Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.508

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2.508  Noch ein Brief von Joost Verkindert, geschrieben aus dem Gefängnisse an sein Weib, den 23. Juni.

Die Gnade, Freude, Friede von Gott, dem himmlischen Vater, und unserm lieben Herrn Jesu Christo, der uns geliebt und uns in seinem Blute von unsern Sünden gewaschen hat, samt dem Troste und der Gemeinschaft des Heiligen Geistes, wolle sich, nach meinem Wunsche, allezeit bei dir vermehren, zum freundlichen Gruße.

Meine geliebte H. und S. I. H. ich berichte euch, daß es mit mir, dem Fleische nach, noch ziemlich wohl stehe; dem Geiste nach aber ist mein Gemüt noch des Vorhabens, mit Hilfe des Höchsten bei der ewigen Wahrheit zu bleiben, von welcher wir Trost erwarten müssen, denn von uns selbst haben wir nicht einen guten Gedanken, sondern vielmehr eine Hinneigung zum Bösen, indem das Fleisch das Leben liebt, weil es von der Erde ist und nichts anderes sucht, als was irdisch ist; doch habe ich das Vertrauen zu der Güte und Langmut Gottes, daß er mich nicht verlassen, sondern nach seiner Verheißung wie seinen Augapfel bewahren werde. Meine Geliebte, wir sind nun recht auf die Probe gesetzt, denn es ist für uns bisher noch nie eine so große Hoffnung auf Befreiung gewesen, als gerade jetzt. Es sind einige in Freiheit gesetzt, die nach drei Wochen hätten sterben sollen, weil aber der eine krank zu Bette lag, so wurde der Tag ihres Todes aufgeschoben; unterdessen aber hat man ihnen das Leben geschenkt und sie freigelassen. Dieselbe Gnade ist uns auch so schön vorgestellt worden, als es nur immer möglich war; ebenso hat man uns auch verheißen, uns die geraubten Güter zu ersetzen, und uns in Freiheit zu setzen, wenn wir nur unsere zweite Taufe widerrufen wollten, was wir ihnen aber abschlugen, und lieber mit dem alten Eleazar ehrlich sterben, als mit Schande leben wollten. Wir bitten den allmächtigen Vater durch Jesum Christum, daß er uns in diesem Sinne erhalten und vor dem Bösen bewahren wolle; auch kann ich dir das nicht verschweigen, was mir begegnet ist. Verwichenen Freitagabend wurde ich allein heruntergeholt, um mit einem von des Bischofs Untergebenen zu reden; ich grüßte denselben und bot ihm einen guten Abend; er tat ein Gleiches und sagte: Guten Abend, Joost; ich blieb mit entblößtem Haupte stehen, worauf er auch seine Kappe abnahm; dann brachte er ein langes Geschwätz vor, und fing an, den Namen Gottes sehr zu preisen, als denjenigen, der seinen Heiligen hinterlassen hat, daß er bei seiner Kirche bleiben wolle, bis ans Ende. Darauf fragte ich ihn, ob die Apostel die Kirche in solche Gestalt und Ordnung gebracht hätten, wie sie jetzt ist; er antwortete: Ja, was den Glauben betrifft; was aber die Ordnungen betrifft, so haben die Herren Doktoren durch Konsilien und Ratsbeschlüsse solche eingesetzt, aus Gründen, die solches nötig machten, gleichwie (sagte er) bei den Aposteln auch geschehen ist, daß nämlich alle Ältesten zusammen gekommen sind, wenn ein Streit in der Gemeinde entstand. Darauf sagte ich ihm, daß der Herr den Kindern Israel scharf verboten habe, irgendetwas von dem Gesetze ab- oder demselben irgendetwas hinzuzutun, und wie scharf Saul von dem Herrn gestraft worden sei, weil er aus eigenem Gutdünken, wider den Befehl Gottes, den König der Amalekiter, samt den besten Rindern und Schafen am Leben erhalten hatte. Darauf sagte er, der Herr habe ihm befohlen, alles zu töten und nichts zu verschonen, und darum sei er gestraft worden; wir aber fügen nichts zu dem Glauben hinzu, noch nehmen wir irgendetwas davon hinweg; ich sagte abermals, es wären nichts als Menschenpflanzen, und daß Christus sagte: Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, soll ausgerottet werden; lasst sie fahren, sie sind blind und Blindenleiter, und wenn ein Blinder den andern leitet, so fallen beide in die Grube. Darauf wollte er behaupten, daß Pflanzen keine Lehren wären, sondern Bäume seien, welche Menschen genannt werden; ich antwortete abermals, das Christus, Mt 15, nicht von Bäumen rede; er sagte: Ja; ich entgegnete Nein; zuletzt aber sagte er: Ich will dich dabei lassen. Darauf fragte er mich, wo ich die Schrift gelernt hätte, oder von wem ich unterrichtet worden wäre; ich antwortete: Ich habe meinen Grund aus der Schrift genommen, wie uns Christus lehrt, wenn er sagt: Forscht in der Schrift, denn ihr meint das Leben darin zu haben, und sie ist es, die von mir zeugt; auf solche Weise habe ich nachgeforscht, und dabei den Herrn um rechten Verstand und Weisheit gebeten. Darauf sagte er: Man muss sich unterrichten lassen; ich erwiderte, wir hätten auch Lehrer; er fragte, woher unsere Lehrer den Verstand erlangt hätten; ich fragte ihn abermals, woher die Propheten und Apostel den Verstand erlangt hätten; er antwortete: Wir sind die alte Kirche; von den Zeiten Christi an auf die Apostel, welche die heilige Kirche zuerst gegründet und mit vielen Zeichen und Wundern befestigt haben; von den Aposteln aber auf Timotheus und Titus und auf alle heiligen Lehrer, und von da auf alle heiligen Päpste und Doktoren bis auf den heutigen Tag. Wir redeten noch mancherlei von der Taufe, was ich der Kürze wegen nicht berühren will, aber wir konnten nicht einig werden. Zuletzt bei dem Abschiede erwies er mir große Freundlichkeit und sagte: Lieber Joost, du irrst, und verstehst die Schrift nicht; ich erwiderte: Mein Herr, wie dich dünkt, daß ich irre, so dünkt mich, daß du irrst; er sagte: Bitte den Herrn um Verstand; ich entgegnete, solches täte ich. Gilleame, der Büttel, war auch zugegen; wie ich merken konnte, waren beide sehr bewegt; er erzählte viel von der großen Gnade, die von dem König Philipp und dem Papste gekommen wäre. Beim Abschiede fragte ich ihn, ob man wohl jemanden um des Glaubens willen töten möge; er antwortete: Wozu ist sonst die Obrigkeit? Ich sagte: Zum Schutze der Guten und zur Bestrafung der Bösen; er sagte abermals: Petrus tötete Ananias und Saphira. Unterdessen kam das Volk hinein, sodass diese Worte unbeantwortet blieben. Hiermit sei dem Herrn befohlen und dem Worte seiner Gnade; grüße mir W. B. und alle Bekannte in dem Herrn, mit dem Frieden des Herrn. Lorenz, mein Mitgefangener, lässt dich auch grüßen mit dem Frieden des Herrn.