Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.534

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2.534  Noch ein Brief von Hendrik Verstralen an sein Weib.

Ach, mein geliebtes Weib, mein Fleisch, mein Bein, meine liebe Freundin, meine Liebe, mein Schaf, nicht an meinem Herzen, sondern in meinem Herzen, und nun meine arme Witwe, die ich nach Gottes Belieben, Güte, Willen und Rat verlassen muss, dem es Wohlgefallen hat, daß ich hier um seiner ewigen Wahrheit willen gebunden liegen soll, die ich, meine liebe Frau und Schwester in dem Herrn, mit meinem Tode durch Gottes Gnade zu bezeugen hoffe, damit wir Gott den Gehorsam, den wir ihm schuldig sind, abstatten; das ist die Absagung unserer selbst, und daß wir über ihn nichts lieben mögen, weder Vater, noch Mutter, Weib noch Kinder, noch unser eigenes Leben; denn sonst droht uns Gott mit seinem ewigen Gerichte. Wer etwas mehr liebt als mich, der kann nicht mein Jünger sein, noch viel weniger ein Sohn; die nun keine Söhne sind, solche sind Bastarde, die an Gott kein Teil und Erbe haben werden. Und dieses ist die Ursache, mein liebes Weib, daß, obgleich du mit meinen kleinen Kindern so tief im meinem Herzen liegst, du doch, gegen meine Natur, da hinausgestoßen werden musst, denn du kannst weder mir, noch dir ein Abgott sein, so lieb als wir unsere teuer erkauften Seelen haben. So lasse ich dich denn wissen, mein geliebtes Weib, durch dieses mein Schreiben, daß ich dich und meine Kinder demselben großen, allmächtigen, ewigen Gott anbefehlen will, der reich an Barmherzigkeit ist (über alle, die ihn fürchten und lieben), daß er euch durch seine Güte und große Macht zu einem ewigen, herrlichen und unbefleckten Erbe bringen wolle, unter allen, die geheiligt sind. Der Gott allen Trostes und der Vater aller Gnade, welcher der rechte Vater genannt wird, im Himmel oder auf Erden, gebe dir, mein liebes Weib, Janneken Verstralen, daß du durch seine unergründliche Barmherzigkeit und unermessliche Güte und durch den Reichtum seiner Gnade, durch seinen Heiligen Geist, an dem inwendigen Menschen stark werden mögest, und daß Christus sein hochgelobter Sohn, durch den Glauben in deinem Herzen wohnen möge, damit du, meine Geliebte, mit dem Rocke der Gerechtigkeit angekleidet werden und mit dem Gürtel der Wahrheit und dem Bande der Liebe um die Lenden deines Gemütes umgürtet werden mögest, ja, daß das Traubenkörblein und das Büschlein Myrrhen, das ist Jesus Christus, an deinem Herzen zwischen deinen Brüsten hangen möge, wodurch du vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht, bewahrt werden und so mit einem ewigen Kranze prangen kannst, als eine Tochter, die aus königlichem Samen des lebendigen Wortes Gottes geboren ist, und den Sieg eines keuschen Kampfes erlangt hat; das müsse geschehen zum Lobe und Preise des großmächtigen Gottes und zu deiner Seelen Seligkeit, Amen.

Dieses sendet dir Hendrik Verstralen, dein Mann, gebunden in dem Herrn und der ewigen Wahrheit und des Zeugnisses Christi willen, als meinem geliebten Weibe und Schwester in dem Herrn, zu einem Gruße und guten Wunsche meines Herzens und zu meinem letzten Abschiede. Gute Nacht, meine Liebste auf Erden. Gute Nacht, Schwester im Herrn. O stark ist die Wahrheit! Sie überwindet alle Dinge. O meine eigene Rippe! Du bist mitten aus meinem Leibe, wie sollte ich dich nicht lieben, du, mein Weib, die meine Seele mehr liebt als meinen Leib, wie ich aus deinem Briefe ersehe, welcher mir eine große Freude und ein ewiger Trost ist, und den ich auch unter vielen Tränen gelesen habe; ich danke dir, mein Schaf, für deine ernstliche Fürsorge für mich. Ferner bitte ich dich, mein liebes Weib, die ich mir in Ehren vor Gott und seiner Gemeinde zur Gattin genommen habe, du wollest doch, da unser Abschied jetzt vor der Türe ist, mit allen Gottesfürchtigen, zu Gott noch eine kurze Zeit bitten und flehen helfen, bis wir, Maeyken, unsere liebe Schwester, und ich, dein Mann, die wir nun noch in unserm heftigsten Streite unter der Blutfahne stehen, die Christus, der Herzog des Glaubens und oberste Feldherr selbst getragen hat, mitten unter seinen Heiligen, mit ihm durch unsern Tod unsere Feinde überwinden, mit unserm Gott das Fähnlein auf den Mastbaum stecken, und mit Frieden und Ruhe in unsere Kammern kommen und die Zukunft unsers Herrn erwarten mögen, der uns durch seine Gnade aus der Erde zum ewigen Leben wieder auferwecken wird. So sei nun, mein liebes Schaf, mein Fleisch, mein Blut, in deiner Trübsal geduldig; bleibe mit Judith und der Prophetin Anna anhaltend im Gebete, und diene deinem Gott Tag und Nacht in dem Hause des Herrn, welches seine Gemeinde ist. Sieh, mein liebes Weib, ich hoffe, du werdest nach Paulus Rat handeln, und weil du unverehelicht bist, dem Herrn ohne Hindernis dienen, und suchen, dem Herrn zu gefallen und heilig zu sein an Leib und Seele. Höre doch, mein Weib, meine Liebste auf Erden, folge meinem Rate um des Herrn willen; geh hin und verkaufe alles, was du entbehren kannst, was freilich nicht viel ist, und richte dich so sparsam ein als du kannst, denn eine Witwe kann sich mit Wenigem behelfen, und suche dir eine ehrliche, stille Jungfrau zur Gehilfin, die mit junger Gesellschaft nicht in Verbindung steht; fliehe die Lüste der Jugend, und tue an meinen kleinen Kindlein das Beste; der Herr wird dich wohl versorgen.

Der welcher dem wilden Esel, der vor Durst in der Wüste schreit, sein Futter gibt, und die jungen Raben speist, die zu Gott schreien, wie David sagt, wird dich auch speisen, mein liebes Schaf, wenn du, meine Witwe, mein auserwähltes Schaf, mit meinen jungen Waisen zu Gott schreien wirst; und fallen auch deine Tranen hier auf die Erde, so werden sie doch nicht nachlassen, durch die Wolken zu dringen, und vor Gott erscheinen; dann wird dir Trost widerfahren, wie David sagt: Wenn die Elenden schreien (sagt er), so hört der Herr, und er hilft ihnen aus allen ihren Nöten, ja, der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn von Herzen fürchten. O mein liebes Weib, denke an Paulus Worte: Die Zeit ist kurz, ich verschonte eurer gern (sagt er), die da Weiber haben, sollen sein, als hätten sie keine. Darum, meine liebe Schwester in dem Herrn, Janneken Verstralen, das Ende aller Dinge ist nahe gekommen, sagt Petrus, wo die Himmel wie ein eingewickeltes Buch entweichen, wie Rauch vergehen, und die Elemente vor Hitze verschmelzen werden. O wie musst du dann geschickt sein mit einem heiligen keuschen Wandel! O mein liebes Weib! Dieses Wörtlein hat mich um meines argen, widerspenstigen Fleisches willen, welches mich umgeben hat, bisweilen erschreckt, aber ich tröste mich damit, daß mich Gott durch seine Züchtigung im Feuer der Trübsal läutern und mir gnädig sein wird, denn ich habe seine Wahrheit geliebt, wiewohl mir die Schwachheit noch angehangen hat; darum will ich mit dem Propheten Micha sagen: Ich will gern des Herrn Zorn ertragen, denn ich habe mich an dir versündigt, und mit Sirach: Ich will lieber in des Herrn Hände fallen, als in der Menschen Hände, denn seine Barmherzigkeit ist so groß als er selbst ist, er vergibt die Sünden und hilft in der Not. Darum, mein liebes Weib, sei doch geduldig in unserer beiderseitigen Trübsal, und bekenne doch mit Judith, daß unsere Strafe noch viel geringer sei, als unsere Sünden; er hilft in der Not, denn wer sich vor dem Herrn demütigt, seine Sünde bekennt und sie meidet, der wird Barmherzigkeit erlangen; wer sie aber verhehlt, dem wird es nicht gelingen. Wenn wir aber dem Herrn unsere Sünden bekennen, so vergibt uns Gott dieselben, indem wir, wie Zacharias sagt, einen freien, offenen Brunnen wider die Sünde und Unreinigkeit haben, welcher Jesus ist, der uns mit seinem teuren Blute erkauft hat; denn das Blut unsers lieben Herrn Jesu Christi macht uns von allen Sünden rein. Sieh, mein geliebtes Weib, wenn schon des Leidens Christi viel über uns kommt, so werden wir doch nach reichlicher getröstet durch Christum, sodass wir durch seinen unschuldigen Tod das ewige Leben erlangen werden, wenn wir in der Furcht Gottes bis ans Ende standhaft bleiben, wie ich, durch Gottes Gnade, auch zu tun hoffe; ebenso bitte ich dich, J. V., mein Schaf, meine Liebe, du wollest auch dasselbe tun; bleibe eine ehrbare Witwe im Gebete und Flehen zu Gott und in der Heiligung, ohne welche niemand den Herrn sehen wird, bis du von dem Herrn auch hinweggenommen werden wirst.

Ach, meine Allerliebste auf Erden, mein väterliches Herz; ich wünsche dir und meinen Kindlein viel Gutes an der Seele; es sind drei von meinen Schäflein bei dem Herrn, und ich hoffe durch Gottes Gnade bald der Vierte zu sein. Ach, mein liebes Weib, möchte ich für euch, die noch zurückbleiben müssen, durch Gottes Gnade und Kraft zweimal lebendig in einer Pechtonne verbrannt werden, damit ihr mit mir bei dem Herrn zur Ruhe eingehen könntet! Welch eine Freude wäre dies für mein väterliches Herz, wenn ich eurer aller Seligkeit gewiss wäre! Geschrieben mit vielen heißen Tränen. Nimm es mir nicht übel auf, mein geliebtes Weib, daß ich dich bitte, du wollest eine ehrbare, stille Witwe bleiben; es ist zwar mein Rat, aber um deswillen kein Gebot, denn ich begehre es, weil es zur stärkeren Versicherung deiner Seligkeit dient.

Ach, wie oft hat es sich zugetragen, dass Witwen, deren Männer so tapfer vorangegangen waren, und ihr Leben so tapfer für die Wahrheit gelassen hatten, durch das abermalige Heiraten sich viel Schmerzen aufgebürdet haben, und sind zum Teil ins Verderben geraten, zum Teil mit großer Betrübnis dahin gegangen und haben über diejenigen geseufzt, die sie jetzt haben. Darum, mein liebes Schaf, sage ich noch einmal, denk an das Wort des Apostels: Die Zeit ist kurz, ich schonte eurer gern (sagt er); denn er hätte gern gewollt, daß alle Menschen wie er gewesen wären, weil er sah, daß durch das Heiraten über das Fleisch viel Trübsal kommt; doch hat ein jeder seine besondere Gabe, der eine auf diese, der andere auf jene Weise; darum tue was du willst, doch daß es im Herrn geschehe; aber ich habe die Hoffnung und das Vertrauen zu meinem Gotte, daß er dich und meine drei Schafe festhalten und euch bewahren werde, damit ihr nicht genommen werdet, und daß er dich, mein geliebtes Weib, nicht über dein Vermögen werde versucht werden lassen, denn Gott weiß die Gottseligen aus der Versuchung zu erlösen, den Gottlosen aber und Bösen auf den Tag des Urteils zur Peinigung aufzusparen. Darum will ich dich, mein liebes Schaf, dem Herrn anbefehlen, als unserm Gotte und Nothelfer, wie auch seiner heiligen Gemeinde; sie sollen sämtlich ihr väterliches Herz gegen euch aufschließen, meine arme Witwe und jungen Waisen.

Ferner begehre ich, mein liebes Weib, du wollest doch die gottesfürchtigen Brüder und Schwestern, wenn es sich passen will, von meinetwegen mit dem Frieden des Herrn herzlich grüßen und ihnen sagen, mein ernstliches Begehren an sie alle sei, daß sie an uns arme Gefangene, als ihre Mitbrüder, denken und helfen wollen, zu Gott zu flehen, daß wir des Herrn Krieg führen mögen und uns helfen wollen, das Feld zu behalten, damit wir es zu seinem Preise und unserer Seligkeit ausführen mögen; wünschen ihnen allen von unserer Seite gute Nacht, wenn ich etwa nicht wieder schreiben kann. So will ich auch dir, mein liebes Weib, mein Fleisch und Blut, gute Nacht sagen; gute Nacht, meine beständige Nothelferin, gute Nacht, getreue Freundin auf Erden; der Herr sei gelobt, der dich mir gegeben hat, du mein Schaf, die mich allezeit in meiner Trübsal getröstet hat. Gute Nacht, meine Susanna, mein Abraham, mein Isaak; gute Nacht Janneken, meine Allerliebste auf Erden, die mir sechs Kinder geboren hat; ich hoffe bald bei dreien derselben in der Ruhe zu sein. Der allmächtige Gott, dem kein Ding unmöglich ist, und der alles in seiner Hand hat, wolle dich, mein auserwähltes Weib, mit den andern drei unschuldigen Schäflein zu seinem ewigen Leben bewahren. Ach, mein Schaf, meine J. V., das wolle uns der allmächtige Gott gönnen, daß wir mit unsern Kindlein zu dem Herrn kommen und miteinander vor dem Throne des Lammes und der Majestät unseres Gottes fröhlich sein mögen, Amen. Gott wolle dich bewahren, mein liebes Weib, in der Tauben Einfalt, in der Kinder Unschuld und der Schlangen Klugheit, und wolle dich zu seinem ewigen Erbe bringen. Sei dem Herrn und dem reichen Worte seiner Gnade anbefohlen. Von mir, deinem Manne, H. V., gebunden um der ewigen Wahrheit willen zu Rypermonde mit Fesseln an meinen Beinen.

Maeyken lässt dich und alle Gottesfürchtigen mit dem Frieden des Herrn herzlich grüßen; auch grüße uns insbesondere die Haushaltung zu D. Mein freundliches Begehren ist, du wollest die alte Mutter mit ihren Töchtern bitten, daß sie sofort ihre Lenden mit dem Gürtel der Wahrheit gürten und die Schuhe des Evangeliums anziehen wollen, und daß sie sich in das Heerlager Gottes zu der Gemeinde begeben mögen, wo man des Herrn Krieg führt; kommt doch geschwind, meine liebe alte Mutter mit deinen jungen Töchtern, und trage die Rüstung des Herzogs unseres Glaubens, nämlich das Päcklein der Liebe, in welchem ein Helm des Heils liegt, samt einem schönen Federbusche, genannt der Glaube und das rechte Vertrauen; hängt doch den Mantel der Gerechtigkeit darüber, damit der schöne Helm des Heils nicht verroste und der Federbusch nicht nass werde, das ist, daß euer Glauben und Vertrauen zu Gott nicht aufhöre, und ihr mit dem Verzagten und Furchtsamen nicht zurückbleiben mögt, wenn ihr auch seht, daß auf die Gerechten alle Ungewitter, Stürme und Platzregen fallen. Bedenke, mein liebes Schaf, daß alle Gottesfürchtigen hier ihre Namen einschreiben lassen müssen und unter der blutigen Fahne, die Christus Jesus, unser oberster Feldherr, mitten unter seinen Heiligen getragen hat, Soldaten werden müssen, unter dessen Panier ich durch Gottes Gnade jetzt stehe, und hoffe, mit ihm ritterlich zu streiten und gesetzmäßig zu kämpfen, solange ich auf meinen Beinen stehen kann, und ein Atemzug in mir ist.

Hiermit will ich euch, meine lieben Freunde D. und P., so wie den Töchtern, gute Nacht sagen und Gott anbefehlen, samt dem Worte seiner Gnade, in der Hoffnung, daß ihr nachfolgen werdet. Gute Nacht, meine lieben Freunde, an deren Tafel ich das letzte Brot mit Freuden gegessen und Gott zu Ehren ein Liedlein gesungen habe. Gute Nacht, meine lieben Freunde, in der Hoffnung, daß wir miteinander das Brot in dem Reiche Gottes essen, und das Öl der Freuden samt dem neuen Weine trinken werden.

Von mir, H. V., in Banden um des Zeugnisses der Wahrheit willen auf Palmsonntag, im Jahre 1571.