Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.507

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2.507  Noch ein Brief von Joost Verkindert, geschrieben an seine Mutter aus dem Gefängnisse, den 12. Juli.

Gnade, Freude, Friede von Gott, dem himmlischen Vater und unserm Herrn Jesu Christo, der uns geliebt und uns in seinem Blute von unsern Sünden gewaschen hat, samt dem Tröster, dem Heiligen Geiste, der von dem Vater und Sohne ausgeht um alle diejenigen zu trösten, welche um seines heiligen Namens willen in Druck und Trübsal sind, wolle sich in dir vermehren, welchem (Gott) sei Preis, Ehre, das Reich, die Kraft und Majestät, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen.

Dieses, nebst allen Tugenden Gottes, wünsche ich zum herzlichen und freundlichen Gruße meiner lieben und werten Mutter und Schwester in dem Herrn, wobei ich dir berichte, daß es mir gegenwärtig noch ziemlich gut geht, wie ich dann auch hoffe, daß du noch gesund seiest. Auch ist mein Gemüt noch des Vorhabens, bei der ewigen Wahrheit zu bleiben und dieselbe nicht zu verlassen; es sei um des Lebens oder Sterbens willen, denn Petrus sagt, es sei den Menschen kein anderer Name gegeben unter dem Himmel, um selig zu werden, als allein in dem Namen Jesu Christi. Darum, meine liebe Mutter, ist es nötig, daß wir allezeit nach unserem geringen Vermögen den Fußstapfen Jesu Christi nachzufolgen suchen, denn Johannes sagt: Wer übertritt und in der Lehre Christi nicht bleibt, der hat keinen Gott; wer aber in der Lehre Christi bleibt, der hat beides, den Vater und den Sohn.

Darum, meine Geliebte, laß uns wohl zusehen, daß wir allezeit unter dem kleinen Häuflein erfunden werden mögen, damit unsere Garben mit allen auserwählten Heiligen Gottes in die Scheuer gesammelt werden möchten, denn es ist ein großes Ungewitter vorhanden. Ach, wären wir alle würdig vor dem Herrn, dann wären wir gewiss zur seligen Stunde geboren! Ach, ich bitte den Herrn, herzlich für euch, daß er euch in seiner heiligen Wahrheit bewahren wolle, damit wir endlich mit Preis und Ehre gekrönt werden mögen. Ach, meine Geliebte, das Gebären fällt mir so schwer! Christus sagt mit Recht: In der Welt habt ihr Angst, aber sei getrost, ich habe die Welt überwunden; und ferner: Ihr werdet weinen und heulen, und die Welt wird sich freuen, ihr aber werdet traurig und betrübt sein, aber doch soll eure Traurigkeit in Freude verwandelt werden, denn ein Weib, wenn sie gebiert, hat Traurigkeit; wenn aber ihre Stunde vorüber ist, so denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, weil ein Mensch zur Welt geboren ist. Wir sind jetzt auch wohl recht betrübt; die Welt aber ist freudig und fröhlich, und denkt nicht einmal daran, wie jämmerlich sie im Zorne Gottes steht, solange sie sich nicht bekehrt und rechtschaffene Buße vor dem Herrn tut. Da trifft ein, was der Prophet Jesaja sagt: Die Hölle hat ihren Rachen weit aufgetan, damit da hineinfahre beides, ihre Fürsten und ihr Pöbel, ja, sie gehen zur Hölle, wie Schafe zum Tode. Dem Herrn des Himmels müsse es geklagt sein, daß die falschen Propheten das arme, blinde Volk so jämmerlich verführen, ja, was noch mehr ist, daß sie diejenigen, die ihr Leben zu bessern suchen, so jämmerlich unterdrücken, verfolgen, berauben und zu jedermanns Raub machen. Darum sagt Jesaja wohl mit Recht: Heilige und fromme Leute werden hingerafft; aber niemand nimmt es zu Herzen. Darum, meine Geliebte, laß uns die Menschen nicht fürchten, die doch wie Heu vergehen müssen, denn Würmer werden sie verzehren wie ein Kleid, und die Motten wie ein Wollentuch. Ach, liebe Mutter! Sie verbieten, die Heilige Schrift zu lesen, während uns doch Christus ermahnt: Forschet in der Schrift, denn ihr meinet das Leben darin zu haben, und sie ist es, die von mir zeugt; ebenso sagt auch Paulus: Alles, was geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben. Ach, wie hart wird es denen fallen, welche die Schrift so gering achten; sie sind diejenigen, die Böses gut und Gutes böse heißen. Ach, möchten sie einmal nachdenken, wie hart sie im Zorne Gottes gefangen liegen; ich bitte den Herrn von Herzen, daß er ihnen die Augen des Verstandes öffnen wolle, damit sie sehen mögen, wider wen sie streiten, daß es wider Gott und das Lamm sei; aber das Lamm wird sie überwinden. Jesaja sagt: Wenn auch eine Mutter ihr Kindlein vergäße, und den Sohn ihres Leibes verließe, den sie selbst geboren hat, so will ich dich doch nicht verlassen; der Herr spricht auch durch Zacharias: Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an; und abermals spricht Jesaja: Fürchte dich nicht, o Jakob, wenn du ins Feuer gehst, will ich dich bewahren, und wenn du im Wasser bist, daß es dir nicht schaden soll, denn ich, der Herr, will dich bewahren. Meine Geliebte, seine Hand ist noch nicht zu kurz; er ist noch derselbe Gott, der Israel aus Ägypten und der Hand Pharaos erlöst hat, der das Rote Meer zur Bahn machte, sodass die Erlösten des Herrn dadurch gingen; er ist auch noch derselbe Gott der ihnen vierzig Jahre lang Brot vom Himmel zu essen gegeben hat, gleichwie geschrieben steht: Himmelsbrot und Engelsspeise hat er ihnen zu essen gegeben; er ist noch derselbe Gott, der Sadrach, Mesach und Abednego in dem glühenden Ofen bewahrt und Daniel aus der Löwengrube erlöst hat, wie auch viele heilige Väter, von welchen man in der Heiligen Schrift ausführliche Nachricht findet.

Darum, meine werte und herzlich geliebte Schwester in dem Herrn, mein Herz war geneigt, dich noch einmal mit dem Worte des Herrn ein wenig zu ermahnen, wiewohl du von dem Herrn reichlich unterrichtet bist, denn Paulus sagt: Ermahnt euch untereinander, solange es heute heißt, denn der Herr kommt wie ein Dieb in der Nacht, wie du an uns abnehmen kannst.

Ferner, liebe Mutter, danke ich dir für die gute Gunst und Liebe, die du mir zu allen Zeiten erwiesen hast; ja, du bist mir zu allen Zeiten günstig gewesen, auch ehe ich deine liebe Tochter zum Weibe genommen habe; auch sage ich dir für den guten Umgang Dank, den wir allezeit miteinander im Frieden (der Herr sei dafür gelobt!) gehabt haben, denn meine Seele hat sich oft mit dir erfreut. Und nun, meine Geliebte, befehle ich dir mein liebes Weib und ihre beiden Waislein, und begehre, daß du für sie christliche Fürsorge tragen und an den Kindern die Rute nicht sparen wollest; leiste R. auch Gesellschaft, so viel dir möglich ist, damit sie nicht kleinmütig werde; denn ich weiß, daß ich ihrem Herzen gleich bin, und daß sie darüber lange Leiden tragen wird. Darum ermahne ich sie, daß sie in ihrer Trübsal geduldig sein wolle, denn ich hoffe, daß alles, was Gott an uns tut, zu unserer Seligkeit gereichen werde, denn der Herr weiß, was uns nötig ist. Meine Geliebte, nimm diese geringe Mahnung zum Besten auf, betrachte es als ein Testament, denn es ist mit einem zerschlagenen Herzen und Gemüte geschrieben. Hiermit will ich dich dem gekreuzigten, blutigen Christo Jesu und dem Worte seiner reichen Gnade anbefohlen haben, Amen. Gute Nacht, meine liebe Mutter, bis auf eine andere Zeit, wenn wir einander hier nicht mehr sehen sollten. Lorenz, mein Mitgefangener, und ich lassen dich und unsere Bekannten in dem Herrn sehr herzlich grüßen mit dem Frieden des Herrn.