Die vollständigen Werke Menno Simons

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25.8 Vom Eidschwören

David spricht im 24. Psalm: »Wer wird auf des Herrn Berg gehen? Und wer wird stehen an seiner heiligen Stätte? Der unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist; der nicht Lust hat zu loser Lehre, und schwört nicht fälschlich: der wird den Segen vom Herrn empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils.« Diese Worte Davids sind voll Geist und Weisheit, werden aber von der Welt nicht beachtet; denn man findet überall schuldige Hände, unreine Herzen, lose Lehre, Untreue und wenig Wahrheit. Ja, es ist so weit mit den Menschenkindern gekommen, dass das edle Ja und Nein, welches vom Herrn selbst befohlen ist, nicht länger als Wahrheit ausreichen kann, sondern fast alles, was vor der Obrigkeit verhandelt wird, mit dem Eide bekräftigt werden muss, obwohl des Herrn Mund mit so klaren Worten allen Christen das Schwören verboten hat (Mt 5,34–37).

Die Schrift lehrt überall, dass wir Christum hören sollen; denn er ist der König in Jakob, der König der Gerechtigkeit, der von Gott verheißene Lehrer und Prophet, der uns seines Vaters Wort gelehrt hat, dessen Wort die Wahrheit und dessen Gebot das ewige Leben ist (5Mo 18,15; Mt 17,5; Mk 9,7; Lk 1,33; Jes 9,6; Jer 23,6; 33,15; Apg 3,22; Joh 3,17; 5,43; 8,26; 17,17; 12,50).

Da wir denn dieses so bekennen und von Herzen glauben und außerdem bekennen, dass kein Kaiser oder König über seinem Worte herrschen, noch gegen sein Wort gebieten kann, da er das Haupt der Fürsten (Eph 1,21; Kol 1,16; 2,10; Offb 1,5) und der König aller Könige (Offb 17,14; 19,16) ist, vor welchem alle Knie sich beugen müssen, die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind (Phil 2,10), und er uns das Schwören so deutlich verboten und uns einzig und allein auf ja und nein hingewiesen hat, so schwören wir darum nicht, noch dürfen wir schwören, weil wir unsern Gott fürchten, obwohl wir armen Menschen aus dieser Ursache so viel von der Welt hören und leiden müssen.

Da denn auf der ganzen Welt in Betreff des Eidschwörens so offenbar und ohne die geringste Scheu gegen Gottes Wort gehandelt wird und mitunter wohl auch dieser oder jener Gottesfürchtige dadurch in Ungelegenheiten kommt, so will ich durch des Herrn Gnade dem wohlwollenden Leser aus des Herrn Wort anweisen, was die heilige Schrift bei Gelegenheit von Eidschwören lehrt und mit sich bringt.

Erstens muss der Leser in Betracht ziehen, dass das Eidschwören nicht immer unter der nämlichen Form bei des Herrn Volk im Gebrauche war; denn vor dem Gesetz war es bei den heiligen Vätern Sitte, die Hand auf ihre Hüfte zu legen und einander auf diese Weise zu schwören, wie z. B. von Abraham und seinem Knechte und von Jakob und seinem Sohne Joseph zu lesen ist (1Mo 24,3; 47,29). Auch hat Joseph bei dem Leben Pharaos geschworen und scheint solche Art des Schwörens bei den Ägyptern gebräuchlich gewesen zu sein.

Zweitens muss der Leser bedenken, dass es den Israeliten im Gesetze geboten war, dass sie (d. h. wenn die Not es erforderte) bei des Herrn Namen schwören und ihren Eid halten sollten, wie Mose sagt:

»Ihr sollt nicht falsch schwören bei meinem Namen und entheiligen den Namen deines Gottes, denn ich bin der Herr.« (3Mo 19,12; 2Mo 22,10)

So ein Eid machte in Israel allem Hader ein Ende (Hebr 6,16).

Drittens muss er in Betracht nehmen, dass Christus Jesus im neuen Testament seine Christen hinsichtlich des Eidschwörens nicht auf das Gesetz, als das Unvollkommene, welches das Rechtschwören zuließ, sondern uns von dem Gesetze zum Ja und Nein, als dem Vollkommenen, hinweist, indem er sagt:

»Ihr habt gehört, dass zu den Alten (d. i. zu den Vätern unter dem Gesetze) gesagt ist (nämlich durch Mose) du sollst keinen falschen Eid tun und sollst Gott deinen Eid halten (d. h. du sollst recht schwören und deinem Eide nachkommen). Ich aber (Christus) sage euch (meinen Jüngern), dass ihr (die ihr meine Christen seid) allerdings nicht schwören sollt (d. i. weder recht noch falsch), weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Stuhl, noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füße Schemel; noch bei Jerusalem, denn sie ist eines großen Königs Stadt. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören, denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja, nein, nein, was darüber ist (d. h. über ja und nein), das ist vom Übel.« (Mt 5,33–37)

Hier habt ihr nun mit Hinsicht auf den Eid der Christen, Christi eigene Lehre und Verordnung.

Seht, meine lieben Leser, vor diesen Worten Christi müssen alle menschlichen Gebote und Maßregeln betreffs des Eidschwörens weichen und untergehen, als da sind: Der Eid wegen Verleumdung, der Eid, dass das, was man zu sagen im Begriffe steht, die Wahrheit ist und wie sie weiter heißen oder abgelegt werden mögen; sei es denn, dass Letzteres geschieht mit Worten oder indem die Finger emporgehoben, vor die Brust gehalten oder auf ein Kruzifix oder das neue Testament gelegt werden etc. Das wahre vom Herrn selbst verordnete Ja und Nein muss wieder an seine Stelle treten, wenn die Obrigkeit samt den Untertanen des Herrn Wort nicht mutwillig übertreten und als unnütz in den Wind schlagen will; denn alles, was über Ja und Nein ist, sagt Christus Jesus, ist vom Übel. Das nämliche lehrt uns auch der heilige Jakobus, indem er sagt:

»Vor allen Dingen aber, meine Brüder, schwört nicht, weder bei dem Himmel, noch bei der Erde, noch mit keinem andern Eide (wie z. B. bei Gottes Wort, bei des Herrn Kreuz, bei eurer Seelen Seligkeit). Es sei aber euer Wort: Ja, das ja ist; und nein, das nein ist (und nicht: So helfe mir Gott, oder: Dazu helfe mir Gott und alle Heiligen, wie es leider an vielen Orten der Gebrauch ist); auf dass ihr nicht in Heuchelei fallt.« (Jak 5,12)

Wir wissen wohl, dass die Obrigkeit einen Scheingrund vorschützt und sagt: »Man darf schon schwören, wenn man das Recht auf seiner Seite hat.« Hierauf antworten wir einfach des Herrn Worten gemäß: Das Rechtschwören wurde den Juden im Gesetze gestattet, den Christen aber ist es im Evangelium verboten. Da uns denn Christus das Schwören nicht erlaubt und die Obrigkeit dennoch nach ihren Maßregeln vorgehen will, obwohl dieselben der Schrift widerstreiten, die Schrift aber keinem Menschen weichen kann, was soll nun der in die Enge getriebene Christ tun? Schwört er, so fällt er in die Hände des Herrn; schwört er aber nicht, so muss er der Obrigkeit Ungnade und Strafe tragen.

O ihr lieben Herren, hätte man nur christliche Augen und könnte von Herzen sehen und erkennen, was nach der Gerechtigkeit Gottes mutwillige Verachtung und Übertretung des Wortes Gottes zur Folge hat, man würde lieber sterben, als das teure Evangelium unseres Herrn Jesu Christi, die Verordnung des ewigen Gottes, mit vergänglichen Statuten oder Maßregeln zu schwächen oder brechen.

Auch würde man nicht einmal daran denken dürfen, besonders die frommen, gottesfürchtigen Herzen, die in ihrer Gottesfurcht nichts als die Wahrheit reden dürfen und jedes Wort, das aus ihrem Munde geht, wie einen Eid betrachten, ja, die bis zum Tode an ihrem Ja und Nein festhalten, über ihr Ja und Nein zu beschweren, während man jetzt nicht ansteht, sie um einer Kleinigkeit, wie z. B. eines zeitlichen Gutes willen, zu zwingen mit gen Himmel gerichteten oder auf das Neue Testament gelegten Fingern beim Gott des Himmels und bei seinem lebendigen Worte zu schwören.

Ach, ihr lieben Herren! Wie jämmerlich führen euch eure Lehrer und Führer den Weg zur Verdammnis, indem sie euch beständig damit trösten, dass man der Obrigkeit gehorchen müsse (was sich auch geziemt, insofern es Gottes Wort nicht widerstreitet), als ob man, weil man die Obrigkeit ist, in allen Dingen gegen den Herrn handeln und herrschen müsse.

Ach nein! Liebe Herren, nein, wir warnen euch aus treuer Liebe, bessert euch, wacht auf und seht euch vor! Eure Prediger verführen euch; bei Gott ist kein Ansehen der Person (Apg 10,34; Röm 2,11; Gal 2,6; Eph 6,9; Kol 3,25). Wenn ihr keine Buße tut, nicht aus Gott geboren und den einfachen, unschuldigen Kindern in der Bosheit gleich werdet, euer Amt nicht nach Gottes Willen in der Liebe redlich verwaltet, den Armen und Elenden nicht ihr Recht zukommen lasst und nicht mit gottesfürchtigem, demütigem Herzen gehorsam in des Herrn Wort wandelt, so werdet ihr am jüngsten Tage euren Richter finden. Liebe Herren, nehmt doch diese Worte wohl zu Herzen:

»Die Gewaltigen werden gewaltig gestraft werden!« (Weish 6,6; 2Mo 23,7)

Und auch ihr Gelehrten, die ihr mit euren Glossen diesen Irrtum zu bewähren und zu verteidigen sucht, wie dürft ihr doch Gottes ewiger Weisheit und Wahrheit so offenbar widersprechen und sagen: »Ihr sagt, man solle gar nicht schwören; wir aber sagen, dass man recht schwören darf, wenn unsere Liebe zum Nächsten, sein Nutzen und seine Not es erheischen.« Ob das nicht offenbar und platt wider Christum lehren heißt, wollen wir euch selbst urteilen lassen. Es ist ja ganz klar bewiesen, dass es den Juden im Gesetze erlaubt war, recht zu schwören, uns Christen hingegen verboten ist. Auch ist es ebenso klar, dass im neuen Testament weder Liebe zum Nächsten, zu Vater, Mutter, Gattin oder Kindern, noch Lebens- oder Todesgefahr des Herrn Wort beugen oder brechen darf (Mt 10,37; Mk 8,35; Lk 9,24; 14,26).

Darum, werter Leser, wenn du ein solcher bist, der den Herrn fürchtet und es dir zustoßen sollte, dass man dich zu einem Eid zwingen will, so bitte den Allerhöchsten um Weisheit, Freimütigkeit und Stärke. Höre nicht auf die Glossen der Gelehrten, denn diese betrügen dich. Sehe auch nicht auf die Menge, dass du derselben folgest zum Bösen, wie Mose sagt. Weiche in dieser Sache ja keinem Fleische, wer, wie und wo die Betreffenden auch sein mögen, sondern ermahne und strafe sie mit aller geziemenden Liebe. Wenn sie dich über die Schrift hinauszugehen zwingen wollen, bleibe bei deines Herrn Wort, welches dir das Schwören so offenbar verbietet und lasse, wie er geboten hat, dein Ja und Nein deinen Eid sein, es gereiche dir denn zum Leben oder zum Sterben, auf dass du die unnütze, unfruchtbare, eitle Welt, die nichts geringer achtet, als Gottes Wort, durch solche christliche Tapferkeit und beständige Wahrheit in ihrer Untreue und Falschheit mit deinem wahrhaftigen Ja und Nein zur Gerechtigkeit ermahnen und strafen mögest oder sich vielleicht noch jemand von seiner Ungerechtigkeit bekehrt und durch solches der Wahrheit tiefer nachdenkt und selig wird (Phil 2,15).

Auch ist es euch nützlicher, der Menschen Ungunst, Schmähung und Lästerung auf euch zu laden und in der Wahrheit zu bleiben, als der Menschen Freund zu sein und gegen Gottes Wort zu sündigen, wie der gute Johannes Hus bezeugte, als man ihn zwingen wollte, zu schwören: »Mir ist Angst auf allen Seiten: Schwöre ich, so habe ich den ewigen Tod, und schwöre ich nicht, so kann ich euren Händen nicht entgehen; aber es ist besser, dass ich ohne die Tat in eure Hände falle, als zu sündigen im Angesichte Gottes.« Seht, mit solchem Ernste hat dieser würdige Mann den Eid erwogen.

Lest ferner noch Hieronymus, Theophilaetus, Chrysostomos, Erasmus von Rotterdam in seinen Anmerkungen, Philippus Melanchthon über das 5. Kapitel Matthäi, Heymo über das 10. Kapitel der Offenbarung und auch Origenes an einer gewissen Stelle und ihr werdet finden, dass sie in diesem Punkte mit unserm Grund, Glauben, unserer Lehre und unserm Bekenntnis übereinstimmen.

Dies ist denn hinsichtlich dieses Artikels unser Grund und unsere Meinung (versteht, in zeitlichen Dingen), weder recht noch falsch zu schwören, wie gesagt worden ist, da uns des Herrn eigener Mund geboten hat, dass wir gar nicht schwören sollen und dass unser Ja ja und unser Nein nein sein soll; da ferner Paulus und Jakobus dasselbe nachdrücklich bezeugen (2Kor 1,17; Jak 5,12) und wir wohl wissen, dass kein Mensch noch menschliches Gebot über Gott und Gottes Gebot herrschen kann, so dürfen wir deshalb in keiner zeitlichen Sache die Wahrheit höher als mit ja oder nein bekräftigen, denn des Herrn Wort lehrt so, wie gesagt worden ist.

Meine Leser, merkt wohl, wir sagen in zeitlichen Sachen, und zwar deshalb, weil Christus in seiner Lehre zuweilen sich des Wortes Wahrlich bedient hat (Mt 17,20; Joh 3,3; 8,34; 10,1); und auch Paulus den Herrn zum Zeugen auf seine Seele angerufen hat. Hieraus schließen einige, dass es damit frei gestellt werde, recht zu schwören, indem sie nicht merken, dass Christus und Paulus solches nicht in zeitlichen Angelegenheiten, um Fleisches und Blutes oder Geldes und Gutes willen, sondern zur Bekräftigung der ewigen Wahrheit, zum Preise Gottes und zur Seligkeit und Aufbauung ihrer Brüder getan haben.

Wir bitten hiermit alle Herren und Obrigkeiten um Jesu willen, doch den Herrn von Herzen zu fürchten und sich mit ihren Maßregeln betreffs des Eidschwörens unter des Herrn Wort zu beugen. Auch wollen sie wohl erwägen, warum sie den Eid fordern – gewiss darum, auf dass man dem, was man schwört, nachkomme. Da wir aber unser Ja und Nein nicht weniger als einen Eid achten, was braucht man uns dennoch mit mehr, als des Herrn Wort uns lehrt und zulässt, zu beschweren? Denn wir hoffen durch Gottes Gnade, dass man bei uns dadurch, dass wir des Herrn teilhaftig geworden sind und seinem Worte, in welchem das Ja und Amen ist, anhangen, ein Ja, das ein Ja, und ein Nein, das ein Nein ist, finden wird, weit mehr als bei der Welt und schwöre sie auch noch so starke Eide. Verfehlt aber jemand sein Ja und Nein zu halten, so lasst ihn als einen Meineidigen gestraft werden.

Dass das Ja und Amen bei allen wahren Christen ist, das beweisen wohl diejenigen, welche in unseren Niederlanden durch so vieles und schweres Gefängnis, die Entreißung ihrer Güter, unzählige Qualen und Mühsale und außerdem noch mit Feuer, Pfahl und Schwert so tyrannisch heimgesucht werden, diesem allem aber durch ein einziges Wort entgehen könnten, wenn sie nur ihr Ja und Nein brechen wollten. Da sie aber aus der Wahrheit geboren sind, so wandeln sie auch in der Wahrheit und bezeugen dieselbe bis in den Tod, wie man in Flandern, Brabant, Holland, Westfriesland zum Überfluss merken und sehen kann.