Der Märtyrerspiegel

Teil II - Kapitel 2.661

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2.661  Noch ein Brief von Raphel von dem Felde, an seine Hausfrau.

Ich, Raphel, gefangen um der Wahrheit willen, wünsche meiner werten und in Gott geliebten Hausfrau (die das Allerliebste von allem ist, das ich kenne, außer Gott; ja könnte ich dir helfen, und sollte ich auch darüber des Todes sterben müssen, ich wollte es sehr gerne tun; und mein lieber Sohn, ich wünsche dir, was du mir in deinem Schreiben wünschest) ein standhaftes Gemüt in dem Glauben unseres Herrn Jesu Christi, eine brünstige Liebe zu Gott und eine unüberwindliche Stärke von Gott, unserm himmlischen Vater, durch Jesum Christum, unsern Herrn und Seligmacher, damit ihr alle eure Feinde überwinden und in eurem Drucke Maß halten möget, damit du dich nicht weiter oder mehr betrübst, als sich die göttliche Reue erstreckt, wie ich denn hoffe, daß du auch tun und dich in Gelassenheit allem übergeben werdest, worin dich Gott versucht, damit du so die Krone des Lebens von der Hand des Herrn empfangen mögest. Dies ist meine herzliche Bitte und mein großes Begehren zu Gott für dich, meine Allerliebste auf Erden; der allmächtige Gott gebe seine große Barmherzigkeit dazu, Amen.

Nebst allem liebreichen Gruße und Entbieten an dich, meine werte und in Gott geliebte Hausfrau, lasse ich dich wissen, daß mein Gemüt unverändert und gelassen in Gott steht, um dem Herrn zu dienen, die Wahrheit zu bezeugen, und um seines heiligen hohen Namens willen alles zu leiden, was mir um seinetwillen begegnet; ich fürchte mich auch keineswegs; der Herr sei gelobt und gepriesen für seine große Gnade. Ich war den Montag Nachmittag bei drei Pfaffen von kurz nach drei Uhr, wie ich meine, bis fast um sechs Uhr; sie wollten mir viel sagen, aber ich machte sie zuerst ihren Glauben bekennen, weil sie gekommen waren, um mich zu unterrichten. Da bekannten sie einige Dinge von der Kindertaufe, von der Menschwerdung Christi und von ihrer Hostie oder Oblaten, daß Christus (nach den gesprochenen Worten) darin in Fleisch und Blut sei, wie Er war, als sie das Abendmahl aßen. Als sie es nun mit der Schrift beweisen sollten, waren sie in Not, denn ich gab nicht nach und wollte von keinem Pünktlein weichen, oder sie hätten mir dasselbe vollständig bewiesen. Wenn sie nun alles bewiesen hatten, beschämte ich sie mit ihren eigenen Reden, so daß sie bisweilen erröteten und nicht wußten, was sie zu ihrem Besten sagen sollten; deshalb dünkte mich, daß sie sich zuletzt fürchten würden, mehr mit mir zu reden. Bisweilen redeten sie alle drei, und ich vergaß auch manchmal, was sie kurz zuvor gesagt hatten; deshalb sagte ich: Ich tauge nichts zum Disputiren, ich habe gar kein gutes Gedächtnis. Darauf sagte der Eine: Mich dünkt doch, daß er redlich ist, und er sah mich an. Nun wohlan, meine Liebe, für dieses Mal wollen wir es dabei bewenden lassen, denn sollte ich alles schreiben, was mir widerfahren ist, mich dünkt, ich würde wohl sechs Bogen Papier voll schreiben müssen; dem Herrn sei gedankt, der den Seinen allezeit beisteht. Dieser neue Vorsteher des Gerichts ist sehr blutdürstig und strenge gegen uns; er läßt uns alle einsperren, den einen hierhin, den andern dorthin; wir dürfen uns kaum so lange aus unserer Kammer entfernen, daß wir unsere Notdurft verrichten; es darf auch Niemand zu uns kommen. Ich habe auch gehört, daß wir nicht lange sitzen sollen, womit ich wohl zufrieden wäre, denn das lange Sitzen, und zwar immer allein, ist sehr verdrießlich; aber dem Herrn sei gedankt, die Zeit ist weder mir noch Hieronymus, meinem Bruder und Mitgefangenen, bis jetzt sehr lang geworden, denn wir verwundern uns, wenn wir daran denken, daß wir schon acht Tage gefangen sitzen. Ich hoffe auch, der Herr werde uns noch trösten und uns nicht verlassen. Gute Nacht, gute Nacht, zum Abschiede, bis auf eine andere Zeit.