Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.663

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2.663  Noch ein Brief von Raphel von dem Felde an seinen Sohn.

Derselbe Gott, der Abraham, Isaak und Jakob gesegnet hat, wolle dich auch segnen, mein lieber Sohn, mit allerlei geistigem Segen im himmlischen Wesen, damit du von Jugend auf den Herrn erkennen und fürchten lernen und Ihm dein lebelang gehorsam sein mögest. Dieses ist die ausdrückliche Bitte, mein letzter Wille und Wunsch von Grund meines Herzens, was ich von Gott begehre, damit du die ewige Seligkeit erlangen mögest und des Herrn Name von dir gepriesen werden möge. Diesem großen und herrlichen Namen sei Lob und Preis von nun an bis in Ewigkeit, Amen.

Sieh, mein lieber Sohn Raphelken, der Herr hat es so verordnet, daß ich von euch genommen werden muß, wiewohl ich gern hätte bei euch bleiben wollen, um euch fortzuhelfen und (dich) in der Furcht Gottes aufzuziehen; aber es hat dem Herrn nicht gefallen. Wenn es nicht um des Herrn willen wäre, es wäre mir nicht möglich, daß ich deine Mutter und meinen lieben Sohn so verlassen könnte, denn keine Person ist mir so lieb und auch kein Schatz so groß auf der ganzen Welt, um dessetwillen ich euch verlassen wollte, aber um Christi Jesu willen muß man alles verlassen, denn Er sagt: Wer nicht Vater und Mutter, Schwester, Bruder, Mann, Weib, Kind, ja selbst sein eigenes Leben und alles verläßt, was er besitzt, der ist meiner nicht wert, und wer etwas lieber hat, der kann mein Jünger nicht sein. Weil es denn nun der Wille Gottes ist, daß wir von einander scheiden müssen, und ich nicht mündlich mit dir reden kann, so habe ich etwas schreiben wollen zu deiner Unterweisung in der Furcht Gottes, wie der weise Mann sagt: Mein Kind, gehorche der Zucht deines Vaters und verlasse nicht das Gebot deiner Mutter. Sei allezeit bereit zu tun, was dir von Gott befohlen ist, das ist, Ihn von Jugend auf erkennen zu lernen, zu fürchten und Ihm gehorsam zu sein, denn der Gehorsam entspringt aus der Furcht Gottes, und die Furcht Gottes kommt aus der Erkenntnis Gottes. Darum schreibt Salomo: Des Herrn Furcht ist Anfang zu lernen. Ein Kind, das seinen Vater kennt, daß er so ehrbar und so gerecht ist, daß er nicht will, daß seine Kinder mit den Kindern auf der Straße umherlaufen, sich schlagen, zanken und böse Worte reden, oder gestohlenes Gut nach Hause bringen, die Kinder (sage ich), die ihren Vater so kennen, fürchten sich, solches zu tun, und denken, wenn ich das tue, werde ich geschlagen werden. Ebenso auch, mein lieber Sohn, ist der Herr ein gerechter Gott, der die Sünden nicht leiden will, sondern Er will diejenigen strafen, die sie begehen; darum muß man Ihn fürchten und die Sünden nicht tun, denn die Furcht Gottes treibt die Sünden aus, und wer Gott fürchtet, dem wird Er Gutes tun, wie Salomo sagt: Die Furcht des Herrn ist die Quelle der Weisheit, daß man die Stricke des Todes meide, denn, mein lieber Sohn, der Sünden Sold ist der Tod.

Darum nun, weil die Furcht Gottes die Sünden austreibt, meidet man durch die Furcht Gottes die Veranlassung, wodurch man in den Tod kommt, das ist die Sünden.

Darum, mein lieber Sohn, lerne von Jugend auf in der Furcht des Herrn wandeln, damit du niemals in die Sünde willigst, und vergiß nicht die Gebote des Herrn, deines Gottes, sondern fürchte den Herrn, weil Er zu fürchten ist, denn diejenigen, die den Herrn fürchten, gehen auf rechter Bahn, und die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang, und meiden das Böse, das ist Verstand.

Darum, mein Kind, fürchte den Herrn und laß ab vom Bösen, denn der Prophet Jeremias sagt: Es ist ein köstlich Ding, einem Manne, daß er das Joch in seiner Jugend trage, daß ein Verlassener geduldig sei, wenn ihn etwas überfällt; und Sirach sagt: Mein Kind, in deiner Jugend nimm die Lehre zu deinem grauen Alter an, dann wirst du Weisheit finden. Hüte dich vor allen bösen Gesellschaften, die dich verführen können mit der Welt umzugehen, denn die Welt ist voller Bosheit und wird mit allen ihren Lüsten vergehen.

Darum, mein liebes Kind, liebe nicht die Welt, noch was in der Welt ist, denn alles, was in der Welt ist, das ist Augenlust, Hoffart des Lebens und Fleischeslust; es kommt nicht vom Vater, sondern von der Welt; darum enthalte dich von den fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten; und Paulus sagt: Fliehe die Lüste der Jugend, denn die Lüste der Jugend haben ihrer Viele ins Verderben gebracht.

Mein Kind, nimm der Unterweisung deines Vaters wahr und vergiß sie nicht; enthalte deine Zunge vom Verleumden, und hüte dich vor Lügen, denn der Mund, der lügt, tötet die Seele, und die Lügner haben keinen Teil an dem neuen Jerusalem, sondern ihr Teil ist in dem feurigen Pfuhle, der von Feuer und Schwefel brennen wird, welches der zweite Tod ist, ebenso stiftet auch ein Verleumder viel Zank und Uneinigkeit und erweckt Streit und Neid, und scheidet gute Freunde von einander. Mose schreibt: Es soll kein Verleumder oder Ehrenschänder unter euch sein. Darum, mein Sohn, hüte dich vor dem Verleumden, und wenn du in einem Hause wohnst oder zu tun hast, da sei verschwiegen und sage nicht außer dem Hause, was im Hause geschieht, und was man verschweigen soll, das verschweige, dann wirst du dich selbst beliebt machen. Sei den Leuten allezeit getreu und hüte dich vor dem Stehlen, denn es ist eine große Sünde; die Diebe haben keinen Teil am Reiche Gottes, auch hat Niemand zu einem Diebe Vertrauen und Liebe, sondern wo er hinkommt, da sieht man ihm nach seinen Händen.

Darum, mein lieber Sohn, halte dich doch allezeit ehrbar in der Furcht Gottes und hüte dich vor Sünden und Übertretung, dann wird es dir wohl gehen am letzten Tage, wenn Gott einem Jeden nach seinen Werken lohnen wird, je nach dem er getan hat, es sei gut oder böse. Mein Sohn, bedenke, daß geschrieben steht: Ehre Vater und Mutter, damit du lange leben mögest auf Erden, denn das ist das erste Gebot im Gesetze, das eine Verheißung hat; das ist aber die größte Ehre, welche die Kinder ihren Eltern erweisen, daß sie ihnen gehorsam sind in allem, was nicht wider den Herrn und seine Gebote streitet. Darum, mein lieber Sohn, wenn du mich verlierst, sei nicht trotzig gegen deine Mutter, sondern sei ihr um so mehr gehorsam, da ihr nun die Sorge allein anbefohlen ist; darum, mein Kind, betrübe sie nicht in deinem Leben, denn im Sirach steht geschrieben: Wer seinen Vater verläßt, der wird geschändet, und wer seine Mutter betrübt, der ist verflucht vom Herrn. Darum liebe sie und gedenke, wie viel Schmerzen sie um deinetwillen erlitten, und wie sie dich neun Monate unter ihrem Herzen getragen hat und noch viel leiden muß in deiner Auferziehung und Verpflegung.

Darum, mein Kind, gewöhne dich von Jugend auf zum Arbeiten und fleißig zu sein, und wenn du groß bist und etwas verdienen kannst, so laß es deiner Mutter zu Nutze kommen; arbeite allezeit fleißig und willig, und laß es dich nicht verdrießen, dein Bestes zu tun, der Mutter die Kost verdienen zu helfen, denn sie hat es schon zuvor an dir getan. Hüte dich vor Müßiggang und Faulheit, denn durch Müßiggang kommt viel Böses; Faulheit aber macht die Kinder diebisch, und sie nehmen dadurch ein böses Ende. Darum, mein Sohn, laß dich doch dessen nimmermehr gelüsten, sondern arbeite und wirke gern mit deinen Händen etwas Redliches, damit du dem Dürstigen etwas zu geben habest.

Hiermit will ich dich, mein lieber Sohn, und deine Mutter dem Herrn empfehlen. Ach, bitteres Scheiden! Doch der, um dessetwillen ich euch zu verlassen hoffe, ist mächtig, euch zu versorgen und vor allem Argen zu bewahren; der Herr gebe dir seine Gnade, daß du in der Erkenntnis Gottes aufwachsen mögest, durch den Heiligen Geist, damit du nach dem Urteile des rechten Gerichtes Gottes gerecht erfunden werden mögest, zu seinem Reiche, durch Jesum Christum, unsern Herrn und Heiland, welchem sei Lob und Preis, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen.

Geschrieben von mir, Raphel von dem Felde, deinem Vater. Gute Nacht, mein lieber Sohn; den ich lieber habe, als alles Silber, oder Gold, oder Edelsteine; aber Gott muß der Liebste bleiben; gute Nacht; die Liebe überwindet alles, noch einmal gute Nacht, mein lieber Sohn; überlies dieses oft, was dein Vater aus Liebe geschrieben hat, tröste deine Mutter, und sei allezeit freundlich gegen sie in aller Untertänigkeit in der Furcht Gottes; der Herr gebe seine Gnade, daß es so geschehen möge, Amen.