Die vollständigen Werke Menno Simons

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30.5 Vierzehn große und schwere Widersprüche

Vierzehn große und schwere Widersprüche, die gewaltig aus unserer Gegner Grund und Lehre folgen:

Erstens folgen gewaltig aus ihrer Lehre und ihrem Glauben zwei Söhne in Christo, von welchen der eine Gottes, dem Leiden nicht unterworfener, ewiger Sohn ohne Mutter und der andere Marias oder des Menschen zeitlicher und dem Leiden unterworfener Sohn ohne Vater gewesen ist. Ob man solch eine Lehre und Glauben nicht mit Recht einen Widerspruch heißen kann, mögt ihr mit der Schrift bedenken.

Zweitens folgen daraus gewaltig zwei Personen in Christo; denn wo zwei vollkommene Söhne sind, da müssen auch zwei Personen sein, oder der eine müsste den andern ganz in sich gezogen und letzterer durch die Vereinigung gänzlich verschwunden sein. Ob man dies nicht mit Recht einen Widerspruch heißen kann, mögt ihr mit der Schrift bedenken.

Drittens folgt daraus gewaltig, dass der essende, trinkende, seufzende, weinende, leidende, sterbende und gekreuzigte Christus Jesus, obwohl er die ganze Schrift hindurch ohne alle Teilung für den erst- und eingebornen, eigenen Sohn Gottes bekannt wird, nicht Gottes Sohn gewesen ist, da er ihrer Aussage zufolge keinen Vater gehabt hat, wie gehört worden ist. Ob dies nicht ein sehr lästerlicher Widerspruch und eine offenbare Verleugnung des Sohnes Gottes genannt zu werden verdient, mögt ihr mit der Schrift bedenken.

Viertens folgt daraus gewaltig, dass sie jedes Mal lügen, wenn sie den Menschen Christus Gottes Sohn nennen; denn wie kann er ihrem Grunde nach in Wahrheit sein, was sie ihn nennen, da sie öffentlich schreiben und mit dem Munde bekennen, dass er nicht aus Gottes, sondern aus Marias Substanz hergekommen und gezeugt sei. Ob man dies nicht mit Recht einen lästerlichen Widerspruch, welcher dem wahren Gott, der nach der Wahrheit handelt und nicht mit leeren Namen umgeht, nicht gleichförmig ist, heißen kann, mögt ihr mit der Schrift bedenken.

Fünftens folgt daraus gewaltig ein geteilter Christus, der von Gott und einem Menschen, vom Himmlischen und Irdischen, vom Reinen und Unreinen, vom Gerechten und Ungerechten, vom Guten und Bösen, vom Gebenedeiten und Vermaledeiten ein Seligmacher und Jesus Christus geworden ist, wie schon oben in den Verschiedenheiten einmal gehört worden ist. Ob man dies nicht mit Recht einen lästerlichen Widerspruch heißen kann, mögt ihr mit der Schrift bedenken.

Sechstens folgt gewaltig daraus, dass das ewige einmal für alle Welt Sünde dargebrachte Sühnopfer nicht das unschuldige, reine, fleckenlose Lamm, für welches die Schrift ihn bekennt, sondern ein unreiner, sündiger und todesschuldiger Mensch von Adams unreinem, sündigem und todesschuldigen Fleisch und Samen gewesen ist. Ob man dies nicht mit Recht einen lästerlichen Widerspruch heißen kann, mögt ihr mit der Schrift bedenken.

Siebtens folgt gewaltig daraus, dass, da der heilige Apostel Thomas den gekreuzigten sichtbaren Christum für seinen Herrn und Gott bekannte und die ganze Schrift bezeugt, dass er unser Versöhner, Mittler, Fürsprecher, Hoherpriester, Seligmacher und Erlöser ist, er aber dennoch ein Mensch von Adams unreinem, sündlichem Samen sein sollte, für welchen unsere Gegner ihn bekennen, es offenbar wäre, dass eine irdische, unreine, sündliche und todesschuldige Kreatur von Adams irdischem, unreinen, sündlichen und todesschuldigem Fleische unser Versöhner, Mittler, Fürsprecher, Hoherpriester, Seligmacher, Erlöser, ja, Herr und Gott wäre. Ob man dies nicht mit Recht einen lästerlichen Widerspruch und antichristlichen Gräuel heißen kann, mögt ihr mit der Schrift bedenken.

— Auslassung im Originaltext, Anm. d. Verlegers —

Zehntens folgt gewaltig daraus, dass wenn der Mensch Christus von Adams unreinem, sündlichem Samen ist, wie unsere Gegner behaupten und die Schrift sagt:

»Du sollst anbeten, Gott deinen Herrn und ihm allein dienen!« (5Mo 6,13; Mt 4,10)

und der Prophet sagt: »Ich will […] meine Ehre keinem andern geben,« und es klar und offenbar ist, dass man unsern Erlöser Christus nicht weniger anbetet, verehrt, ihm dient und dankt, als man den Vater selbst tut, eins von beiden wahr sein muss: Entweder, dass die Schrift uns falsch gelehrt hat oder dass alle Götzendiener sind, welche so einen irdischen, sündigen und todesschuldigen Christus wie unsere Gegner lehren und ohne Grund der Schrift hoch anpreisen, anbeten, verehren, ihm danken und dienen. Ob man dies nicht mit Recht einen abgöttischen Widerspruch und eine Gotteslästerung heißen kann, mögt ihr mit der Schrift bedenken.

— Auslassung im Originaltext, Anm. d. Verlegers —

Zwölftens folgt gewaltig daraus, d. h. wenn ich Microns Schreiben recht verstehen kann, dass das ewige Wort eines Menschen Geist geworden ist und nur eine Hütte oder Leib von Marias Fleisch angenommen hat, denn er führt Petrus, wie mich dünkt, zu diesem Zwecke an und sagt:

»Er ist getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist.« (1Pt 3,18)

Versteht er nun den Geist Christi sowohl auf seinen Geist, welchen er in seines Vaters Hände aufgab, als auch auf den unsterblichen Sohn Gottes, mit welchem er seinem Grunde nach vereinigt war, so hat Petrus hier viel zu unzulänglich geschrieben, dass er nur sagt: lebendig gemacht nach dem Geist und nicht auch sagt: und auch nach dem unsterblichen Sohne Gottes, mit welchem er vereinigt war. Merkt wohl, was ich sage.

Versteht er es aber nur auf Christi Geist und nicht auch auf den unsterblichen Sohn, für welchen er ihn bekennt, so muss der Sohn Gottes seiner Auffassung zufolge eines Menschen Geist geworden sein oder ich weiß nicht, wozu ihm dieser Spruch helfen kann. Ob man dies nicht mit Recht einen groben Widerspruch und eine plumpe Blendung der unverständigen, armen Leute heißen kann, mögt ihr mit der Schrift bedenken.

Dreizehntens folgt auch gewaltig daraus, wenn der Gelehrten Grund recht ist, dass alsdann das allmächtige, ewige Wort, von welchem Himmel und Erde voll sind (Weish 18,15), sich mit einem so kleinen Körperchen von Marias Fleisch vereinigt hat und mit demselben geseufzt haben, geweint haben, gegessen haben, getrunken haben, gelitten haben,gestorben und tot im Grabe gelegen haben muss oder es muss sich nur in Christi Geist aufgehalten haben und so bei seinem Absterben damit aufgefahren sein und sich bei seiner Auferstehung zum zweiten Mal damit vereinigt haben. Ob man dies nicht mit Recht einen wunderlichen Widerspruch heißen kann, mögt ihr mit der Schrift bedenken.

Vierzehntens folgt auch gewaltig daraus, dass, wenn das Wort oder der ewige Sohn Gottes einen Menschen von Marias Fleisch und Blut angenommen und sich damit in eine Person oder Sohn vereinigt hat, wie unsere Gegner philosophieren und vorgeben, Gott der Vater nicht ein wahrer Vater Christi, Maria nicht eine wahre Mutter, Christus Jesus nicht ein wahrer Sohn und die ganze Schrift damit geleugnet ist, welche ohne alle Trennung des Göttlichen vom Menschlichen, des Geistes vom Fleische, des Sichtbaren vom Unsichtbaren, des Sterblichen vom Unsterblichen, Christum für den erst- und eingebornen, eigenen Sohn Gottes bekennt, wie wir sowohl oben als unten in großer Kraft mit des Herrn Wort erklärt haben. Ob man dies nicht mit Recht einen lästerlichen Widerspruch und eine offenbare Verleugnung, sowohl des Vaters als des Sohnes, heißen kann, mögt ihr in der Furcht eures Gottes mit der Schrift bedenken.

Seht, auserwählte Leser, solch ein unschriftmäßiger, geteilter, unreiner, sündiger und irdischer Seligmacher und Christus ist es, welchen euch unsere Gegner mit ihren antichristlichen, verdeckten, verdrehten, bemäntelten und dunklen Worten menschlicher Weisheit lehren und vortragen.

Ich halte euch hier den Spiegel ihrer Verführung unverhüllt vor eure Augen; wenn ihr nur wollt, so könnt ihr in aller Klarheit sehen, wie jämmerlich ihr von ihnen betrogen werdet.

In Ansehung denn, dass ihre Lehre und ihr Glaube im Grunde nichts ist als ein offenbarer, antichristlicher Betrug und Verführung der alten Schlange, da fast alles, was man mit Hinsicht auf diesen Artikel bei ihnen liest oder hört, von Annehmen, von Vereinigen, von aus Zweien eins sein, von einer göttlichen und menschlichen Natur, von löblichen Umständen und dergleichen handelt, wovon nicht ein einziger Buchstabe in der ganzen Schrift geschrieben steht und sie solches mit überaus vielem Schriftbrechen, Glossen, falschen Deutungen und Auslegungen behaupten, ja, ausschmücken und verteidigen, so sage ich fürs Erste mit Microns eigenen Worten, dass alles, was sie uns von der Sache philosophieren und vorbringen, uns nichts gelten kann, weil es nicht Schrift ist; und zweitens sagen wir mit dem heiligen Paulus, dass es verflucht ist, da es ein fremdes Evangelium ist, von welchem in der ganzen Schrift nicht ein einziger Buchstabe weder von den Propheten, noch von Christo und allen seinen Aposteln in dem Sinne, auf welchen unsere Gegner dringen, erwähnt oder gelehrt worden ist. Habt Acht darauf.

Ferner wollen wir euch noch durch des Herrn Gnade zuerst den Grund des Bekenntnisses und der Lehre unserer Gegner hinsichtlich dieses Artikels samt seinem eigentlichen Inhalt, Frucht, Ende und Verheißung und danach auch den Grund unseres Bekenntnisses mit seinem eigentlichen Inhalt, Frucht, Ende und Verheißung anweisen und vor Augen stellen, auf dass ihr mit Schwarz und Weiß nebeneinander gesetzt, euch desto leichter vor dem Betrug der alten Schlange hüten und den untrüglichen, festen Grund der Wahrheit finden, glauben und demselben mit einem gewissen, versicherten Gewissen ohne alle Furcht anhangen und folgen mögt.