von Baltasar Hubmaier (1480-1528)
Die Wahrheit ist untödlich. Anno, 1524
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Ketzer sind die, die frevelhaft der Heiligen Schrift widerstehen, von denen der erste der Teufel gewesen ist, als er zu Eva sprach: Keineswegs werdet ihr sterben, 1. Mose 3,4, samt seinen Anhängern.
Dergleichen sind die Ketzer, die die Schrift verdecken und anders auslegen, als der Heilige Geist es erfordert, solche, die ein Weib zu einem Pfrund machen, die aus dem Weiden das Herrschen machen, die aus einem Stein den Felsen machen, die aus der Kirche Rom machen, die dies allerorts verkündigen und uns zwingen, diesem Geschwätz zu glauben.
Solche soll man mit heiliger Unterweisung, nicht zänkisch, sondern sanft überwinden, obgleich die Schrift auch Zorn [für solche] beinhaltet.
Aber der Zorn der Schrift ist wahrlich ein geistliches Feuer und ein Eifer der Liebe, das nur mit dem Wort Gottes brennt.
Sollten sie sich nicht den Worten der Autorität oder den vernünftigen Worten des Evangeliums beugen, so meide sie und lasse sie toben und wüten, Titus 3,10, sodass die, die jetzt besudelt sind, noch besudelter werden, Offenbarung 22,11.
Das Gesetz, das Ketzer zum Tod durch Verbrennen verurteilt, ist auf Zion im Blut und Jerusalem in Bosheit gebaut.
Darum werden sie mit Seufzern hinweggenommen, sodass die Gerechtigkeit Gottes (für dessen Gericht sie bereitet sind) sie entweder bekehren oder verhärten wird, damit die Blinden die Blinden führen und allezeit beide, die Verführerund die Verführten, hinabfahren in die Bosheit.
Eben dasselbe hat Christus gewollt, als er sagte: Lasst beides miteinander aufwachsen bis zur Ernte, damit ihr nicht beim Zusammenlesen des Unkrauts zugleich mit ihm den Weizen ausreißt, Matthäus 13,29f. Und sicherlich müssen
Entzweiungen unter euch sein, damit die Bewährten unter euch offenbar werden, 1Korinther 11,19.
Diejenigen, obgleich sie widerstehen, werden solange doch nicht ausgelöscht werden, bis Christus zu den Schnittern sagt: Lest zuerst das Unkraut zusammen und bindet es in Bündel, dass man es verbrenne, Matthäus 13,30.
Diese Worte sind für uns kein Müßiggang, sondern ein Kampf, da wir ohne Unterlass nicht den Menschen, sondern ihren gottlosen Lehren widerstehen.
Schuldig an den Entzweiungen sind schläfrige Hirten. Denn als die Menschen schliefen, ist der feindliche Mensch gekommen, Matthäus 13,25.
Wiederum. Wohl dem Menschen, der vor des Bräutigams Kammertür wacht, Sprüche 8,34, und der weder schläft noch sitzt im schändlich-spöttischen Stuhl, Psalm 1,1.
So folgt nun, dass Ketzermeister (Inquisitoren) die allergrößten Ketzer sind, da sie wider Christus und sein Vorbild die Ketzer zum Tode durch das Feuer verurteilen und vor der Zeit der Ernte den Weizen samt dem Unkraut ausreißen.
Denn Christus ist nicht gekommen, dass er verderbe [„metzge“], umbringe, verbrenne, sondern dass die, die da leben, noch reichlicher leben, Johannes 10,10.
Ja, man soll auch bitten und hoffen um Buße, solange der Mensch in diesem Elend lebt.
Aber ein Türke oder Ketzer wird von unserem Tun weder mit Schwert noch mit Feuer überwunden, sondern allein mit Geduld und Fürbitte, um so mit den Geduldigen das Gericht Gottes zu erwarten.
So wir anders handeln, würde Gott unser Schwert als Spreu und das brennende Feuer als Spott ansehen, Hiob 41,19.
Der ganze Predigerorden (zu dem unser zweifarbiger Vogel Anthonin gehört) ist von der Lehre des Evangeliums abgefallen und umso unseliger, weil bisher allein aus ihm die Ketzermeister gekommen sind.
Wenn sie wüssten, aus welchem Geist sie sind, würden sie das Wort Gottes nicht so schamlos verdrehen, noch so oft schreien: Ins Feuer, ins Feuer, Lukas 9,54.
Ja, es ist auch keine Entschuldigung (wie sie dann schwatzen), dass sie die Gottlosen der weltlichen Gewalt übergeben, denn wer auf diese Weise [die Gottlosen] übergibt, der sündigt noch ärger, Johannes 19.
Denn jeder Christ hat wohl ein Schwert wider die Gottlosen, das da ist das Wort Gottes, Epheser 6,17f, aber nicht ein Schwert gegen die Boshaften.
Darum ist es recht und billig, dass die weltliche Gewalt die Bösen tötet, Römer 13,4, die Wehrlose am Leib verletzen. Aber der Gottesfeind [Satan] kann niemanden Schaden zufügen, es sei denn er wolle es selbst nicht anders oder er verlasse das Evangelium.
Christus hat dasselbe klar aufgezeigt, indem er sprach: Ihr sollt euch nicht entsetzen vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht zu töten vermögen, Matthäus 10,28.
Die weltliche Obrigkeit richtet die Boshaften, aber nicht die Gottlosen, die weder Leib noch Seele schaden können, sondern vielmehr nützlich sind, sodass Gott wohlweislich aus dem Bösen Gutes machen kann.
Denn der Glaube, der aus dem Brunnen des Evangeliums fließt, lebt allein aus der Anfechtung; je rauer [die Anfechtungen] sind, desto größer ist derselbe [der Glaube].
Da aber nicht jedermann in der Wahrheit des Evangeliums unterrichtet ist, sind die Bischöfe nicht weniger schuldig als das gemeine Volk selbst: dieses [das Volk] hat nicht Sorge getragen, bessere Hirten zu erwählen, jene [die Bischöfe],
da sie ihrem Amt nicht gerecht werden.
Wenn ein Blinder einen Blinden führt, so fallen beide nach dem gerechten Gericht Gottes in dieselbe Grube, Matthäus 15,14.
Darum ist das Verbrennen von Ketzern scheinbar ein Bekenntnis zu Christus, Titus 1,16, aber tatsächlich verleugnen sie ihn und sind gräulicher als Jojakim, der König von Juda, Jeremia 36.
Ist nun das Verbrennen ein so großes Laster, wieviel schlimmer wird es sein, die wahrhaftigen Verkünder des Wortes Gottes zu Asche zu verbrennen, ohne sie überzeugt zu haben, ohne mit ihnen die Wahrheit erläutert zu haben.
Der größte Betrug im Volk ist der Eifer für Gott, der ohne die Schrift ausgerichtet wird in Bezug auf das Heil der Seelen, die Ehre der Kirche, die Liebe zur Wahrheit, die guten Absichten, die Gebräuche und Gewohnheiten [Traditionen], die bischöflichen Erlässe und die Anweisungen der Vernunft,
die alle von dem Lichte der Natur erbettelt sind. Diese sind tödliche Pfeile, wenn sie nicht von der Schrift geleitet und geführt sind.
Es soll sich der Mensch nicht vermessen, verführt durch die Maske [das Trugbild] seiner Motive, etwas besser oder gewisser zu tun, als Gott es durch seinen Mund ausgesprochen hat.
Diejenigen aber, die sich auf ihre guten Absichten verlassen und glauben, dass sie besser handeln, sind gleich Ussija[7] und Petrus; dieser [Petrus] wurde von Christus Satan genannt, Matthäus 16,23, jener [Ussija] aber kam erbärmlich
um.
Darum haben Elnathan, Delaja und Gemarja weise gehandelt, als sie Jojakim, König von Juda, widersprachen, als dieser das Buch Jeremia ins Feuer warf, Jeremia 36,25.
Dass aber nachdem das Buch verbrannt wurde, Baruch ein anderes und viel besseres mit den Worten des Jeremias schreibt, Jeremia 36,28, ist die gerechte Strafe Gottes für das unredliche Verbrennen [von Gottes Wort]. So soll es also sein, dass auf diejenigen, die den Frost fürchten, ein kalter Schnee fallen soll, Hiob 6,16.
Doch behaupten wir nicht, dass es unchristlich ist, irreführende und schändliche Bücher zu verbrennen, wie es in der Apostelgeschichte bezeugt ist, Apostelgeschichte 19,19. Unschuldiges Papier verbrennen ist gering, aber den Irrtum aufzuzeigen und denselben mit der Schrift zu verwerfen, das ist eine Kunst.
Daher sieht jeder, auch der Blinde, dass das Gesetz vom Verbrennen der Ketzer vom Teufel erdacht ist.
Die Wahrheit ist untödlich.