Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.504

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2.504  Noch ein erbaulicher Brief und eine Ermahnung von Joost Verkindert, geschrieben aus dem Gefängnisse, den 20. Juni an die G. G. zu A.

Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem himmlischen Vater und unserm Herrn Jesu Christo, der uns geliebt und uns durch sein Blut von unsern Sünden gewaschen hat, und den Trost des Heiligen Geistes, der vom Vater und Sohne ausgeht, um alle diejenigen zu trösten, die um seines heiligen Namens willen in mancherlei Drang und Trübsal sind, welchem sei Preis, Ehre, Glorie, das Reich, Kraft und Majestät von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen. Dieses wünschen wir euch allen zu einem herzlichen Gruße, meine geliebten Brüder und Schwestern in dem Herrn. Wir Gefangenen um des Zeugnisses unsers lieben Herrn Jesu Christi willen lassen euch wissen, daß wir dem Fleische nach noch ziemlich wohl sind, und dem Geiste nach wollten wir, daß es noch besser um uns stände, denn wir sind noch mit dem unreinen und bösen Fleische umgeben, welches allezeit wider den Willen Gottes gelüstet und sich sehr vor dem Leiden fürchtet; und gleichwohl muss man leiden und streiten, soll man überwinden. Denn meine lieben Brüder und Schwestern, die Krone liegt nicht im Anfange, oder in der Mitte, sondern am Ende, dort kommt der höchste Streit vor; alsdann wird das Gold durch das Feuer der Trübsal geprüft, welches niemand besser weiß, als die, welche darin versucht worden sind.

Hierher gehört, was der Apostel sagt: Alle Züchtigung aber, wenn sie da ist, dünkt uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; aber hernach wird sie denen, die dadurch geübt sind, eine friedsame Furcht der Gerechtigkeit geben.

Ferner, meine lieben Freunde, Brüder und Schwestern, bitten wir euch um der großen Liebe unsers Herrn Jesu Christi willen, daß ihr alle eins gesinnt sein wollt, und weder Zwietracht noch Streit um irgendeines Dinges willen unter euch herrschen lasst, sondern ein jeder suche weise und vorsichtig im Guten und einfältig im Bösen zu sein, und denke an die Worte des Apostels, wenn er sagt: Ist nun bei euch Ermahnung in Christo, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so erfüllt meine Freude, daß ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, nichts tut durch Zank oder eitle Ehre, sondern durch Demut; achtet euch untereinander einer den andern höher als sich selbst; und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was des andern ist; ja, ein jeder sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war, denn als er reich war, ist er um unseretwillen arm geworden, damit er uns durch seine Armut reich machte, und sich selbst eine heilige Gemeinde reinigte, die keine Flecken oder Runzeln, oder etwas dergleichen habe, welche er auch durch sein eigenes Blut erkauft hat, damit sie heilig und unsträflich sein und in der Liebe wandeln sollte; welche Gemeinde nun eine Zeitlang viel Trübsal erlitten hat, das müsse dem barmherzigen Vater im Himmel geklagt sein, wegen des Elends und der Traurigkeit über Zion; aber der Gott aller Gnade müsse für seine große Barmherzigkeit gepriesen sein, welche er der Gemeinde in Antwerpen erwiesen hat, daß sie noch in gutem Frieden und Einigkeit steht (wie ich denke), denn obgleich sie dem Fleische nach sehr beängstigt ist, so ist doch daselbst dem Geiste nach große Freude und Wonne, denn der Herr versucht sein Volk mit Angst und Trübsal, wie Christus sagt: Sie werden euch in den Bann tun. Seht, die Zeit wird kommen, daß, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst daran, und dies werden sie euch daran tun, weil sie weder mich, noch meinen Vater gekannt haben, denn hätten sie ihn gekannt, sie hätten den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Und obschon an einigen Orten die Verfolgung nicht so heftig ist, so kann doch der Herr die Menschen durch andere Mittel wohl versuchen, als mit Streit, Uneinigkeit, Stolz, Pracht, Saufen, Prassen, überhaupt mit Werken des Fleisches, was jedoch nicht nach unserm Rufe geschieht. Nicht, liebe Freunde, als ob ich hierin jemanden beschuldigen wollte, sondern wir ermahnen einen jeden aus brüderlicher Liebe, denn vor Gott kann man sich nicht verbergen, sondern er wird alles, was heimlich geschieht, ans Licht bringen. Darum, meine lieben Freunde, lasst uns den Herrn nicht betrügen, denn seine Augen sind wie Feuerflammen; er ist ein gewaltiger, starker und mächtiger Gott, und sieht aller Orten, was heimlich und offenbar ist; darum soll man ihn fürchten, denn er hat nicht umsonst ein Wort geredet, wie er durch den Propheten sagt: Es soll das Wort, das aus meinem Munde geht, nicht leer wieder zu mir kehren, sondern tun, was mir gefällt.

Meine herzlich geliebten Brüder und Schwestern in dem Herrn, nehmt doch eures armen, schwachen Bruders Schreiben zum Besten auf, denn es ist auf Begehren einiger Brüder aufgesetzt, damit ihr vielleicht durch unser einfaches Schreiben ein wenig getröstet und erquickt werden mögt, denn wir haben dieses Wenige aus einer herzlichen Geneigtheit geschrieben, weil wir ja einander ermahnen sollen, solange es heute heißt, denn wir hoffen durch des Herrn Gnade, unser Fleisch hier bald abzulegen.

Ach, Freunde! Der Weg ist so eng und schmal, der zum Leben einführt; aber der Weg, der zur Hölle führt, so breit und gemächlich für das Fleisch! Wohl recht sagt der Prophet Jesaja, daß die Hölle ihren Rachen weit aufgetan habe, und daß sowohl die Fürsten als auch der Pöbel da hinein gehen; ja, sie gehen zur Hölle, wie Schafe zum Tode.

Darum, meine lieben Freunde, lasst uns Sorge tragen, daß wir die Gnade Gottes nicht umsonst empfangen haben möchten, sondern lasst uns allezeit der Tage unserer Erleuchtung eingedenk sein, und wie klein wir damals in unsern eigenen Augen gewesen seien, als wir uns selbst unter die gewaltige Hand Gottes demütigten, und uns selbst gänzlich übergaben, um dem Herrn in Heiligkeit und Gerechtigkeit zu dienen, die vor ihm gefällig ist; denn damals waren wir alle dem Saul gleich, welcher, als er zum König gesalbt wurde, gering in seinen eigenen Augen war, denn er war aus dem geringsten Stamme Israels; als er aber stolz wurde, hat ihn der Herr verworfen. Der Herr sprach zu Samuel: Gehe hin und sage Saul, daß er mir den Amalek von der Erde ausrotte, Menschen sowohl als Vieh; aber Saul hat aus Gutdünken den König, samt den besten Rindern und Schafen, am Leben erhalten, um damit dem Herrn ein Opfer zu tun, wodurch er des Herrn Gebot übertreten hat und seiner Stimme ungehorsam geworden ist, indem der Herr Gehorsam und nicht Opfer fordert.

Seht, liebe Freunde, um welch einer geringen Ursache willen Saul verworfen worden ist! Darum lasst uns wohl zusehen, denn er ist noch derselbe Gott. Es geht vielen unter uns ebenso, daß wir uns allzu große Freiheit in unserm Glauben nehmen, deshalb wir auch verworfen werden, und selbst nicht wissen, wo es fehlt oder mangelt; jetzt kommt uns ein streitiger Geist an, wodurch Trennungen und Spaltungen in der Gemeinde Gottes entstehen, worüber alle Frommen seufzen und trauern müssen; dieser Fall tritt besonders ein, wo die Christen große Freiheit haben. Es geht jetzt, wie zu den Zeiten der Kinder Israel, denn als sie in Ruhe waren, haben sie Kriege wider einander geführt, wie denn viele Tausend fielen, als sie wider den Stamm Benjamin stritten. Darum, meine lieben Brüder und Schwestern, nehmt Christum Jesum euch zum Exempel, der uns im Frieden berufen hat, denn die Frucht des Geistes ist allerlei Gütigkeit, Gerechtigkeit und Freude in dem Heiligen Geiste. Lasst uns wohl zusehen, daß wir nicht der Gemeinde zu Laodicea gleich werden, die weder kalt noch warm war, und sich einbildete, daß sie reich wäre, genug hätte, und keines Dinges bedürfe; aber der Geist antwortete ihr: Ich rate dir, daß du Gold von mir kaufest, das mit Feuer durchläutert ist, daß du reich werdest, und weiße Kleider, daß du dich antuest, damit die Schande deiner Nacktheit nicht offenbar werde, und deine Augen mit Augensalbe salben mögest, daß du sehen mögest.

Darum ist es täglich nötig, einander mit dem Worte des Herrn zu ermahnen, welches ein rechter Spiegel und die wahre Richtschnur ist, um unser Leben und unsern Wandel, nach unserm geringen Vermögen, danach zu prüfen; ich sage: nach unserm geringen Vermögen, denn wenn Gott nach dem Rechte mit uns handeln würde, so könnte niemand vor ihm bestehen. Darum kann sich vor Gott kein Mensch rechtfertigen, sondern wir müssen allezeit Schuldner bleiben, und bedenken, daß wir in vielem zu kurz kommen.

Darum lasst uns allezeit Sorge tragen, und unsere Vorgänger immer vor Augen haben, nämlich Abraham, Isaak, Jakob, Moses und alle Propheten, welche Gäste und Fremdlinge auf Erden gewesen sind, und ein Vaterland gesucht haben, eine Stadt, die einen Grund hatte, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist, und mit Trübsal und Ungemach, Schlägen und Gefängnis gekämpft haben, deren die Welt nicht wert war.

Ebenso hatte auch Christus Jesus selbst nicht so viel in der Welt, worauf er sein gesegnetes Haupt zur Ruhe gelegt hätte, wenn er sagt: Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, wohin er sein Haupt lege, sondern er musste aller Orten flüchtig sein, gleichwie noch heutzutage seine Glieder tun müssen, denn wer Christum Jesum in der Kraft bekennt, der muss jedermanns Raub sein, und als ein Aufrührer und Ketzer verflucht und verbannt werden, ja, er muss zum schwersten Tode, denn sie erdenken können, verdammt werden. Gott im hohen Himmel müsse über die große erbärmliche Blindheit geklagt sein, denn sie rufen alle: Der Befehl muss beobachtet sein; und denken nicht daran, ob er gerecht oder ungerecht sei, wiewohl doch einige sagen, man müsse niemanden um des Glaubens willen töten.

So müssen wir denn, meine lieben Brüder und Schwestern, unsere Sache mit Jeremia dem Herrn befehlen, und für die Blindheit unserer Feinde bitten, daß sie der Herr doch erleuchten wolle, damit sie sehen möchten, in welchen sie stechen, und daß sie wider das Lamm streiten, welches sie dennoch überwinden wird.

Ferner, liebe Brüder und Schwestern, bitten wir euch alle, die ihr doch der Gefangenen, als Mitgefangene, und derjenigen, die in Ungemach sind, eingedenk sein wollt, die ihr auch noch im Leibe seid; desgleichen, dass wir unser Fleisch hier auf Erden mit Freuden ablegen mögen, zum Preise des Höchsten und zur Erbauung unsers Nächsten, damit der Name des Herrn durch uns nicht gelästert werde; ich, Joost Verkindert, Lorenz Andrieß und Nelleken Jaspers grüßen euch (die mit uns in der Einigkeit des Glaubens stehen) mit dem Frieden des Herrn, und befehlen euch dem gekreuzigten Jesum Christum an, welcher in eurem Herzen die Oberhand behalten müsse; ihm sei Preis, Glorie, das Reich, die Kraft und Majestät, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen.

Haltet uns unser einfaches Schreiben und unsere Ermahnung zu gut, denn es ist aus rechter brüderlicher Liebe geschehen, obgleich ihr selbst zur Genüge von Gott gelehrt seid, und es sich mehr geziemte, daß wir von euch gelehrt und ermahnt würden, indem wir finden, allzu viel Gebrechen und Unvollkommenheiten an uns zu haben, als daß wir andere unterrichten sollten; aber, liebe Freunde, wir ermahnen uns selbst auch hiermit, und bitten den Herrn beständig, daß wir würdig erfunden werden mögen, um ihm in der Auferstehung der Toten entgegen zu kommen.

Ach Freunde! Wacht und betet, denn ihr wisst weder Stunde noch Zeit. Lebt wohl.

Geschrieben von mir, Joost Verkindert, unwürdig gefangen in dem Herrn, in meinen Banden.