Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.455

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2.455  Der zweite Brief von Jan Hasebroeck.

Die überfließende Gnade und Friede sei mit dir von Gott dem himmlischen Vater, durch Jesum Christum, seinen vielgeliebten und werten Sohn, unsern Herrn, durch welchen wir unsere Seligkeit erwarten; er wolle dich durch seinen Geist kräftig und stark machen, und dich in all deiner auswendigen und inwendigen Trübsal und deinen Anfechtungen trösten, damit du fest und unbeweglich in seiner Wahrheit stehen bleiben mögest, zu seinem Preise und deiner Seelen Seligkeit, bis an das Ende deines Lebens; solches wünsche ich dir, mein vielgeliebtes und wertes Weib und Schwester in dem Herrn, zum freundlichen Gruße und Abschiede in Christo Jesu, Amen.

Nebst herzlichem Gruße, mein vielgeliebtes und wertes Weib, lasse ich dich wissen, daß ich, dem Fleische nach, noch ziemlich wohlauf bin, dem Herrn sei ewiges Lob gesagt für seine Gnade; auch ist das Gemüt noch immer bereit, bei demjenigen zu beharren, was ich bezeugt und vor den Herren der Finsternis dieser Welt bekannt habe, hoffe auch durch des Herrn Gnade solches mit meinem Blute und Tode zu versiegeln, damit ich Unwürdiger die Verheißung erlangen möge, wenn er sagt: Wer sein Leben verliert um meinet- und des Evangeliums willen, der wird es erhalten, und wer mich vor den Menschen bekennt, den will ich auch vor meinem himmlischen Vater bekennen.

Darum, meine allerliebste Liebe, sei wohlgemut, tröste dich allezeit, und laß dich trösten mit des Herrn Worten, und betrübe dich nicht so sehr über das, was doch des Herrn Werk und Wille ist, denn er wirkt alle Dinge nach dem Rate seines Willens, und niemand ist jemals des Herrn Ratgeber gewesen. Mein sehr geliebtes und wertes Weib und Schwester in dem Herrn, wir, die wir in der ganzen Zeit, seit uns der Herr zusammengefügt, eine geringe Freude miteinander hatten, müssen nun mit Betrübnis voneinander scheiden, aber wir wissen ja, daß uns der Herr hier nichts anderes zugesagt hat, als Verfolgung und Trübsal, wie auch Christus zu seinen Jüngern gesagt hat, indem er spricht: Ihr werdet heulen und weinen, aber die Welt wird sich freuen, ihr aber werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden; auch sagt Christus: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden; desgleichen sagt er auch: Selig seid ihr, die ihr hier weint, denn ihr werdet lachen, wehe aber denen, die jetzt lachen, denn sie werden noch weinen; ferner sagt er an einem andern Orte: Selig sind die Traurigen, denn sie sollen getröstet werden.

So tröste dich denn nun, mein sehr geliebtes und wertes Weib und Schwester in dem Herrn, mit diesen schönen Worten und Verheißungen Christi, welche zum Teile dir auch zukommen, denn daß du betrübt worden bist, darum bist du göttlich betrübt worden; auch sagt Paulus: Die göttliche Traurigkeit wirkt zur Seligkeit eine Reue, die niemand gereut; aber die Traurigkeit dieser Welt wirkt den Tod.

Ach, mein liebes Weib! Paulus sagt an einem andern Orte, daß unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, uns eine ewige, über die Maßen wichtige Herrlichkeit schafft, die wir nicht auf das, was sichtbar ist, sondern auf das, was unsichtbar ist, unser Augenmerk richten; denn was sichtbar ist, das ist vergänglich, was aber unsichtbar ist, das ist ewig; dieser Zeit Leiden ist der Herrlichkeit nicht wert, die an uns offenbart werden soll, wie denn der Apostel sagt, daß kein Auge gesehen, kein Ohr gehört habe, noch in eines Menschen Herz gekommen sei, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Darum, mein sehr geliebtes und wertes Weib und Schwester in dem Herrn, sei doch wohlgemut, weil wir für dieses geringe und zeitliche Leiden solche schönen Verheißungen haben, erweise dich in deiner Trübsal und zeitlichen Leiden geduldig, anhaltend im Gebete, leidsam in der Hoffnung und warte mit Geduld auf die Zeit deiner Erlösung, wovon ich dir durch des Herrn Gnade ein Beispiel und Vorbild zu sein und mit meinem Gott über die Mauern zu springen hoffe, gleichwie ich Christo, meinem Bräutigam, entgegen gehen möge, gleichwie er mich dazu eingeladen hat; ich will dich unter dem Altare des Herrn erwarten, wo alle Auserwählten Gottes ruhen werden, bis die Zahl ihrer Mitbrüder erfüllt sein wird, die noch um des Zeugnisses Jesu willen, gleichwie wir, getötet werden sollen.

Darum, mein sehr geliebtes und wertes Weib und Schwester in dem Herrn, erwarte doch allezeit den Herrn, deinen Gott in Geduld, wie die klugen Jungfrauen taten, welche Öl in ihren Gefäßen hatten und bereit waren, mit ihrem Bräutigam einzugehen, wozu wir alle, die wir an Christum glauben, berufen sind, damit wir mit ihm das Abendmahl halten; denn Christus sagt selbst, Mt 24,46: Selig sind die Knechte, welche ihr Herr, wenn er kommt, wachend findet; wahrlich, ich sage euch, er wird sich aufschürzen, und wird sie zu Tische setzen, und ihnen dienen.

Darum, mein liebes Weib und Schwester in dem Herrn, sei doch allezeit wohlgemut, tröste dich mit des Herrn Worten, sei leidsam und geduldig in dem, das der Herr über dich beschlossen hat, obgleich er dich jetzt mit Trübsal, Leiden oder Armut heimsucht: bedenke, daß Christus (als er reich war) um unseretwillen arm geworden sei, damit er uns, die wir arm waren, durch seine Armut reich machte; auch sagt Jakobus, daß Gott die Armen auf dieser Welt erwählt habe, die am Glauben reich und Erben des Reiches sind, welches er denen verheißen hat, die ihn lieb haben.

Ach, mein liebes Weib, denke an den alten Tobias; denn als er aller seiner Güter beraubt war, und mit seinem Weibe und Sohne fliehen musste, sagte er: Fürchte dich nur nicht, mein Sohn; wir sind zwar arm, aber wir werden viele Güter haben, wenn wir den Herrn fürchten, seine Gebote halten, die Sünde meiden und Gutes tun.

Darum, mein sehr geliebtes und wertes Weib und Schwester in dem Herrn, sagt auch Christus im Evangelium: Fürchtet nicht, die den Leib töten, und nachher nichts mehr tun können; aber ich will euch zeigen, wen ihr fürchten sollt; fürchtet den, der, nachdem er getötet hat, auch Macht hat, Leib und Seele in die Hölle zu werfen; und an einem andern Orte: Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben; so sagt auch der Prophet Jesaja: Fürchtet euch nicht vor den Menschen oder Menschenkindern, die wie Heu vergehen müssen, denn alles Fleisch ist wie Gras, und seine Herrlichkeit wie eine Blume auf dem Felde; das Gras ist verdorrt, und die Blume ist abgefallen, aber das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit.

Ferner, mein sehr geliebtes und wertes Weib und Schwester in dem Herrn, laß ich dich wissen, daß es mir eine große Freude war, zu vernehmen, daß du in deiner Trübsal so wohlgemut bist, und daß du uns vier dem Herrn übergeben hast, worüber ich mich freue und den Herrn von Herzen bitte, daß er dich stark und kräftig machen und dir seinen göttlichen Geist zum Tröster und Geleitsmann geben wolle, denn es ist jetzt die Zeit, von der Christus gesagt hat, Mt 24,24, daß viele falsche Propheten und falsche Christi aufstehen werden, daß, wenn es möglich wäre, auch die Auserwählten verführt würden.

So sieh dich denn wohl vor, meine sehr geliebte und werte Hausfrau, daß dich niemand durch die Philosophie und lose Verführung nach der Menschenlehre, und nach der Welt Satzungen beraube, damit du nicht umsonst gearbeitet, sondern deinen Lohn empfangen mögest, und dir niemand deine Krone nehme. So führe denn allezeit deinen Wandel im Himmel, von wo wir unsern Heiland, Christum Jesum, unsern Herrn erwarten, welcher unsere nichtigen Leiber verklären wird, damit er sie dem Leibe seiner Klarheit gleiche mache. Hiermit will ich dich, meine sehr geliebte und werte Frau, und meine beiden Kinder, dem Herrn anbefehlen, und dir gute Nacht sagen, bis wir endlich wieder zusammenkommen, wo uns Menschen nicht mehr scheiden werden.

Der Apostel sagt, daß der Herr selbst mit einem Feldgeschrei und der Stimme des Erzengels vom Himmel kommen werde, und die Toten in Christo werden zuerst auferstehen; darnach wir, die wir leben und überbleiben, werden zuerst mit denselben hingerückt werden, in den Wolken, dem Herrn entgegen, und werden also bei dem Herrn sein allezeit; dann werden uns die Menschen nicht mehr trennen. Ach, mein geliebtes Weib und Schwester in dem Herrn, hiermit sage ich gute Nacht und befehle dich dem Herrn und dem Worte seiner Gnade; der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre dein Herz. Gute Nacht, mein liebes Weib, grüße mir sehr, die nach mir fragen, insbesondere meinen Bruder, und sage ihm gute Nacht, gute Nacht. Ach, gute Nacht, mein liebes und sehr wertes Weib; Jan Kaufmann und Hansken lassen dich herzlich grüßen, und sagen auch gute Nacht, Amen.