Die vollständigen Werke Menno Simons

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12.3 Dritter Brief

Ein Brief Menno Simons an die Brüder zu Franeker, Provinz Friesland, Niederlande.

Die Liebe Gottes ist die wahre Weisheit.

Mit einem bekümmerten und beschwerten Herzen schreibe ich an euch, weil mir ein von fünf in gutem Ansehen stehenden Brüdern unterzeichneter Brief überreicht wurde, aus welchem ich ersehe, dass unter einigen von euch in Betracht des Bannes ein heftiger Streit entstanden ist (möge Gott ihn zum Guten wenden). Wenn ich recht verstanden habe, so verlangt ein Teil, dass keine Übertretung mit dem Bann gestraft werden soll, ehe denn der Übertreter dreimal ermahnt worden ist. Ich kann mit dieser Auffassung der Lehre nicht übereinstimmen, denn es gibt mehrere Sünden, z. B. Mord, Zauberei, Brandstiftung, Diebstahl und andere ähnliche Verbrechen, welche eine summarische Bestrafung von Seiten der Obrigkeit erfordern. Wollten wir solche Verbrecher vor der Bestrafung dreimal ermahnen, dann würde das süße Brot der Gemeinde vor der ganzen Welt in Sauerteig umgewandelt werden. Handelt daher mit Klugheit und betrachtet Kriminalangelegenheiten, besonders wenn sie schon vor die Öffentlichkeit gekommen sind, nicht so, wie ihr andere fleischliche Werke beurteilen würdet, welche von der Welt nicht als einer entehrenden Strafe wert erachtet werden.

Der andere Teil hingegen begehrt, wenn ich die Sache nicht etwa missverstehe, dass alle Übertretungen mit dem Bann bestraft werden sollen, ohne alle vorhergehende Ermahnung und dass alle Bußübungen außerhalb der Gemeinde stattfinden sollen. Diese Lehre ist, nach meinem geringen Verständnis, irrtümlich und wider das Wort Christi, Pauli und Jakobi. Denn Geiz, Stolz, Hass, Zwietracht, Verleumdung und Zank sind fleischliche Dinge, die zum Tode führen, wenn sie nicht bereut werden (Gal 5,19–20; Jak 3,16); dessen unerachtet werden sie nicht bestraft, ehe eine dreimalige Ermahnung der Bestrafung vorausgegangen ist, wie solches die heilige Schrift befiehlt. Ich wünsche, dass man in Betrachtung ziehen möchte, dass, gleichwie der Tod der Sünde Sold ist, so auch das bußfertige, bekehrte Herz Leben hervorbringt, wie wir solches in den Fällen Davids, Petri, des Schächers, Zachäi und anderer sehen können.

Ich entnehme ebenfalls, dass dieselben Brüder der Meinung sind, dass wenn ein Bruder im Geheimen sich einer oder der andern Übertretung schuldig gemacht habe und in der Betrübnis seines Herzens gegenüber einem Bruder erwähnen sollte, dass er wider Gott gesündigt habe, dieser Bruder es vor die Gemeinde bringen sollte und, falls er solches zu tun unterließe, er dann mit dem Übertreter gleich gestraft werden müsse. Diese Meinung ist nicht allein ungereimt, sondern sie lautet auch in meinen Ohren als eine schreckliche Maßregel, welche, wie klar zu ersehen ist, gegen alle Schrift und Liebe verstößt (Mt 18; Jak 5,19–20).

Der Bann wurde in einer Hinsicht, der Buße halber, eingeführt. Wie kann daher dort, wo Buße sichtbar ist, nämlich ein zerknirschtes, bekümmertes Herz – wie kann in diesem Fall der Bann über einen solchen Bruder ausgesprochen werden? O meine Brüder, bringt diese Maßregeln nicht zur Ausführung, denn solches würde zur Sünde und nicht zur Reformation dienen.

Wollten wir auf diese Weise mit armen, reuevollen Sündern umgehen, deren Vergehen im Geheimen geschehen, wie viele würden wir durch Scham von der Buße abhalten. Gott verhüte, dass ich jemals mit solcher Lehre übereinstimmen oder auf Grund derselben handeln sollte! Schließlich entnehme ich noch ihre Ansicht, welches die ist, dass, sollte irgendeiner der Brüder in seiner Schwachheit sich vergangen haben und hierauf sein Vergehen öffentlich bekennen, er als ein Weltkind angesehen werden sollte.

Dies ist wiederum ein ungereimter Grundsatz; denn geschah das Vergehen aus Schwachheit, so lasst uns nicht zu anmaßend und streng mit solchen armen Seelen umgehen, damit wir selbst nicht etwa einen größeren Fehler begehen.

Nicht die Schwachen, sondern die verderbten Glieder werden abgeschnitten, damit sie nicht etwa andere verderben. Mit solchen unschriftmäßigen Lehren und Gebräuchen will ich nichts zu tun haben. Es ist mein Begehren, dass der Bann in einem aufrichtigen, väterlichen Geiste und treuer Liebe gebraucht werde, in Übereinstimmung mit der Lehre Christi und seiner Apostel, wie ich dies in meinen Schriften seit mehr denn fünf Jahren so vielfältig erklärt habe.

Meine auserwählten Brüder, hütet euch vor Neuerungen, für welche ihr keine gewissen Schriftgründe habt. Seid nicht zu strenge noch auch zu gelinde. Lasst ein väterliches, mitleidsvolles, kluges und verständiges Herz und des Herrn heiliges Wort eure Triebfeder sein.

Folgt meiner brüderlichen Ermahnung in dieser Hinsicht, welche einundzwanzig Jahre lang tätig geworden ist. Ich vermag euch keinen andern und bessern Rat zu erteilen. Ich fühle mich gedrungen der vorerwähnten Ursache halber an euch zu schreiben. Mit aufrichtigem Herzen habe ich meinen geliebten Brüdern ohne irgendwelche Parteilichkeit gedient, wie es uns in Christo geziemt. Ich wurde ersucht die Gründe für meine Lehre zu geben, welches zu tun ich jederzeit willig und bereit bin; nicht nur den Frommen, sondern der ganzen Welt, gleichwie des Herrn Wort mich zu tun befiehlt. Ich lehre und lebe nicht kraft des Glaubens anderer, sondern vermöge meines eigenen Glaubens. O dass alle mit mir einer Meinung wären! Wie väterlich und mit welcher Besonnenheit würde der Bann dann gebraucht werden, ohne Anstoß zu geben; während derselbe jetzt zuweilen in so anstößiger Weise ausgeübt wird.

Ich bitte alle Frommen um Gottes Willen Frieden zu suchen. Und habt ihr einander im mindesten beleidigt, dann reinigt eure Herzen und seid versöhnt in Christo Jesu. Bedenkt, dass ihr des Herrn Volk seid, zum Frieden berufen, unter das Kreuz gestellt, von der Welt getrennt und bis in den Tod gehasst. Seid ihr in demselben Geist getauft, dann erfüllt mein aufrichtiges Verlangen und seid mit mir einer Meinung in Christo. Erbaut und brecht nicht nieder. Unterweist einander in Liebe und verhindert Spaltungen, auf dass der göttliche Friede mit allen Kindern Gottes sei und bei uns vollständig bleibe bis ins ewige Leben.

Möge der friedliche Geist Christi euch alle beschützen. Mögt ihr heilsam in der Lehre, brünstig in der Liebe und ohne Anstoß im Leben sein, zur Auferbauung seiner Gemeinde und zum Preis seines heiligen Namens. Euer unwürdiger Bruder und Diener.

Menno Simons, den 13. November 1555.