Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.533

Zum Inhaltsverzeichnis

2.533  Ein Brief von Hendrik Verstralen, geschrieben im Gefängnisse zu Rypermonde an sein Weib im Jahre 1571, wo er um des Namens des Herrn willen sein Leben gelassen hat.

Die überschwänglich große Gnade Gottes, die wir vom Vater durch Christum, seinen einigen Sohn, empfangen haben, und der unermessliche Reichtum des Heiligen Geistes, wodurch wir unter diesem argen und verkehrten Geschlechte zum ewigen Leben bewahrt werden, ja, dieser einige und ewige Gott aller Gnade wolle dich bewahren, mein geliebtes Weib und Schwester in dem Herrn; mein Fleisch und mein Bein, die liebste unter allen Kreaturen auf Erden, denn ich habe mehr als einmal vor dem Herrn bekannt, daß ich die ganze Welt, wenn sie mein wäre, darum geben wollte, wenn ich mein Weib und meine Kinder mit gutem Gewissen erhalten könnte; aber um des Herrn willen muss ich alles verlassen, der Natur zwar zuwider, aber der Geist muss das Fleisch überwinden. Ach, meine Janneken, mein Schaf, wie schwer fällt es mir, von dir und den Kindern zu scheiden! Ach, wie tief liegt ihr in meinem Herzen begraben; dies verursacht mir jetzt einen großen Streit; der Herr wolle mir zum Siege helfen, damit mir die Krone des Lebens bereitet werden möge, und auch allen auserwählten Heiligen Gottes, welche um des Herrn willen alles verlassen haben.

Ach, mein geliebtes Weib, mein Schaf, meine Liebe, ich sage dir aus dem Innersten meiner Seele Dank für deinen tröstlichen Brief, den du mir gesandt hast; der Herr müsse allen denen sein ewiges Leben geben, die mit Rat und Tat dabei geholfen haben. Der Brief hat mir mehr Sorgen von meinem Herzen genommen, als alle Güter wert sind, die auf dem Erdboden sind. Ach, wie gut ist es, der Gefangenen eingedenk zu sein! Wie sehr hat mir Habakuk genutzt, der mich armen Gefangenen hier in der Löwengrube an meiner Seele gespeist hat, denn etwas, das von außen kommt, stärkt mich zehnmal mehr als das, was ich bei mir habe.

Ach, mein liebes Weib und Schwester in dem Herrn, ich bitte dich um des Hern willen, der ich um des Herrn willen gebunden bin, halte dich doch zu der Wahrheit, worin die Gemeinde zu Antwerpen und Gent steht; halte dich zu den wahren Gottesfürchtigen, dann wird der Gott alles Trostes mit dir sein, ja, Gott und seine heilige Gemeinde werden dich und meine jungen Schäflein wohl versorgen, daran zweifle ich nicht; bleibe du in des Herrn Furcht, und wirf alle deine Sorgen auf ihn; obgleich du jetzt arm bist, meine Schwester und geliebtes Weib, so wirst du doch viel Gutes haben, wenn du Gott fürchtest und die Sünde meidest, wie ich das Vertrauen zu dir habe.

Ferner bitte ich dich, meine allerliebste Frau, trage doch Fürsorge, solange du lebst, für meine junge Schäflein, mein Susanneken, meinen Abraham und meinen Isaak, damit sie doch in der Furcht Gottes auferzogen werden mögen. Ach, ich bitte meinen Gott mit heißen Tränen, daß er sie in seiner Furcht aufwachsen lassen oder sie in ihrer Jugend zu sich holen wolle!

Ach, meine Allerliebste auf Erden, Janneken Verstralen, küsse bisweilen meine Kindlein einmal statt meiner, und sage meiner Susanneken, es sei ihres Vaters Begehren, daß sie ihrer Mutter in der Gottesfurcht gehorsam sein und fleißig lernen soll, damit sie ihrer Mutter helfen möge, die Kost für die beiden Brüderlein zu verdienen. Und du, meine Janneken, mein Liebe, gedenke doch meiner in deinem Gebete, deines gefangenen Mannes, der um der ewigen Wahrheit und des Zeugnisses Jesu willen gebunden ist, darum bitte ich dich und alle gottesfürchtigen Brüder und Schwestern, nämlich, daß ihr uns helft zu Gott bitten, daß wir den Sieg eines keuschen Kampfes erlangen, und daß Gott meine Hand streiten, und meinen Arm den ehernen Bogen spannen lehre, damit ich durch den Glauben das Kriegsvolk zerhauen und also mit meinem Gotte über die Mauer springen möge, damit ich mit Paulus sagen könne: Der Kampf ist gekämpft, der Lauf vollendet, die Krone des Lebens ist mir beigelegt. Wir, nämlich Maeyken und ich, sind noch wohlgemut, dem Reiche Gottes solche Gewalt anzutun, daß auch Fleisch und Blut an den Pfosten und Pfählen hängen bleiben soll. Sie erlauben uns nicht, beisammen zu sitzen, doch sind wir dreimal beieinander gewesen, wiewohl mit List; das erste Mal, als der von Gent gekommen war, der zu disputieren pflegte; er kam mit den sämtlichen Herren; ich stellte ihnen vor, mit welchem Unglücke diejenigen gestraft werden würden, die ihre Hände in das Blut der Unschuldigen legen würden. Darauf schlugen sie die Augen nieder, aber ein Fuchsschwänzer sagte, ich hätte die Herren alle aufs Höchste beschuldigt. Summa, ich fühlte, daß er derjenige war, der mit mir disputieren sollte; darum habe ich mich zuletzt verstellt, als könnte ich mich nicht mehr wehren; zu den Herren aber redete ich freundlich und begehrte von ihnen, sie sollte es Maeyken auch hören lassen; denn ich sehe, sagte ich, daß ihr Fleiß anwendet, mir zu helfen; wenn ihr dem einen helft, so helft ihnen beiden, es ist mit gleicher Mühe getan. Sie gaben ihre Einwilligung hierzu, und wir setzten nun den Schild gegen den Speer, was bis in den Nachmittag währte. Nach dem Essen kamen wir wieder zusammen; aber Maeyken konnte nicht zu mir kommen; da entstand unter uns ein scharfer Wortstreit; aber sie wandten das Blatt um, fingen an, freundlich zu reden, und sagten, ob ich denn nicht tun dürfte wie Paulus, und wider meine Erkenntnis Timotheus beschneiden und mein Haupt bescheren lassen; ja, heimlich sagte er, ob ich nicht mit Judith Holofernes Haupt abschlagen dürfte, und wenn es auch nicht die Wahrheit wäre, und daß ich nicht alles tun würde, was ich versprechen würde, ob es nicht doch eben derselbe Gott wäre; ob man nicht noch ebenso wohl lügen dürfte, als damals, wenn die Lüge etwas Gutes bezwecke; denn es heißt, sagte er: Ist es möglich, o haltet Frieden mit allen Menschen; darüber begehrte ich, mich zu bedenken, wenn ich es anders mit Wahrheit und gutem Gewissen tun könnte. Darauf gingen wir voneinander, und sie sagten, daß sie auch sonst nichts begehrten. Zu einer andern Zeit kamen sie abermals zu mir und fragten, wie ich mich bedacht hätte, und setzten hinzu, ich suche allezeit bei Maeyken zu sein, was doch nicht sein könnte. Da sagte ich: Lasst uns zusammenkommen; ich hoffe allezeit zu tun, was möglich ist. Darauf ist Maeyken zu mir gekommen; ich stellte ihr alles vor, wie sie mir getan hatten, als Maeyken sagte: Wie soll das zugehen? Sollte der Hund wieder fressen, was er gespien hat? Darauf sagte ich, sie sollten mich mit Maeyken allein reden lassen, was sie auch zugaben. Zu Maeyken sagte ich: Es soll mich dessen kein Lebendiger überreden, daß der Pfaffen Dinge recht sind; sie wissen es wohl, aber sie suchen uns los zu werden; wir wollen miteinander leben und sterben.

Zu einer andern Zeit redeten sie mit Maeyken allein; doch ließen sie mich auch kommen. Als ich bei ihnen war, bemerkte ich, daß sie uns große Freundschaft bewiesen, und viel verhießen; sie sagten nämlich, daß sie uns so frei auf die Straße liefern wollten, als wir jemals gewesen, und daß sie ihre Seelen zum Pfande setzen wollten. Darüber wurde ich zuletzt furchtsam und dachte, ich würde durch süße Worte verführt werden; auch hatten sie größeren Glauben, mich zu gewinnen, als Maeyken; darauf fiel ich auf meine Knie und bat sie, sie sollten unsertwegen keine Mühe anwenden, denn ich hätte meinen Gott unter vielen Tränen Tag und Nacht gebeten, daß er mich in seiner Wahrheit bewahren wolle, darum wollte ich mit dem Herrn leben oder sterben. Da sprang Maeyken auf vor Freude, denn sie meinte, ich hätte es aufgegeben, weil ich mit betrübtem Angesichte hineingekommen war, und sprach: Nun bin ich froh, denn ich meinte, sagte sie, ich müsste allein sterben. Als ich nun merkte, daß Maeyken solche Gedanken über mich hatte, fiel ich auf meine Knie und sagte: Das ist mir leid! Darauf gaben wir einander die Hände, küssten uns und waren sehr fröhlich miteinander, aber unsere Widersacher wurden sehr betrübt. Ich hätte gern diesen Vorgang sauber beschrieben, aber ich kann es mit den Gerätschaften nicht wohl ausführen.

Ferner, mein geliebtes Weib, mein Schaf, meine Liebe, berichte ich dir, daß ich in meinem Gewissen wenig Beschwerung habe; dem Herrn sei ewiges Lob dafür; aber alle Traurigkeit, die ich habe, wird durch den Gedanken der Trennung von dir herbeigeführt. Doch, mein liebes Schaf, weil du so gut geartet bist, daß du ohne Mann leben kannst, so bitte ich dich, daß du fernerhin bei deinen Kindern allein bleibst, denn es entsteht oft große Betrübnis durch das abermalige Heiraten. Sollte ich dich etwa jemals durch meine Schwachheit betrübt haben, so bitte ich dich um Vergebung, um der tiefen Wunden und des unschuldigen Todes des Herrn willen. Grüße mir insbesondere alle Gottesfürchtigen mit dem Frieden des Herrn, wie auch die Säuglinge, die Zion an den Brüsten liegen. Seeres, du zerbrochenes Beinhaupt, und I. von G., helft doch für meine arme Witwe und Waisen sorgen, und wisst, daß ihr darin nicht den Menschen, sondern Gott dient. Ich lasse H. C. M. und A. und L. und C. sehr grüßen. Ach, wie gern wollte ich ausführlich schreiben, wenn ich mit gutem Schreibzeug versehen wäre! Gute Nacht, mein Fleisch und Blut! Küsse mir Susanneken. Ach, gute Nacht, gute Nacht, mein liebes Weib! Bitte unsern Herrn für mich um ein seliges Ende.