinem Bruder sagen, oder ihn ärgern, für Todschlag, und als des Rates, Gerichtes und höllischen Feuers schuldig gehalten und verurteilt werden (Mt 5,22; 1Joh 3). Desgleichen wird auch Ungehorsam für Zaubereisünde, ein Weib ansehen, sie zu begehren für Ehebruch, oder sonstiges Böses, das man von Herzen begehrt, oder worin man willigt (obgleich es um des Unvermögens willen nicht bewerkstelligt wird) als ein vollkommen böses Werk gerichtet und gestraft werden. Sein Wort nicht halten, wird als Lüge und Meineid geachtet und ein so genannter guter Eid ebenso schwer gestraft werden als Meineid, denn Christus hat jeden Eidschwur verboten (Mt 5); ebenso auch seine Feinde zu hassen, wird dieselbe Strafe nach sich ziehen, als wie seine Freunde nicht zu lieben, und was dergleichen mehr. Nun merkt aber einmal, wie im Gesetze der Ehebruch von den Richtern gestraft wird! Diejenigen die im Ehebruch ergriffen waren, wurden zu Tode gesteinigt. Man sieht auch täglich, wie Zauberei und Todschlag, oder Mord, von den weltlichen Herren mit Feuer oder Schwert bis zum Tode gestraft werden. Merkt, da es uns bekannt ist, daß Adam um einer Sünde willen, desgleichen Kain, nachher die ganze Welt mit der Sündflut, Sodom und Gomorrha, mit den umliegenden Städten mit Feuer und Schwefel, Ägypten, dann die Götzendiener in Israel, und die wider Mose murrten, nach der Gerechtigkeit Gottes uns zum Vorbilde und Exempel gestraft worden seien, so ist einleuchtend, um wie viel mehr Strafe diejenigen verdient haben, die wider Christum murren, seine Wahrheit in Lügen verwandeln, die seine Gnade und Erlösung durch den Glauben zur Besserung ihres Lebens nicht annehmen, sondern verwerfen, und mutwillig in ihren Sünden leben, Gott, welcher der Engel nicht geschont hat, die gesündigt haben, wird auch der ungerechten Menschen und falschen Christen nicht schonen um ihres Unglaubens willen, sondern sie mit einer ärgeren Strafe heimsuchen, als Sodom und Gomorrha, welche in Asche gelegt, zerstört und verdammt worden und allen denen zum Beispiele gesetzt find, die ungöttliche Dinge treiben (2Pt 2), und sich nicht bekehren (2Pt 3). Sollen wir nun durch Gottes Barmherzigkeit selig werden, so müssen wir uns bessern, aus Gott wiedergeboren und gehorsame Kinder Gottes sein, auch Christo in der Wiedergeburt und den Fußstapfen des Glaubens, auf der schmalen Bahn zum ewigen Leben nachfolgen, selbst dann werden wir nicht selig aus Verdienst der guten Werke, sondern durch die Gnade, die durch Christum geschehen ist; denn wenn wir auch heilig, unsträflich und vollkommen lebten in aller Gerechtigkeit (wie die Schrift erfordert), und um der Wahrheit willen einen bittereren Tod als Christus litten, was doch uns Menschen unmöglich ist, so könnten wir durch unsere eigenen guten Werke doch nicht selig werden, sondern allein durch Gottes Barmherzigkeit und die Gnade unsers Herrn Jesu Christi, wodurch unser Heil allein ausgewirkt wurden ist. Und wenn wir unsere Seligkeit auf unsere guten Werke oder Leiden zu gründen suchten, so würden wir Abgötterei treiben, und wären ein Götze unserer selbst, insofern wir auf uns selbst vertrauten.

Aber nun ist unsere Seligkeit allein auf Gottes Erbarmen gegründet, und nicht auf unser Laufen und Jagen, und wenn wir auch so ernstlich darnach jagten und liefen (wozu wir doch verpflichtet sind), daß wir die Vollkommenheit, wozu wir von Christo bestimmt sind, erreicht, und das bereits erlangt hätten, was uns befohlen ist und wir schuldig sind zu tun, so wären wir gleichwohl nur unnütze Knechte; um wie viel unnützer sind wir denn nun bei so vielen Gebrechen, wenn wir auch mit einem guten Willen nach dem Guten streben, auch solches gern vollbringen wollten, und es uns leid tut, daß wir nicht vollkommen sind? Darum haben wir Ursache, und sind schuldig, uns sehr tief unter die überschwängliche Gnade Gottes zu demütigen; denn das ewige Leben ist eine Gabe Gottes, und keine Schuld, kein Lohn, noch fließt es aus unserer Arbeit, unserem Verdienste, oder aus guten Werken; denn wir sind Gottes Werk, geschaffen in Christo zu guten Werken, die Gott zubereitet hat, daß wir darin wandeln sollen, wie wir auch schuldig sind, sowohl in dem Kleinsten als in dem Größten zu tun. Aber der Sünden Lohn ist der Tod; deshalb müssen wir denn die Sünde hassen und uns fürchten, damit wir derselben weder folgen, noch sie vollbringen, wenn wir anders durch die Gnade und Gabe Gottes selig werden wollen. Also sind wir durch Christum von des Teufels Banden oder Sünden erlöst; darum soll niemand sagen, oder hoffen, daß er durch seine guten Werke selig werde, welche doch zu gering sind. Auch soll niemand sagen: Sollten wir nicht sorgen, sollten wir uns nicht ernähren, woher sollten wir denn unsere Nahrung nehmen? Außer zu solchen, die da sagen, daß man sich nicht mit seiner Hände Arbeit nähren, sondern müßig gehen soll; desgleichen soll auch niemand sagen: Es weiß niemand die Stunde und den Tag des Herrn, außer zu denen, welche Tag und Stunde bestimmt haben, wovor mich der Herr bewahren wolle. Hütet euch doch vor leichtfertigen Schwätzern, denn es wird mit den Spöttern bald aus sein. Wenn du deine Meinung aussprichst, oder mit Sanftmut bestrafst, was dir nicht ansteht, es widersteht dir aber jemand in dem Guten, so schweige sofort, damit du den Frieden und die Ruhe deines Gewissens erhalten mögest; verdrießt es dich, so laß dich deshalb in keinen Streit ein, damit du im Frieden erfunden werden mögest, wenn der Herr kommt; denn wir müssen doch hier Gewalt und Unrecht leiden; aber es wird nicht lange währen; darum sollen wir unsere Seelen in Geduld fassen.

In der vierzehnten Woche meiner Gefangenschaft, den ersten Tag des sogenannten Januars, im Jahre 1568 geschrieben.

Ich habe das Vertrauen, es werde dieses gegenwärtige Jahr nicht wie die vergangenen vorübergehen. Wacht und betet, weil ihr weder Stunde noch Tag wisst, denn die Gottesfürchtigen mögen sich bedenken, ob dieses das Jahr sei, in welchem der Herr seine Auserwählten und Gläubigen erlösen will; ein jeder sei gewarnt.