Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.318

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2.318  Noch ein Brief von Soetgen von der Houte an ihren Bruder und an ihre Schwester, desgleichen auch an ihre Kinder. Geschrieben aus Liebe.

Der Friede des Herrn sei mit euch, mein lieber Bruder und meine liebe Schwester, wisst, daß ich zwei Briefe und deren Einlage empfangen habe; ich bedanke mich sehr herzlich für alle Freundschaft, die ihr mir jemals erwiesen habt und noch erweisen werdet, wie ich hoffe, an meinen drei Schäflein, die ich hinterlasse, ich befehle sie dem Herrn und denen, welche er ihnen durch seine Gnade zusenden wird.

Hiermit nehme ich noch einmal Abschied, ich denke, daß es nun das letzte Mal ist; wir sind auch so wohlgemut, unser Opfer zu tun, daß ich es nicht aussprechen kann, ich möchte wohl vor Freuden springen, wenn ich an das ewige Gut denke, das uns zum Besitze verheißen ist und allen, die in demjenigen beharren, was uns der Herr befohlen hat.

Ich weiß nicht, wie ich den Herrn genug preisen und loben soll, daß er Martha und mich zu solcher Auszeichnung erwählt hat, die wir doch solche armen, geringen Schafe sind; wir sind niemals in der Welt anders geachtet gewesen, als ein Ausfegsel, und doch hat Gott solche verworfene, elendige, schlechte Erdenwürmer erwählt, daß er durch uns wirken will, und daß wir seine Zeugen sein sollen, die wir nicht würdig sind, von uns selbst die geringste Gabe die der Herr etwa mitteilt, zu empfangen.

Ach, wer kann die Kraft Gottes begreifen, daß er denen, die hier am meisten verworfen werden, am gnädigsten ist, sich über sie zu erbarmen, wenn sie ihn mit Vertrauen anrufen und ihre Hoffnung auf seine Gnade feststellen bis ans Ende, solche kann der Herr unmöglich verwerfen. Darum bitte ich alle, die den Herrn lieben, daß sie ihre Herzen demütigen, denn der Herr spricht durch den Propheten Jesaja: »Bei dem will ich wohnen, der eines zerschlagenen Geistes und zerbrochenen Herzens ist, der vor meinem Worte zittert.«

Ach, diejenigen, die sich vor dem Herrn so demütigen und sich nicht einbilden, daß sie etwas vor Gott und vor den Menschen seien, die wird Gott erhöhen und reich machen an himmlischen Gütern. Gedenkt, wie Christus die Niedrigkeit erwählt hat, als er die Herrlichkeit seines Vaters verließ, und in die untersten Örter der Erde herabstieg; er ist aus Gehorsam gegen seinen Vater und aus großer Liebe Mensch geworden; mit großer Demut ist er uns zum Dienste hierher gekommen, hat Pein und Schmach erlitten, und alles mit Geduld und Langmut ertragen, aus Gehorsam gegen seinen Vater bis an den Tod, bis er alles vollbracht hat, damit er uns selig machte. Ach, welch eine Liebe hat er uns bewiesen mit Angst und Seufzen! Wie er nach seiner Menschheit sagte: »Ach, wie ist mir so bang, bis es alles vollbracht ist!«

Ach, meine Geliebtesten, denkt an unsern Vorgänger Jesum Christum, wie er die Niedrigkeit Maria angesehen hat und von ihr geboren werden wollte, und wiewohl sie zu einer solchen Auszeichnung erwählt war, so hat sie sich doch gedemütigt, erniedrigt und gesagt: Sieh, ich bin des Herrn Magd, denn Gott hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen, darum werden mich alle Geschlechter selig preisen, denn seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei allen denen, die ihn scheuen oder fürchten; denn er zerstreut die Hoffärtigen, er hat den Gewaltigen vom Throne gestoßen und den Geringen hat er erhoben, den Hungrigen erfüllt er mit Gütern, die Reichen hat er leer gelassen, den Armen wird das Evangelium gepredigt; selig sind, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen gesättigt werden.

Ach, meine Geliebtesten, meine herzliche Begierde und Bitte ist zum letzten Male, daß ihr euch befleißigt, in der Liebe und in der Einfalt zu wandeln, und allezeit untereinander eins gesinnt seid in der Furcht Gottes, damit ihr mit himmlischen Gütern erfüllt und satt werden mögt, von nun an bis in Ewigkeit, Amen.

Hiermit will ich euch dem Herrn anbefehlen und dem Worte seiner Gnade, derselbe müsse euch alle trösten, stärken und kräftig machen mit seinem Geiste, daß ihr dasjenige ausführen mögt, wozu ihr berufen seid, zum Lob und Preise des Herrn, damit ihr euch miteinander erfreuen und an des Herrn Tafel sitzen mögt, wo er uns in seines Vaters Reich mit dem neuen Weine dienen wird.

Dieses wurde geschrieben, als wir unser letztes Abendmahl gehalten hatten, wie wir dafür hielten. Hiermit sage ich allen meinen Brüdern und Schwestern gute Nacht; ich und Martha, meine Schwester in dem Herrn, lassen euch zum letzten Mal sehr grüßen mit dem Frieden des Herrn, auch alle, die uns bekannt oder unbekannt sind, wo sie auch sein mögen. Wir sind fröhlich in dem Herrn und sagen gute Nacht, bis wir dort oben in dem neuen Jerusalem zusammenkommen. Lest diesen letzten Abschied allen, die ihn zu hören begehren, ehe ihr ihn fortsendet, und sendet ihn alsdann meiner Schwester Betgen.

Mein liebes Kind Betgen, ich bin sehr erfreut, daß mich der Herr so lange aufgespart hat, daß ich vor meinem Tode noch durch deinen Brief, worin du mich gestärkt hast, erfreut worden bin; ich bitte den Herrn, daß er dich mit seinem Geiste stärken und kräftig machen wolle, damit du fortwandeln und dem Besten nachkommen mögest, wie du mir geschrieben hast.

Ach, meine lieben Schäflein, seht zu, daß ihr eure jungen Jahre nicht in Eitelkeit, Hoffart, Saufen oder Fressen, sondern in Mäßigkeit, in der Demut, in der Furcht Gottes zubringt, und befleißigt euch aller guten Werke, damit ihr mit dem Schmucke der Heiligen bekleidet werden möget, und Gott euch würdig mache, durch seine Gnade zur Hochzeit des Lammes einzugehen, damit wir einander daselbst mit Freuden sehen mögen. Euer Vater und ich haben euch und noch vielen andern den Weg gezeigt; nehmt ein Exempel an den Propheten und Aposteln, ja an Christo selbst, welche diesen Weg gegangen sind, und wo das Haupt vorgegangen ist, da müssen ja auch die Glieder nachfolgen.

Hiermit will ich euch dem Herrn anbefehlen und dem Worte seiner Gnade. Dies ist mein letzter Abschied, meine lieben Schäflein, gedenkt allezeit aneinander in der Liebe, und lernt wohl lesen und schreiben und seid einem jeden gehorsam zum Guten. Wenn dein Bruder David und Tanneken zu dir kommen, so grüßt euch untereinander in meinem Namen mit einem freundlichen Kusse des Friedens.

Hiermit sage ich gute Nacht, mein liebes Kind Betgen, gute Nacht, meine lieben Kindlein David und Tanneken; gute Nacht, meine lieben Brüder und Schwestern, wie auch Freunde insgesamt aller Orten.

Noch einmal sagen wir gute Nacht, grüßt auch Vetter und Base in meinem Namen aufs Beste mit dem Kusse des Friedens.

Geschrieben von mir, Soetgen von der Houte, eurer Mutter, in Banden. Geschrieben in Eile, als ich vor Kälte zitterte, aus Liebe zu euch allen, Amen.