Die vollständigen Werke Menno Simons

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29.2 Von der Menschwerdung unseres Herrn Jesu Christi

Liebe Herren, Freunde und Brüder, als diese Sache von der Menschwerdung unseres lieben Herrn Jesu Christi von den Brüdern das erste Mal vor mich gebracht wurde, erschrak ich sehr in meinem Herzen, als ich es hörte, aus großer Furcht, dass ich in meiner Seele irren oder vor Gott in einem verderblichen Unglauben erfunden werden möchte. Ja, ich bin dieses Artikels halber auch nach empfangener Taufe in meinem Gewissen manchmal so beklommen und beunruhigt gewesen, dass ich manchen Tag aus großer Bangigkeit meiner Seele weder Speise noch Trank zu mir genommen und in der tiefen Not meiner Anfechtung unter vielen Tränen meinen Gott feurig angefleht habe, dass der gute Vater durch seine barmherzige Gnade mir armem, betrübtem Sünder, der mit Fleiß, obwohl in großer Unvollkommenheit und Schwachheit, seinen guten Willen und sein Wohlgefallen zu erfüllen suchte, das Geheimnis der Empfängnis seines gebenedeiten Sohnes recht erschließen wollte, soweit dies zur Verherrlichung seines heiligen Namens und zur tröstlichen Labung meines bedrückten Gewissens nützlich und notwendig wäre. Als ich so Tage, Wochen und Monate lang dahinirrte, habe ich wohl mit mehreren, die eurer Meinung oder eures Glaubens sind, ernstlich über diese Sache, die mein Herz so sehr bedrückte, gesprochen; allein niemand konnte mich hierüber genugsam belehren, denn ich fand, dass einige Schriftstellen, welche sie zur Befestigung ihrer Sache anführten, nicht nur nach meiner Ansicht, sondern auch nach dem Urteil der Schrift, von ihnen gröblich missverstanden wurden. Zuletzt nach vielem Fasten, Weinen, Beten, vieler Bekümmernis und Bangigkeit bin ich durch des Herrn Gnade in meiner Seele aufs Höchste getröstet und erquickt worden, indem ich, versichert durch das untrügliche, gewisse Zeugnis der im Geiste erfassten Schrift, von Grunde auf erkannte und glaubte, dass Christus Jesus, in Ewigkeit gebenedeit, der Herr vom Himmel (1Kor 15,47), der geistliche verheißene Same der neuen und geistlichen Eva (1Mo 3,15), nämlich die ewige Wahrheit (Joh 14,6), ein kräftiger Überwinder der Schlange und ihres Samens (1Mo 3,15; Lk 11,21; Joh 16,33; Hebr 2,14) ist. Dieser verheißene Same ist die ewige Wahrheit und das Wort Gottes, welches, als die vom allmächtigen und barmherzigen Vater dazu bestimmte Zeit erfüllt war (Gal 4,4), in einer reinen Jungfrau (Jes 7,14), nämlich in Maria, durch den heiligen Geist und die Kraft des Höchsten, empfangen worden ist, als diese die himmlische Botschaft und das Wohlgefallen des Vaters, welches ihr durch Gabriel verkündigt worden ist, gehört und geglaubt hat (Lk 1,26–35). Das ewige Wort Gottes, das im Anfang bei Gott und Gott selber war (Joh 1,1–3), ist Fleisch geworden, ist (von Maria) vom heiligen Geist empfangen worden und hergekommen (Mt 1,18) und ist in Maria gezeugt worden, wie ein natürliches Kind von seiner Mutter, als wahrer Sohn Gottes und wahrer Sohn des Menschen von ihr geboren worden, wahrhaftiges Fleisch und Blut, elend, hungrig, durstig, den Leiden unterworfen, sterblich dem Fleische nach und unsterblich dem Geiste nach, uns in allem gleich, ausgenommen die Sünde (Hebr 2,17), wahrhaft Gott und Mensch, Mensch und Gott, nicht geteilt und gestückt – nicht zur Hälfte himmlisch und zur Hälfte irdisch, halb Menschensamen und halb Gottessamen, wie einige sagen, sondern ein ungemischter, ganzer Christus, nämlich Geist, Seele und Leib, wie Pauli Aussage zufolge alle Menschen sind.

»Welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er es nicht für einen Raub, Gott gleich sein; aber er erniedrigte sich selbst (merkt wohl, sodass er eine sichtbare Gestalt hatte) und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein anderer Mensch, und an Gebärden als ein Mensch erfunden.« (Phil 2,6–8)

Er, der größer als die Engel war, ist geringer als die Engel geworden (Ps 8,6; Hebr 2,7); denn er musste sterben, weil er Fleisch und Blut geworden war (Hebr 2,9).

Ich glaube und bekenne, dass er ohne irgendwelchen Zweifel nach demselben Fleisch, das vom heiligen Geiste empfangen worden und hergekommen ist, dem Samen oder Stamm Davids und Abrahams entsprossen und danach genannt ist, von einem Weibe geboren und unter das Gesetz getan ist (Gal 4,4), den achten Tag beschnitten worden und seinen Eltern gehorsam gewesen ist und zugenommen hat an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen (Lk 2,52).

Dieser nämliche Mensch Christus Jesus hat gepredigt, ist gekreuzigt worden, gestorben und begraben worden, ist auferstanden und gen Himmel gefahren, wo er sitzt zur Rechten seines allmächtigen Vaters, nach dem Zeugnisse der ganzen Schrift; und von da wird er wieder kommen, zu richten die Schafe und die Böcke, die Guten und die Bösen, die Lebendigen und die Toten (2Kor 5,10; 2Tim 4,1).

So glaube und bekenne ich, dass das reine Wort Gottes, nämlich Christus Jesus, der Schöpfer, Gebotgeber und Verdammer Adams, an Adams Stelle getreten ist, nämlich sich unter den über Letzteren verhängten Zorn, Tod und Fluch begeben und aus großem Mitleid, Liebe und Barmherzigkeit die verdammliche Last seiner verirrten Kreatur auf sich selbst geladen hat. Er selber? Ja, er selber ist Adam im Fleische gleich geworden und hat so mit seinem Tode das Leben wiedergebracht, mit seiner Unschuld, Gerechtigkeit und seinem Gehorsam die ewige Gerechtigkeit des gerechten Gottes in allem bezahlt und befriedigt, wie er in David sagt:

»Ich muss bezahlen, das ich nicht geraubt habe.« (Ps 69,5)

Denn Gott hat sich die Welt nicht durch Adams Fleisch versöhnt, denn dieses war durch Gottes Gerechtigkeit dem Zorn und Fluch unterworfen und was kann doch durch Zorn und Fluch versöhnt werden – sondern er hat es durch sich selber getan, aus lauter Gnade, nämlich durch sein ewiges Wort, seinen gebenedeiten Sohn, der dem ersten Adam in allen Dingen gleich geworden ist, ausgenommen Ungerechtigkeit, Ungehorsam und Sünde; auf dass alle Herrlichkeit und aller Preis Gottes und nicht unser oder Adams sein sollte. Ja, Christus Jesus ist uns von Gott gemacht zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung.

»Auf dass (wie geschrieben steht) wer sich rühmt, der rühme sich des Herr.« (1Kor 1,31)

Seht, meine lieben Herren, Freunde und Brüder, so glaube und bekenne ich, dass Gott seinen gebenedeiten Sohn gesandt hat in der Gestalt des sündlichen Fleisches und hat durch die Sünde, welche er überwunden hat oder für welche er geopfert worden ist, die Sünde im Fleisch verdammt, auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist (Röm 8,3–4). Und an einer andern Stelle:

»Er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.« (2Kor 5,21)

Er ist also unser einziges Opfer, Genugtuung und Bezahlung geworden und ist durch ihn Gott der Vater versöhnt, seine Gerechtigkeit befriedigt, der Fluch hinweggenommen, der Teufel, die Sünde und der ewige Tod überwunden und das Leben, ja, Gnade, Gunst, Barmherzigkeit, Frieden und das ewige Leben wiedergebracht worden, wie Paulus sagt:

»Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschont, sondern hat ihn für uns alle dahin gegeben; wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?« (Röm 8,32)

So glaube und bekenne ich, dass Gott selber im Fleisch erschienen ist, wie Paulus sagt (1Tim 3,16). Ja,

»Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber.« (2Kor 5,19)

Er hat unsere Sünden ausgetilgt und hat sich wiederum gesetzt zu der Rechten der Majestät in der Höhe, wo er von allen Engeln Gottes angebetet wird (Hebr 1,3,6). Und auf diesen Grund der Empfängnis und Menschwerdung Christi fügen und schließen alle Zeugnisse der Schrift und alle Wahrheit. Zuerst was Paulus sagt:

»Dass er aber aufgefahren ist; was ist es denn, dass er zuvor ist hinunter gefahren in die untersten Örter der Erde? Der hinunter gefahren ist, das ist derselbige, der aufgefahren ist über alle Himmel, auf dass er alles erfüllte.« (Eph 4,9–10)

Christus selber sagt:

»Niemand fährt gen Himmel, denn der vom Himmel hernieder gekommen ist, nämlich des Menschen Sohn, der im Himmel ist.« (Joh 3,13)

Und im nämlichen Kapitel:

»Der von oben her kommt, ist über alle. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über alle, und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an.« (Joh 3,31–32)

Ferner:

»Ich bin das lebendige Brot, vom Himmel gekommen. Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich ihm geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt.« (Joh 6,51)

Und im gleichen Kapitel:

»Ärgert euch das? Wie, wenn ihr denn sehen werdet des Menschen Sohn auffahren dahin, da er zuvor war?« (Joh 6,61–62)

Ferner:

»Ich bin vom Vater ausgegangen und gekommen in die Welt; wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater.« (Joh 16,28)

Ferner:

»Verkläre mich, du Vater, bei dir selbst, mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.« (Joh 17,5)

Und:

»Das da von Anfang war, das wir gehört haben, das wir gesehen haben mit unsern Augen, das wir beschaut haben, und unsere Hände betastet haben vom Worte des Lebens (und das Leben ist erschienen) […]« (1Joh 1,1–2)

Solcher Schriftstellen gibt es besonders bei Johannes viel.

Alle diejenigen, welche diesen Grund der Menschwerdung unseres lieben Herrn Jesu Christi durch Gottes Gnade mit klaren Augen und rechtem Verständnis begreifen und verstehen, die erkennen und fassen auch die unbegreifliche Liebe, welche Gott, der Vater, in Christo Jesu gezeigt und bewiesen hat, wie er selbst sagt:

»Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.« (Joh 3,16)

Und:

»Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, dass wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben; sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden.« (1Joh 4,9–10)

Denn wie konnte Gott seine väterliche Liebe zu uns besser beweisen, als dass er seine ewige Weisheit und Wahrheit, sein reines, kräftiges Wort, seinen gebenedeiten Sohn, durch welchen er alle Dinge geschaffen hat und der ihm an Gestalt gleich, das Ebenbild seines gebenedeiten Wesens war, so erniedrigt hat, dass er geringer geworden ist, denn die Engel, ein armer, elender, dem Leiden unterworfener, sterblicher Mensch, Knecht und Diener, der allein der ganzen Welt Mühe, Arbeit, Sünde, Übertretung, Fluch und Tod tragen und bezahlen hat müssen; ja, ihn so erniedrigt hat, dass er der Allerverachtetste von allen Menschen geworden ist (Jes 53,3), ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und Verachtung des Volks (Ps 22,7) und es hat so der unschuldige, wahre, weise, gerechte, gehorsame und reine Christus Jesus aller Menschen Schuld, Lügen, Torheit, Ungerechtigkeit, Ungehorsam und Unreinigkeit abwaschen, tilgen und dafür genug tun müssen. Sagt, Geliebteste, wer hat je von größerer Liebe gehört!

Mein lieber heiliger Vater und Bruder, dies ist vor Gott hinsichtlich der tröstlichen Menschwerdung unseres lieben Herrn Jesu Christi mein Grund, Glauben und Bekenntnis und wird nach meinem Dafürhalten in der ganzen heiligen Schrift über alle Maßen kräftig, ja, unwiderleglich dargetan. Ich kann daher durch die Gründe und Schriftstellen, welche ihr bis dato gegen diesen unsern Grund, Glauben und Bekenntnis eingewendet habt, in meinem Herzen und Gemüt nicht anders gesinnt und gelehrt werden, da ihr dieselben ganz und gar in einem natürlichen Verstande und fleischlichen Sinne anzieht und auslegt und nicht nach der rechten Anweisung und Meinung des heiligen Geistes, welches aber ohne Zweifel in dieser Sache nicht zulässig ist, noch geschehen kann, weil dieses herrliche Werk der Menschwerdung Christi von Gott durch seinen heiligen Geist auf übernatürliche Weise nur im Glauben nach Gottes Wohlgefallen vollbracht worden ist.

Ich wiederhole es, dies ist mein Bekenntnis denjenigen, welche meinen Glauben und meine Gefühle hinsichtlich dieses Artikels aufs Heftigste von mir fordern. In meiner gewöhnlichen Ermahnung an die Brüder und Freunde lehre ich dies jedoch nicht so genau und tief und habe es auch vorher noch nie so tief gelehrt, wie ich euch schon mündlich gesagt habe; sondern ich lehre schlicht und einfach, dass Christus Jesus gebenedeit wahrhaft Gott und Mensch ist, ein Sohn Gottes und ein Sohn des Menschen, empfangen vom heiligen Geist, geborenaus der reinen Jungfrau Maria, ein armer, elender Mensch, uns in allem gleich, ausgenommen die Sünde; dass er derjenige ist, der in dem Gesetz und den Propheten verheißen ist, nämlich unser rechter und wahrer Messias, Christus, König, David, Herzog, Prophet, Bischof und Priester, Erlöser, Seligmacher, Opfer, Versöhnung, Genugtuung, Hirt, Lehrer, Vorbild, Mittler, Fürsprecher, Regent, Gebieter, Bräutigam, das Licht der Welt, die rechte Tür zum Schafstall, die ewige Weisheit, das Ebenbild Gottes, des Vaters Wort, der rechte Weg, die Wahrheit und das Leben. Denn ich erkenne sehr wohl, dass es äußerst wenige gibt, welche diese aufs Genaueste behandelte Sache, auch wenn sie dieselbe gehört haben, recht begreifen und verstehen können. Darum ist es nach meinem Dafürhalten für mich und alle Lehrer das Beste, der einfachen Gemeinde die Sache von der Mensch- und Fleischwerdung Christi nicht anders als auf eine schlichte, apostolische Weise zur Besserung, zur Liebe, zum Troste, zur Heiligung, und dass man ihm in seiner heiligen Lehre und seinem Leben nachfolge, zu lehren. O möchte doch Gott geben, dass sie alle so gesinnt wären. Will aber jemand Tieferes wissen und fragen und ist es ihm nützlich und reicht sein Verstand dazu aus, so wird es vor ihm nicht verborgen; wenn nicht, so wird zu ihm gesagt:

»Denke nicht über dein Vermögen.« (Sir 3,21)

Obwohl nun dies unser innerlicher Grund, Verstand und Begriff von der Sache und von dem Zeugnis der Schrift nicht verschieden ist, wie wir durch des Herrn Gnade aufs Beste begreifen und verstehen können, so fürchten wir dennoch sehr, dass ihr euch mit dieser unserer Anweisung aus Gottes Wort nicht belehren lassen noch zufrieden geben werdet, so dass ihr euch mit uns in der Sache einigt; sondern dass ihr im nämlichen buchstäblichen, natürlichen und menschlichen Verstande bei euren vorgefassten Gründen und Argumenten bleiben werdet, ohne zu merken, dass Jesaja, Matthäus, Lukas und Johannes in großer Klarheit lehren, dass es auf übernatürliche Weise im Glauben durch die Kraft des heiligen Geistes in Maria geschehen ist, wie oben gesagt worden ist. Ach, lasst uns doch den allmächtigen Vater nicht verkleinern in seiner Barmherzigkeit, noch den gebenedeiten Sohn Gottes seiner Klarheit berauben. Ja, liebe Brüder, die Schrift bleibt ewig und ungebrochen. Seht euch wohl vor, auf dass ihr nicht irrt. Jesaja sagt:

»Eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären.« (Jes 7,14)

Der Engel des Herrn sprach zu Joseph:

»Das in ihr geboren ist, das ist von dem heiligen Geist.« (Mt 1,20)

Als Maria den Engel über die Art und Weise der Empfängnis fragte, d. h. wie dieselbe geschehen sollte, so antwortete ihr der Engel:

»Der heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum auch das Heilige, das von dir geboren wird, wird Gottes Sohn genannt werden.« (Lk 1,35)

Dies ist das gewisse Zeugnis Johannis, des Knechtes Gottes und Christi, mit Hinsicht auf des Herrn Menschwerdung, nämlich:

»Das Wort ward Fleisch.« (Joh 1,14)

Er sagt nicht: Das Wort nahm Fleisch an. Seht, werte Brüder, wie unwiderleglich die Gründe und Schriftstellen, mit welchen wir unsere Sache zu bewähren suchen, auch sein mögen, so besorge ich dennoch, dass wir dieses Artikels halber von euch als sektiererisch, ketzerisch und verführerisch angesehen und verdammt werden, obwohl es vielleicht viele unter uns gibt, die den Herrn aus dem Innersten ihrer Seele fürchten, aber von der Tiefe ihres Grundes, wie er oben in großer Klarheit besprochen worden ist, ihr Leben lang noch nie einen Buchstaben gehört oder gefragt, geschweige denn erkannt und verstanden haben, sondern die sich gänzlich mit der Wohltat, welche der Vater in Christo an ihnen bewiesen hat, begnügen, Christum Jesum in seinem heiligen Worte hören, seinem Beispiele, seiner Liebe, seiner Lehre und seinem Leben nachfolgen und sich nur an demjenigen, das sie durch ihn empfangen haben, erfreuen, nämlich der Vergebung der Sünden, des Geistes Freiheit, Gnade, Verheißung, Barmherzigkeit und dem ewigen Leben. O dass alle Weisen und Gelehrten, ja, alle Menschen dieser Welt sich mit der einfachen Lehre Jesu Christi und seiner heiligen Apostel begnügen, nicht höher klimmen und nicht niedriger bleiben wollten, Gott mit reinem Herzen suchten, ihm glaubten, ihn fürchteten, liebten und ihm in seinem gebenedeiten Worte recht nachlebten! O welch köstliche Groschen (Lk 15,8) und welche Fülle herrlichen Gewinns würde alsdann durch Gottes Gnade für des Herrn Schatzkammer gewonnen werden. Aber nun gibt es leider sehr viele, deren Glaube und Erkenntnis nicht im Herzen und in der Furcht, sondern nur zwischen den Lippen und auf der Zunge gehört und gesehen wird (ich sage dies nicht zur Beschämung der Gerechten), die sehr geneigt zu törichten und unnützen Fragen und zanksüchtig sind, die der Menschen Weisheit besser verstehen als Gottes Weisheit, Menschen von zerrütteten Sinnen (1Tim 6,5), die immerdar lernen und doch nie zur rechten Erkenntnis der ewigen Wahrheit kommen (2Tim 3,7). Wer diese mit dem klaren Wort des heiligen Evangeliums Jesu Christi straft und ihnen widerspricht, wird von Stunde an von ihnen als ein schändlicher Sektenmacher und ein böser, verkehrter Ketzer angesehen und gescholten (urteilt selber, ob es nicht wahr ist, was ich sage), obwohl ihre eigenen ungläubigen Herzen ganz irdisch, fleischlich und teuflisch sind und ihr ganzes Leben und ihr Wandel nichts als eitel Fleisch, Hochmut, Eitelkeit, Trägheit, Unchristlichkeit, Geiz, Hass, Grausamkeit, Blutdürstigkeit, Trunkenheit, Schmeicheln, kurz Sünde und Schande ist. O dass ich löge und nicht die Wahrheit redete!

Doch lasst sie nur verketzern und schmähen, so viel sie wollen, wir wollen es gerne leiden; wir werden alle einen Richter haben, der beides, ihre Lehre und unsere Lehre, ihren Glauben und unsern Glauben, ihr Suchen und unser Suchen, ihr Leben und unser Leben, aufs Genaueste prüfen und vergelten wird. Dann wird es sich erst herausstellen, welches diejenigen sind, die Gottes ewige Wahrheit, des Herrn Preis und Ehre und die ewige Seligkeit aller Menschen von ganzem Herzen begehrt und gesucht haben. Meine Brüder, seht wohl zu, dass ihr solchen unfruchtbaren Disputierern nicht gleich werdet, sondern achtet darauf, wenn ihr eure Seele bewahren wollt, dass ihr die rechte, seligmachende Wahrheit Gottes mit getreuem, eifrigem Herzen sucht, begehrt, glaubt, empfangt und ihr nachlebt, Amen.